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"Es ist ein ganz normales Strafverfahren aus diesem Monsterprozess geworden"

Nach den Anfangsschwierigkeiten sei es erstaunlich, dass der NSU-Prozess so weit vorangekommen sei, sagt Gisela Friedrichsen vom Magazin "Der Spiegel". Das liege auch am Vorsitzenden Richter Manfred Götzl. Die Medien hätten ihm am Anfang des Verfahrens mit ihrer Kritik Unrecht getan.

Gisela Friedrichsen im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Zehn Morde sind aufzuklären, begangen offenkundig aus Ausländerhass. Seit Mai verhandelt der 6. Strafsenat am Oberlandesgericht in München gegen Beate Zschäpe, die einzige Überlebende des Terrortrios NSU, und gegen ihre mutmaßlichen Helfer. Es ist das bisher größte Verfahren gegen den Rechtsterrorismus in Deutschland. Die Anklage ist fast 500 Seiten dick, elf Verteidiger sind an dem Prozess beteiligt, mehr als 80 Nebenkläger und mindestens 600 Zeugen. Nach mehr als 30 Verhandlungstagen werden heute noch einmal Zeugen vernommen, wird heute noch einmal verhandelt, dann folgt eine Pause von vier Wochen, bis es Anfang September dann weitergeht.

    Wir wollen in den nächsten Minuten versuchen, eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Für den "Spiegel" hat Gisela Friedrichsen den bisherigen Verlauf des Verfahrens verfolgt, sie ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

    Gisela Friedrichsen: Guten Morgen.

    Barenberg: Frau Friedrichsen, wir erinnern uns alle ja noch an die Turbulenzen vor Beginn des Verfahrens, an den Streit um die Vergabe der Plätze für Journalisten. Das war so heftig, dass sie noch mal neu vergeben werden mussten, diese Plätze. Zum Auftakt herrschte geradezu Ausnahmezustand in München vor dem Gericht. Es gab Demonstrationen und ein Großaufgebot der Polizei. Inzwischen ist seit Längerem schon Ruhe eingekehrt. Dieser turbulente Beginn und jetzt, soweit man das sagen kann, die Routine der täglichen Arbeit an den Verhandlungstagen, war das beides aus Ihrer Sicht so zu erwarten?

    Friedrichsen: Dass das Verfahren so weit vorangekommen ist, das ist in der Tat erstaunlich. Das hatte man am Anfang eigentlich nicht erwartet. Man hat gedacht, hier ist ein Gericht am Werk, das die Sache nicht in den Griff bekommt, das noch nicht mal bei der Platzvergabe richtig handelt. Wie soll das überhaupt dann erst werden, wenn es an die Sacharbeit in der Beweisaufnahme geht. Das hat sich alles nicht bewahrheitet. Man hat auch gedacht am Anfang, angesichts dieser großen Zahl von Nebenklägern und Nebenklageanwälten wird das ein Tohuwabohu geben, werden die Verteidigerrechte möglicherweise beschnitten werden. Auch das hat sich nicht bestätigt. Es ist ein ganz normales Strafverfahren aus diesem Monsterprozess geworden, das schwierig zu führen ist, aber auf einem sehr guten Weg ist.

    Barenberg: Liegt das auch am Vorsitzenden Richter, der ja auch Kritik einstecken musste im Vorfeld? Jetzt sagen viele Beobachter, er hat den Prozess im Griff, er führt das Verfahren straff und alle Beteiligten am engen Zügel. Ist das ihm gut zu schreiben, dass dieser Prozess so gut verläuft, wie Sie geschildert haben?

    Friedrichsen: Ganz sicher! Das ist ein großes Verdienst dieses Vorsitzenden, der nach meinem Eindruck über eine unglaubliche Aktenkenntnis verfügt, der sehr präzise fragt, der die Sache vorantreibt, der durchaus auch disziplinierend eingreift, wenn manche Nebenklageanwälte Fragen stellen, die so nicht angebracht sind oder an dieser Stelle nicht angebracht sind. Da hat er die Zügel sehr angezogen und das macht sich dann doch sehr positiv bemerkbar. Man merkt, dass man ihm am Anfang, als alle Medien über ihn hergefallen sind, Unrecht getan hat.

    Barenberg: Die Bundesanwaltschaft ist mit ihrer Anklage ja offenbar an die Grenzen dessen gegangen, was man anklagen kann. Schauen wir auf die Hauptangeklagte, auf Beate Zschäpe. Sie wurde verhaftet wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und besonders schwerer Brandstiftung. Jetzt soll sie aber Mittäterin sein aller zehn Morde und an den Sprengstoffanschlägen und auch an den Raubüberfällen. Das ist ja im Vorfeld auch diskutiert worden, ob das schwierig sein könnte, das zu beweisen. Was ist Ihr Eindruck bisher? Taugt das Belastungsmaterial?

