Trash (Müll) oder doch Treasure (Schatz)? Der Eurovision Song Contest spaltet jedes Jahr Nationen, denn was für die einen ein musikalisches Show-Highlight ist, betrachten die anderen als peinliches Spektakel für Kulturbanausen. Was auch immer man darüber denkt: das mediale Großereignis lockt seit 1956 immer wieder Millionen vor die Bildschirme und schafft dadurch ein Gemeinschaftsgefühl, so wie die Fußball-WM oder Hochzeiten und Krönungen britischer Monarchen.
ESC 2023: Sieg für Schweden, Deutschland Letzter
Der Sieger des Eurovision Song Contest 2023 heißt wieder einmal: Schweden. Die schwedische Sängerin Loreen überzeugte mit "Tattoo" Jurys und Publikum und gewann den weltweit beachteten Musikwettbewerb nach 2012 bereits zum zweiten Mal. Ein Gewinner des Abends war aber auch die Ukraine, denn das von Russland angegriffene Land erntete beim ESC in Liverpool viel Solidarität. Deutschland landete mit der Dark-Rock-Band Lord of the Lost auf dem letzten Platz. Der Wettbewerb in Liverpool stand unter dem Motto "United by Music". Nach dem Sieg der ukrainischen Band Kalush Orchestra 2022 mit dem Song "Stefania" hätte die Ukraine eigentlich dieses Jahr den ESC ausrichten dürfen. Der Krieg verhinderte dies, Großbritannien sprang ein - und würdigte die Ukraine gebührend. Das Kalush Orchestra durfte die Show eröffnen und wurde dabei von britischen Künstlern wie Star-Komponist Andrew Lloyd Webber, Sängerin Joss Stone und dem ESC-Zweitplatzierten von 2022, Sam Ryder, unterstützt. Prinzessin Kate, die Frau des britischen Thronfolgers William, steuerte in der zunächst als Video eingespielten Version von "Stefania" sogar einige Takte auf dem Klavier bei. Daneben traten auch noch andere ukrainische Künstler in der Eröffnungsshow auf. Auch ukrainische Flüchtlinge waren im Publikum, zwei der Moderatorinnen des Abends trugen Abendkleider in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb.
Der Sieger des Eurovision Song Contest 2023 heißt wieder einmal: Schweden. Die schwedische Sängerin Loreen überzeugte mit "Tattoo" Jurys und Publikum und gewann den weltweit beachteten Musikwettbewerb nach 2012 bereits zum zweiten Mal. Ein Gewinner des Abends war aber auch die Ukraine, denn das von Russland angegriffene Land erntete beim ESC in Liverpool viel Solidarität. Deutschland landete mit der Dark-Rock-Band Lord of the Lost auf dem letzten Platz. Der Wettbewerb in Liverpool stand unter dem Motto "United by Music". Nach dem Sieg der ukrainischen Band Kalush Orchestra 2022 mit dem Song "Stefania" hätte die Ukraine eigentlich dieses Jahr den ESC ausrichten dürfen. Der Krieg verhinderte dies, Großbritannien sprang ein - und würdigte die Ukraine gebührend. Das Kalush Orchestra durfte die Show eröffnen und wurde dabei von britischen Künstlern wie Star-Komponist Andrew Lloyd Webber, Sängerin Joss Stone und dem ESC-Zweitplatzierten von 2022, Sam Ryder, unterstützt. Prinzessin Kate, die Frau des britischen Thronfolgers William, steuerte in der zunächst als Video eingespielten Version von "Stefania" sogar einige Takte auf dem Klavier bei. Daneben traten auch noch andere ukrainische Künstler in der Eröffnungsshow auf. Auch ukrainische Flüchtlinge waren im Publikum, zwei der Moderatorinnen des Abends trugen Abendkleider in den ukrainischen Nationalfarben blau und gelb.
