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"Es muss uns um den Schutz der Allgemeinheit gehen"

Der CSU-Rechtspolitiker Norbert Geis spricht sich dafür aus, Berufung gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur nachträglichen Sicherungsverwahrung einzulegen. Das Gericht stelle den Täter zu sehr in den Mittelpunkt und berücksichtige den Aspekt des Opferschutzes nicht ausreichend.

Norbert Geis im Gespräch mit Jonas Reese | 14.01.2011
    Christoph Heinemann: Die Sicherungsverwahrung für Schwerverbrecher bleibt in Deutschland trotz der jüngsten Reform juristisch umstritten, denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte die Bundesrepublik erneut in vier Fällen und kritisierte einen Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention. Weil zahlreiche Fälle weiter umstritten sind und angefochten werden, könnten die Gerichte gezwungen sein, weitere Täter freizulassen. In Berlin kommen nach einer Entscheidung des Landgerichts von gestern drei verurteilte Sexualstraftäter aus der Sicherungsverwahrung frei. – Über das Urteil sprach mein Kollege Jonas Reese mit dem CSU-Rechtspolitiker Norbert Geis, der mit dem Richterspruch aus Straßburg nicht zufrieden ist.

    Norbert Geis: Ich halte das für sehr bedenklich. Der Europäische Gerichtshof denkt zu sehr an die Täter und denkt aber nicht an die Opfer und denkt vor allem nicht an den Schutz der Bevölkerung, denn die Sicherungsverwahrung dient dem Schutz der Bevölkerung. Es kommt keiner in die Sicherungsverwahrung, wenn er nicht ein im höchsten Maß gefährlicher Täter ist, der, wenn er in Freiheit ist, wieder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – das ist nämlich die Voraussetzung – eine Straftat begeht. Das ist das eine.
    Das andere ist, dass diese Sicherungsverwahrung keine Strafe ist. Der Täter hat seine Strafe abgebüßt und kommt nach Abbüßung der Strafe deshalb in die Sicherungsverwahrung, weil er, wie ich vorher sagte schon, gefährlicher Täter ist. Natürlich muss ein Zusammenhang bestehen zwischen seiner Tat, derentwegen er verurteilt und derentwegen er die Strafe abgesessen hat, und der Festsetzung dann der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Das Gesetz kann nicht nachträglich ein Verhalten oder eine Maßnahme eines Täters in den gesetzlichen Tatbestand hinein beziehen, wenn dieses Gesetz zu diesem Zeitpunkt gar nicht gegolten hat. Das ist richtig. Aber das gilt nur für Straftaten. Das gilt nicht, wie das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat – das muss man ja auch wissen -, für Maßnahmen der Sicherung und Besserung. Und bei der Sicherungsverwahrung geht es um eine solche Maßnahme. Deswegen gilt das Rückwirkungsverbot, gegen das sich der Europäische Menschengerichtshof wendet, nicht eben für Maßnahmen der Sicherung und Besserung, sondern nur für Strafmaßnahmen. Das hat man offenbar auch nicht erkannt beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, das hat aber das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont.

    Jonas Reese: Warum kommt denn dann der Europäische Gerichtshof zu diesem Urteil?

    Geis: Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof kommt zu diesem Urteil, weil er den Täter sieht. Der Täter begeht also eine Tat und bekommt dafür eine Strafe und bekommt dann auch nachträglich ausgesprochene Sicherungsverwahrung. Und zu dem Zeitpunkt, als er die Tat begangen hat, galt die Regelung, dass die Sicherungsverwahrung nicht länger dauern darf als zehn Jahre. Das hat der Gesetzgeber später umgeändert. Und Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof sagt also, diese spätere Umänderung und die Verlängerung der Sicherungsverwahrung damit über zehn Jahre hinaus verstößt gegen das Menschenrecht. Sie würde offenbar nicht gegen das Menschenrecht verstoßen bei Tätern, bei denen diese gesetzliche Festlegung, dass es nicht nur zehn Jahre, sondern länger dauern kann, schon gegolten hat. Dann würde der Europäische Menschenrechtsgerichtshof so also nicht urteilen. So verstehe ich das Urteil. Man kann es fast keinem Menschen klar machen, aber es ist nach meiner Auffassung ein zu spitzfindiges Urteil, das nun dem Täter die Möglichkeit gibt, wieder in Freiheit zu kommen.

