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Platzvergabe mit "Glücksfee" ungeeignet

Es hätte für den NSU-Prozess auch eine Methode gegeben, um nahezu alle großen Medien zu berücksichtigen, kritisiert der Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes Michael Konken. Er hoffe, dass der Prozess kommenden Montag beginne, alles andere müsse jetzt in den Hintergrund treten.

Michael Konken im Gespräche Christine Heuer | 30.04.2013
    Friedbert Meurer: Nächsten Montag beginnt vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Terrorverdächtige im Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund – wenn nicht noch juristische Klagen von Medienhäusern eine erneute Verschiebung nötig machen, denn seit Wochen gibt es im Vorfeld fast nur ein Thema: Welche Journalisten bekommen eine Akkreditierung? Beim ersten Mal blieben unter anderem türkische Zeitungen außen vor, das Bundesverfassungsgericht monierte das. Und dann hat das Oberlandesgericht entschieden, nicht nur drei neue Plätze zu vergeben, sondern alles noch einmal komplett aufzurollen – und dabei blieben eine ganze Reihe überregionaler Tageszeitungen gestern außen vor. Christine Heuer hat gestern Abend in unserer Sendung "Das war der Tag" mit Michael Konken, dem Bundesvorsitzenden des Deutschen Journalistenverbandes, gesprochen und ihn gefragt: "Brigitte" drin, "FAZ" draußen – haben wir Journalisten das so gewollt?

    Michael Konken: Ja, gut, das haben wir natürlich nicht gewollt. Nach dem ersten Verfahren, das ja nach dem Eingang der Unterlagen dann vergeben wurde, die Akkreditierung, hat man ja ein neues Verfahren gewählt, was wir erst mal gut fanden, weil jetzt auch die türkischen Medien berücksichtigt werden sollten, weil auch mehrere Töpfe waren, in denen dann auch andere Medien, bedeutende Medien berücksichtigt werden sollten. Aber was jetzt dabei rausgekommen ist, ist natürlich immer noch nicht zufriedenstellend, denn viele große Medien sind eben nicht dabei, viele große Nachrichtenmedien, die auch Reichweiten haben in Deutschland, die von den Menschen gehört, gelesen und gesehen werden. Und insofern ist das unbefriedigend, was hier jetzt im zweiten Anlauf passiert ist.

    Christine Heuer: Unbefriedigend, aber es war andererseits doch klar, dass es eine Auslosung geben würde. Wieso haben die Medien nicht vorher dagegen geklagt oder sind dagegen vorgegangen?

    Konken: Ja, ich habe immer gesagt, es wird die auch erwischen, die jetzt schon eine Akkreditierung haben, die werden wahrscheinlich dann vielleicht nicht mehr dabei sein, und es war eigentlich auch an wenigen Fingern abzählbar, dass auch einige große Medien durchs Netz fallen werden, denn so viel Glück kann man einfach nicht haben. Aber ich habe auch etwas dagegen, dass ein solches Verfahren eben durch einen Losentscheid, durch eine Lotterie, die Journalisten aussucht, eine Glücksfee dann sozusagen die Auslosung vornimmt. Bei einem solchen Verfahren, das ja bedeutend ist, nicht nur für Deutschland, sondern auch international Aufmerksamkeit haben wird, und das, glaube ich, in der Wertigkeit ganz oben liegt, kann man ein solches Verfahren nicht wählen. Hier hätte das Gericht auch nach anderen Punkten auswählen können. Man hat hier, oder es liegt im Ermessen des Gerichtes, hier jede mögliche Art zu wählen, und ich glaube, es hätte hier auch eine Methode gegeben, um zum großen Teil hier auch alle großen Medien zu befriedigen.

    Heuer: Nun planen ja die großen Medien oder einige von ihnen – die "TAZ" zum Beispiel, die "FAZ" und die "Welt" – oder prüfen rechtliche Schritte. Wie beurteilen Sie jetzt deren Chancen?

    Konken: Gut, das muss man mal abwarten, ob das Bundesverfassungsgericht das noch mal aufnimmt. Beim ersten Mal ging es ja hier um die Nichtberücksichtigung der türkischen Medien, die ein berechtigtes Interesse vorweisen konnten, wie weit das jetzt bei den anderen Medien der Fall ist, da wage ich gar keine Beurteilung abzugeben. Aber für jeden Fall sollten wir aus diesen Verfahren auch für die Zukunft Lehren ziehen, und wenn ich dann wirklich sehe, dass so Anzeigenblätter wie hallomuenchen.de oder "Brigitte" dabei sind oder Radio Lotte Weimar – nichts gegen diese Medien, die auch wichtig sind für bestimmte Zielgruppen –, aber hier ist es doch ein so bedeutender Prozess, der viele Menschen erreichen muss in Deutschland, und da wäre es schon wichtig gewesen, wenn das Gericht hier andere Medien auch zugelassen hätte.

