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"Es gibt ja genug Kontaktmöglichkeiten innerhalb der Vollzugsanstalten"

Rechtsextreme Netzwerke könnten nur unterbunden werden, wenn es eine entsprechende Betreuung der Häftlinge gebe, sagt der Geschäftsführer des "Violence Prevention Network", Thomas Mücke. Ein Programm werde nun aber eingestellt, weil Bund und Länder es nicht weiter finanzieren wollten.

Thomas Mücke im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Hessen verteidigt die Ermittlungen zu einem Netzwerk von Rechtsextremisten in deutschen Haftanstalten. Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) sagte, es habe zwar seit Ende des vergangenen Jahres einen Verdacht gegeben, dieser sei aber nicht zu belegen gewesen. Hahn gestern Früh im Deutschlandfunk:

    "Wir wissen, dass der Inhaftierte in der Justizvollzugsanstalt in Hünfeld schriftlichen Kontakt gesucht hat zum Beispiel auch mit Frau Zschäpe. Wir wissen aber noch nicht, ob es Rückkoppelung gegeben hat. Nicht alles hochreden, aber auf keinen Fall bagatellisieren."

    Heinemann: Das Netzwerk soll rechtsextremen Straftätern und ihren Angehörigen während und nach der Haft Geld zur Verfügung gestellt haben. Im Fokus der Ermittlungen stehen Gefängnisse in Hessen, insbesondere die Justizvollzugsanstalt in Hünfeld im Kreis Fulda. Die Organisation "Violence Prevention Network" besteht seit 2005, das ist eine Mannschaft von Experten der Präventions- und Bildungsarbeit. Zunächst nur für rechtsextremistisch orientierte Jugendliche konzipiert, so ist auf der Internetseite zu lesen, ‚haben wir das Programm 2006 auch für fundamentalistisch orientierte Jugendliche mit Migrationshintergrund ausgedehnt‘. Am Telefon ist der Geschäftsführer Thomas Mücke. Guten Morgen.

    Thomas Mücke: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Mücke, in der "Bild"-Zeitung berichtet heute ein Aussteiger – ich zitiere mal: "Die rechte Szene im Knast hält eng zusammen. In der Kantine, in der Werkstatt oder auf dem Hof, überall versuchen sie, gemeinsam aufzutreten." Entspricht das Ihrer Erfahrung, diese offen zur Schau gestellte Präsenz?

    Mücke: Wenn sie mehrere sind, dann tun sie das, und sie versuchen, sich gegenseitig zu vernetzen, gegenseitig sich zu stärken, um ihren politischen Kampf nach der Entlassung fortzuführen. Sie definieren sich ja selbst als politische Gefangene. Aber das größte Problem ist: Sie versuchen, in den Vollzugsanstalten Anhänger und Sympathisanten anzusprechen und ihr Netzwerk zu vergrößern, und gerade hier ist es die Gefahr, dass gefährdete Insassen dann auf deren Seite geschoben werden.

    Heinemann: Wie vernetzt man sich hinter Gittern?

    Mücke: Das gibt es. Es gibt ja genug Kontaktmöglichkeiten innerhalb der Vollzugsanstalten in allen möglichen Situationen: Freistunde, gemeinsam Schule, Ausbildung machen. Da gibt es genug Kontaktmöglichkeiten. Und man versucht dann halt, bestimmte Leute anzusprechen und auf seine Seite zu bringen. Und es war ja auch damals in den Jugendvollzugsanstalten ein großes Problem: Da gab es richtig aktive rechtsextreme Netzwerke. Aus dem Grund hat man ja solche Trainingsprogramme gemacht gehabt, um die gefährdeten Jugendlichen, die Mitläuferszene sehr schnell anzusprechen und sich starkzumachen gegen diese Ideologen.

    Heinemann: Hat man gemacht, sagen Sie. Macht man nicht mehr?

    Mücke: Das Programm, was man anbietet in den Vollzugsanstalten, die Arbeit mit extremistisch gefährdeten Jugendlichen, das läuft seit elf Jahren, aber es wird dieses Jahr auslaufen, weil weder Bund noch Länder die Möglichkeit gesehen haben, dass sie jetzt die Verantwortung übernommen haben, das Programm in die Regelfinanzierung zu übernehmen.

    Heinemann: Herr Mücke, können Sie uns noch mal schildern, wie dieses gezielte Anwerben funktioniert, in Haftanstalten wohl gemerkt?