    Friedrichsen: Mein Eindruck ist, dass die Anklage bisher hält. Man muss, um Mittäter zu sein, ja nicht an Ort und Stelle gewesen sein. Man kann Mittäter sein, auch wenn man den eigentlichen Tätern sozusagen die Chance gibt und es ermöglicht, die Taten zu begehen. Und nach der bisherigen Beweisaufnahme ist es wohl so gewesen, dass Beate Zschäpe doch den Background für die eigentlichen Täter geliefert hat, dass sie im Untergrund leben konnten, dass sie völlig unentdeckt und ohne Verdacht zu erregen leben konnten, und das bestätigt bisher die Anklage nach meinem Eindruck voll und ganz.

    Barenberg: Und da hat die Verteidigung von Beate Zschäpe und auch von den anderen Angeklagten nichts vorbringen können, was diese Indizienkette infrage stellen würde, ernsthaft infrage stellen würde?

    Friedrichsen: Die Verteidigung agiert nach meinem Eindruck zurückhaltend, was man auch durchaus nachvollziehen kann angesichts der öffentlichen Meinung, dass man - Ich meine, für eine Frau wie Beate Zschäpe, sich mit Verve ins Zeug zu legen, zieht natürlich auch den Vorwurf leicht auf sich, man sei ähnlicher Gesinnung wie diese Angeklagte. Das vermeidet die Verteidigung. Sie beanstandet, wenn eine Vernehmung nicht lege artis geführt worden ist. Aber da die Ermittlungen sehr umfangreich gewesen sind, spielt das eigentlich keine so große Rolle. Selbst wenn mal eine Vernehmung als nicht verwertbar am Ende erklärt werden sollte, dann gibt es dafür fünf andere Vernehmungen, die verwertbar sind, und damit ist die Sache wieder im Sinne der Anklage in trockenen Tüchern.

    Barenberg: Lassen Sie uns auch über die Vertreter der Opfer sprechen, über die Angehörigen und ihre Rechtsvertreter, also die Nebenkläger. Sie sollen ja den Opfern so etwas wie eine Stimme in diesem Verfahren geben, die Opfer, die ein Versagen des Staates annehmen müssen, anerkennen müssen und die jetzt natürlich Wiedergutmachung wollen. Wie schätzen Sie die Arbeit der Nebenkläger ein? Erfüllen sie ihre Rolle, den Opfern eine Stimme zu geben?

    Friedrichsen: Es hat sich mittlerweile herauskristallisiert, dass es unterschiedliche Typen von Nebenklagevertretern gibt. Es gibt die, die den Opfern beistehen, ganz persönlich, die aber im Verfahren keine so große Rolle spielen. Dann gibt es andere, die prozessual ihre Rechte voll und ganz wahrnehmen. Das sind in der Regel eigentlich gelernte Strafverteidiger. Da sehe ich einen gewissen Konflikt heraufziehen mit der Bundesanwaltschaft. Die Bundesanwaltschaft sagt, uns kommt es nur darauf an, dass unsere Anklage bestätigt wird, dass also die Angeklagten verurteilt werden. Manche der Nebenklageanwälte sagen, das reicht unseren Mandanten nicht, sie wollen mehr wissen. Sie wollen wissen, warum diese Taten geschehen konnten, warum sie möglicherweise unter den Augen des Verfassungsschutzes sogar passiert sind oder mit Wissen des Verfassungsschutzes. Das lehnt die Bundesanwaltschaft wieder ab und die argumentieren, solche Fragen gehören in den Untersuchungsausschuss. Aber im Untersuchungsausschuss spielen die Nebenkläger gar keine Rolle. Das Forum, wo die Anliegen der Nebenkläger zu befriedigen sind, ist schon das Strafverfahren, und da muss man mal sehen, ob die Bundesanwaltschaft hier ein bisschen offener wird, ein bisschen mehr Zugeständnisse macht und etwas mehr auf die Nebenkläger und die Opfer zugeht.

    Barenberg: Dies zum Schluss gefragt, Frau Friedrichsen: Ist das auch ein Grund, diese bohrenden Fragen und diese Erwartungen der Opferangehörigen, warum das einer der bedeutendsten Prozesse werden könnte?

    Friedrichsen: Ganz sicher, denn ich glaube, wenn der Prozess sein Ende gefunden hat, dann werden wir mehr über Rechtsradikalismus wissen, dann werden wir mehr wissen, wie es dazu kommt, dass junge Leute abgleiten und aus einer solchen Gedankenwelt heraus solche Taten begehen. Wenn das gelingt – und ich bin da eigentlich ganz zuversichtlich -, dann ist dieser Prozess wirklich ein Meilenstein in der Geschichte der Strafjustiz der Bundesrepublik.

    Barenberg: Die Gerichtsreporterin des Magazins "Der Spiegel" heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Gisela Friedrichsen, für das Gespräch.

    Friedrichsen: Gerne.


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