Auch wenn es bei solchen Großereignissen meist strikte Vorgaben für das Verhalten aller Beteiligten gibt: Irgendein Schlupfloch findet sich immer, um offiziell unerwünschte oder sogar verbotene politische Aussagen unters Volk zu bringen. Allen voran der Eurovision Song Contest gilt als Gradmesser dafür, wer gerade mit wem gut kann oder eben auch nicht.
Wie wichtig sind ESC, Oscars & Co. für die Gesellschaft?
Jeder kennt das: die Treffen mit alten Freunden in der Jugendkneipe, Jahrestage in Beziehungen oder Feiertage. Regelmäßige Ereignisse mit bekannten Abläufen und Traditionen sind für viele Menchen wichtig, denn sie verbinden. Medienereignisse funktionieren prinzipiell ähnlich. Auch sie sind ein Anlass, bei dem sich die Aufmerksamkeit auf ein Ereignis und vor allem auch auf das gemeinsame Erleben des Ereignisses richtet, egal ob Bundesliga oder Quizshow. Dafür muss man auch nicht auf derselben Couch sitzen.
"Das Verbindende der Medienereignisse ist ja eben, dass man weiß, dass gleichzeitig auch überall anders im Land und vielleicht sogar weltweit ganz viele andere Menschen gerade ihre Aufmerksamkeit auf dieses Ereignis richten", sagt der Kommunikationswissenschaftler Jan Hinrik Schmidt vom Leibniz Institut für Medienforschung in Hamburg.
Besonders das Bewusstsein, dass man diese Dinge gerade nicht allein erlebe, sondern als Teil einer großen Publikumsgemeinschaft, könne Gemeinschaft und Zusammenhalt stiften.
Der ESC als Wertevermittler
Das funktioniere nicht nur bei einem Gesangswettberwerb, sondern auch bei Breaking News, sagt Schmidt. Auch da wendeten sich viele Menschen den Medien zu, um zu erfahren, was gerade live passiere: "Das ist also das geteilte Wissen. Medien liefern in der Hinsicht auch Gesprächsstoff, dass man sich am nächsten Tag auch nochmal mit den Bekannten darüber unterhält: Hast du das auch gesehen? Wie fandest du das?"
Medienereignisse könnten dabei auch Vehikel sein, um bestimmte gesellschaftliche Werte und Normen zu vermitteln. Darüber verständige man sich, in was für einer Gesellschaft man eigentlich lebe und welche Grenzen wie überschritten würden, beispielsweise bei der Wahl der Outfits. Um beim ESC zu bleiben - was für Diskussionen gab es, nachdem der österreichische Musiker Tom Neuwirth als Kunstfigur Conchita Wurst 2014 mit Bart und Ballkleid aufgetreten war?
Twitter versus "Wetten, dass...?" Die Rolle sozialer Medien
Erst in die Badewanne und dann noch mit den Eltern gemeinsam "Wetten, dass...?" schauen. So sah das früher oft aus, doch die klassischen Samstagabendshows spielen eigentlich kaum noch eine Rolle oder sind mindestens vom Aussterben bedroht, zu groß ist für das Fernsehen die Konkurrenz.
An einem Samstagabend läuft bei vielen längst nicht mehr das gleiche und auch nicht mehr gleichzeitig. Stattdessen hat jeder seine eigene Ecke mit personalisierten Informationen, oft maßgeschneidert von einem Algorithmus.
Ausnahmen bilden große Sportereignisse wie Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele, aber auch da gibt es längst viel mehr Optionen als diese nur vorm Fernseher zu schauen - zeitversetzt zum Beispiel oder als Video in sozialen Medien, die als Begleitkommunikation fast immer mitlaufen als "Second Screen".
„Das heißt, dass Menschen, während sie eine Entertainment-Show angucken, sich vielleicht parallel gerade mit ihrem erweiterten Netzwerk über WhatsApp oder über Twitter oder wo auch immer austauschen", sagt der Kommunikationswissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt.