    Reese: Von dem Urteil werden jetzt ungefähr 20 Menschen, hauptsächlich Gewalt- und Sexualstraftäter, betroffen sein. Sie haben nun ganz gute Chancen, freizukommen. Wie soll man mit denen umgehen?

    Geis: Ich darf noch eines dazu sagen. Die haben ja jetzt inzwischen ein Gesetz beschlossen, das jetzt rechtskräftig wird beziehungsweise wirksam wird, nach dem die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht mehr möglich ist. Wir haben ja die sogenannte primäre Sicherungsverwahrung. Dann spricht der Richter schon gleich beim Urteil aus: Wenn du deine Strafe abgesessen hast, musst du noch in die Sicherungsverwahrung. Dann haben wir die sogenannte vorbehaltene Sicherungsverwahrung. Da sagt das urteilende Gericht: Ich kann dir jetzt noch nicht die Sicherungsverwahrung aufbürden, weil ich mir nicht ganz sicher bin, aber ich behalte sie einmal vor. Das muss im Urteil stehen. Und dann haben wir die nachträgliche Sicherungsverwahrung. Die hatten wir bislang und diese nachträgliche Sicherungsverwahrung hat dasselbe Gericht ausgesprochen, wenn sich während dem Strafvollzug herausgestellt hat, was vorher nicht erkannt war, dass das tatsächlich ein Mann ist, der einen starken Hang zu schweren Verbrechen hat. Deswegen konnte bislang das Gericht die nachträgliche Sicherungsverwahrung aussprechen. Das ist jetzt in dem neuen Gesetz nicht mehr möglich, das haben wir abgeändert oder ziemlich stark abgeschwächt, sodass es also eigentlich keinen Grund mehr für den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gibt, solche Urteile zu fällen, nachdem das nach unserer jetzigen Gesetzeslage gar nicht mehr geht.
    Sie fragen, wie ist es möglich, jetzt mit diesen 20 oder 25 Tätern umzugehen. Das ist eine ganz schwierige Frage, weil wir uns nach diesem Urteil richten müssen. Jetzt haben wir eigentlich keine Chance, diese Täter festzuhalten. Die werden freigelassen und da müssen wir zunächst damit leben. Das geht nur so, dass hier eine verstärkte Polizeikontrolle notwendig ist.

    Reese: Sie hatten vor einigen Monaten auch mal angeregt, persönliche Daten wie Namen, Adresse oder ein Foto von den Tätern im Internet zu veröffentlichen. Wie stehen Sie heute dazu?

    Geis: Das ganz große Problem ist immer das An-den-Pranger-stellen von solchen Tätern. Nach meiner Auffassung ist das ein Urteil, das ergangen ist, das also öffentlich ist, da kann man eine solche Maßnahme treffen, ohne dass das jetzt nun ein Gesetzesverstoß wäre, jedenfalls nach meiner Beurteilung. Ich würde immer noch sagen, dass dies vielleicht eine Hilfe für einen größeren Schutz der Allgemeinheit ist. Es muss uns um den Schutz der Allgemeinheit gehen. Wir können das nicht einfach treiben lassen und da müssen wir uns einiges überlegen, und dann darf man auch nicht allzu zögerlich sein, denn wenn zum Schluss eine Tat begangen wird von einem solchen Täter, dann greifen wir uns alle an den Kopf.

    Reese: Deutschland kann beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in die zweite Instanz gehen bei diesem Urteil. Glauben Sie, dass es das macht?

    Geis: Ich würde das vorschlagen. Also ich schlage das vor. Ich meine schon, dass man das ausdiskutieren muss und dass man da jetzt nicht sich jetzt nur mit einem einzigen Urteil zufrieden gibt, sondern versucht, das noch einmal innerhalb des Gerichtes also durch eine Berufungsmaßnahme überprüfen zu lassen.

    Heinemann: Mein Kollege Jonas Reese im Gespräch mit dem CSU-Rechtspolitiker Norbert Geis.