    Mücke: Es gibt zwei Formen von gezieltem Anwerben. Das ist einerseits von außen. Das waren dann die Organisationen, die mittlerweile verboten sind, aber die können ja immer wieder neu aufgebaut werden. Und dann schreiben mal die Vorsitzenden, auch die Vorsitzenden von rechtsextremen Parteien schreiben Jugendliche direkt an, die fühlen sich aufgewertet und nehmen dann den Kontakt auf. Das ist der eine Anwerbeversuch und der andere Anwerbeversuch ist, dass man schon schaut, gerade bei Jugendlichen kann man das im Vollzug beobachten, aus welcher Gegend kommt er, aus welchem subkulturellen Milieu kommt er, und dann denkt man, er könnte vielleicht für ihre Idee ansprechbar sein. Und dann werden sie in einer Freistunde oder in der Ausbildung oder in der Schule direkt angesprochen und man versucht, ihnen dann zu vermitteln, dass sie nicht selber Verantwortung haben für ihre Straftat, sondern dass sie für die politische Idee das Richtige gemacht haben.

    Heinemann: Aber der Post-Ein- und Ausgang wird doch kontrolliert!

    Mücke: Der Post-Ein- und Ausgang wird kontrolliert, aber das ist ja der Versuch von außen. Viel gefährlicher sind ja die Vernetzungen innerhalb der Vollzugsanstalt. Das, was von außen reinkommt, das kann kontrolliert werden. Da gibt es aber immer Möglichkeiten mit versteckten Codes, da gibt es immer Möglichkeiten, dass es gar nicht erkennbar ist in dem Briefkontakt, um was es da geht. Je mehr man kontrolliert, desto intelligenter werden sie auf diese Kontrollen zugehen.

    Heinemann: Herr Mücke, wie bringt man unter dem Gruppendruck einer Haftanstalt Neonazis zum Ausstieg?

    Mücke: Ja das war tatsächlich auch, als wir angefangen haben, ein ganz großes Problem. Da hat die rechtsextreme Szene sehr viel Druck ausgeübt gehabt auf die Menschen, die sich auf unser Programm eingelassen haben. Man muss die Menschen überzeugen, dass die Rechtsextremen sie versuchen, eigentlich nur für ihre Zwecke zu missbrauchen, zu instrumentalisieren, und dann sind die auch eher bereit, sich dem Druck auszusetzen. Die Netzwerke funktionieren nicht mehr, wenn es Trainingsangebote gibt. Das haben wir festgestellt gehabt. Es gibt auch in den Jugendvollzugsanstalten, da wo wir tätig sind, kaum noch rechtsextreme Netzwerke. Also man muss Angebote machen, dann kann man das in den Griff kriegen.

    Heinemann: Der Ausstieg ist nicht risikofrei. "Als ich aufhören wollte, wurde ich fast totgeprügelt", zitiert die "Bild"-Zeitung den Aussteiger. Also so einfach ist das nicht?

    Mücke: Es ist nicht einfach und vor allen Dingen darf man diejenigen, die aussteigen wollen, oder die sich versuchen wollen, dem Druck dieser Szene zu entziehen, nicht alleine lassen. Das ist das Entscheidende.

    Heinemann: Wie stellen Sie sich eine vorbildliche Präventionsarbeit vor?

    Mücke: Eine vorbildliche Präventionsarbeit stelle ich mir dahin gehend vor, dass man bei den Straftätern auch anschaut, die gefährdet sind aufgrund ihrer ideologischen Einstellung, dass man nicht wartet, bis es irgendwie eskaliert, sondern möglichst schnell ein kontinuierliches Angebot macht für diese Menschen innerhalb der Vollzugsanstalt und sie auch begleitet nach der Vollzugsanstalt, weil das Problem ist ja, dass die rechtsextremen Netzwerke ja auch da sind, wenn sie draußen sind. Das heißt, dass sie in ihren Herkunftsort zurückkommen und dass dort die Szene auch vorhanden ist. Das heißt, man muss sich starkmachen, sich solchen Szenen zu entziehen, das schaffen sie nicht alleine. Das heißt also Betreuung innerhalb der Haftanstalt, innerhalb der Vollzugszeit und Betreuung nach der Haftzeit.

    Heinemann: Thomas Mücke, der Geschäftsführer der Organisation "Violence Prevention Network". Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Mücke: Auf Wiederhören!


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