    Heuer: Glauben Sie, dass es zu Klagen oder zu Beschwerden wieder kommen wird beim Bundesverfassungsgericht?

    Konken: Ja, mit Sicherheit. Ich habe gerade schon gelesen, dass "Welt" und "TAZ", glaube ich, schon überlegen zu klagen – es war noch eine Dritte, ich glaube, auch die "Frankfurter Allgemeine" will klagen, oder überlegen jetzt zu klagen. Ist ja klar, wenn solche großen Medien nicht dabei sind, bei einem solchen Riesenprozess, dann ist es natürlich ein Nachteil für diese Medien, und das ist schon auch mit einem großen Nachteil verbunden für diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die nicht darüber berichten können und die sich dann nur aus Agenturmeldungen bedienen können.

    Heuer: Diesmal, Herr Konken, ist es ja erlaubt, die Plätze zu tauschen, das ist ja auch neu. Wären Sie dafür, dass das Anzeigenblatt "Hallo München" zum Beispiel der "Zeit" Platz macht?

    Konken: Es wäre ja schön, wenn einige der Kolleginnen und Kollegen, die vielleicht gesagt haben, wir versuchen es einfach, ob wir reinkommen, wenn die jetzt vielleicht sagen würden, wir geben unseren Platz einem anderen Medium und werden dann vielleicht mitbeliefert durch die Information. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass wirklich kleine Tageszeitungen und Anzeigenblätter und die Medien, die so wirklich auf der Kippe standen, jeden Tag dabei sind, um diesen Prozess zu verfolgen, das kann ich mir nicht vorstellen. Und insofern wäre es vielleicht hier auch ein kollegiales Entgegenkommen, wenn hier einige sagen würden, wir treten mal zugunsten Großer zurück, und dafür beliefert ihr uns dann mit den Informationen aus erster Hand.

    Heuer: Der Gerichtspräsident Karl Huber hat sich ja heute auch über die Angriffe der Medien beschwert, und er nennt das erste Verfahren absolut korrekt. Was entgegnen Sie?

    Konken: Ja, gut, aus seiner Sicht natürlich, das ist aus seiner Sicht wirklich in Ordnung, er ist für eine andere Geschichte zuständig, er soll diesen Prozess vernünftig durchführen und soll dafür sorgen, dass es hier zu einer gerechten Verurteilung kommt, denn immerhin liegen da mehrere Morde zugrunde, und die Öffentlichkeit wartet darauf. Aber die Medienlandschaft ist so vielfältig geworden, so verzwickt geworden, dass, glaube ich, ein Gericht nicht übersehen kann, wer gehört hier dazu, wer muss eingeladen werden, wer nicht. Und da hätte man sich vielleicht doch vorher den Rat von Experten einholen sollen, Tipps geben lassen sollen, wen man hier vielleicht berücksichtigen könnte, und welches Verfahren man vielleicht schon in der Akkreditierung wählen könnte, um alle wichtigen Nachrichtenmedien auch zu versorgen. Also insofern ist eigentlich der Vorwurf ans Gericht nur derjenige, man hätte hier vielleicht Fachleute hören müssen und hinzuziehen sollen.

    Heuer: Sie sind ein Fachmann, und Sie haben im Vorfeld immer für die Videoübertragung oder einen neuen Saal votiert – glauben Sie, es kommt noch zu dieser Lösung?

    Konken: Gut, die Videoübertragung habe ich ja mit einem Fragezeichen versehen, weil das Strafgesetzbuch eben Fernseh- oder Kameraaufzeichnungen oder Übertragungen nicht zulässt. Videoübertragung geht in diese Richtung, da gibt es gespaltene Meinungen unter den Juristen, und ich möchte nachher natürlich auch nicht, dass ein solcher Prozess aus solchen Gründen wieder gecancelt wird, angefochten wird, erfolgreich angefochten wird, dann haben wir, glaube ich, alle ein Problem damit, dass wir dafür gekämpft haben, um hier mehrere Plätze noch zu sichern.

    Heuer: Herr Konken, wir haben noch 30 Sekunden. Ihre Prognose: Startet der Prozess wie jetzt geplant am 6. Mai, oder wird er noch mal verschoben?

    Konken: Ich hoffe es. Also es darf nicht mehr alles – alles andere darf jetzt oder muss jetzt in den Hintergrund treten. Dieser Prozess darf nicht noch mal länger verschoben werden. Also wenn, dann muss es eine ganz schnelle andere Lösung noch geben, die ich, glaube ich, nicht sehe. Also ich gehe davon aus, dass er startet, und dass alle anderen Kolleginnen und Kollegen hier leider keine Chance mehr haben, an dem Prozess teilzunehmen.

    Meurer: Michael Konken, der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbands, moniert die Auslosung beim Oberlandesgericht, hofft aber doch sehr, dass der Prozess gegen den NSU nächsten Monat stattfindet. Christine Heuer hat mit ihm gesprochen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.