Die Funktion des ÖRR für die Gemeinschaft
Was nicht jeder weiß: Der Öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) hat die Aufgabe, Zusammenhalt zu stiften. Im Medienstaatsvertrag, der den Auftrag des ÖRR festlegt, taucht das Wort "Zusammenhalt" explizit auf. So heißt es im dritten Abschnitt, Paragraph 26:
„Sie sollen (…) den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen.“
Im Rahmen eines deutschlandweiten Projekts zum gesellschaftlichen Zusammenhalt hat das Leibniz-Institut für Medienforschung in Hamburg Menschen danach gefragt, wie sie die Rolle öffentlich-rechtlicher Medien wahrnehmen, darunter auch viele Menschen Mitte 60 und älter. Viele hätten Kindheitserinnerungen geteilt, sagt der Kommunikationswissenschaftler Jan-Hinrik Schmidt: „Die erzählten dann ganz viel darüber, wie das so in der Familie und im Freundeskreis Gesprächsstoff geliefert hat. Teilweise auch – Stichwort Medienereignisse – wie ritualisiert das war."
Viele haben sich vielleicht auch deshalb sentimental in Bezug auf die "alten" Medien geäußert. Das Verbindende fehle. Wenn nicht mehr alle am selben Abend dieselbe Show gesehen haben, ist auch der Informationsstand nicht derselbe - ebenso sei das bei der Nutzung sozialer Medien, sagt Schmidt: „Man hat selber seine eigene personalisierte Informationswelt, aber wie das bei anderen aussieht, weiß man nicht.“
Wie politisch ist der Eurovision Song Contest?
Keine Ansprachen oder Gesten während des Contest: Die Regeln des ESC sind ziemlich klar, wenn es um politische Botschaften geht. Auf der Seite heißt es dazu:
"Der ESC ist eine unpolitische Veranstaltung. Alle teilnehmenden Rundfunkanstalten einschließlich der ausrichtenden Rundfunkanstalt haben dafür Sorge zu tragen, dass innerhalb ihrer jeweiligen Delegationen und Teams alle erforderlichen Schritte unternommen werden, um sicherzustellen, dass der ESC in keinem Fall politisiert und/oder instrumentalisiert wird."
Geklappt hat das nicht immer. Schon häufig wurde die ESC-Bühne zur Polit-Bühne. Erstmals 1964, als der ESC noch Grand Prix Eurovision de la Chanson hieß. Damals war es allerdings ein Zuschauer, der auf die Bühne stürmte und ein Plakat hochhielt: „Nieder mit Franco, nieder mit Salazar“, hieß es darauf und kritisierte die damaligen Diktatoren Spaniens und Portugals. Für letzteres Land reichte es am Ende für den 13. und damit letzten Platz.
2015 sang die armenische Gruppe "Genealogy" über den Genozid an den Armeniern, 2016 sang die Krimtatarin Jamala für die Ukraine über die Vertreibung ihrer Vorfahren von der Krim und gewann damit sogar den Wettbewerb.
Europäischer Zusammenhalt als Narrativ
Dass der ESC viel mehr ist als ein nur ein bisschen Show mit Glamour- oder Gruselfaktor, bestätigt auch die Medienwissenschaftlerin Aida Hollje. Sie promoviert an der Universität Lüneburg zur nationalen Rezeption des Eurovision Song Contests.
Das liege schon allein an seiner Entstehungsgeschichte, sagt Hollje. Der ESC wird von der Europäischen Rundfunkunion (EBU) ausgetragen. Die Geschichte dieser Organisation sei sehr stark mit der Entwicklungsgeschichte des europäischen Raumes verbunden, so Hollje. "Die ersten Medienanstalten, die Mitglieder waren, waren auch die Gründungsmitglieder der EWG." Das europäische Narrativ des Zusammenhaltens würde auch beim ESC deswegen immer wieder betont.
Warum die Menschen sich die Show anschauen, variiert nach Aussage von Hollje stark. Während der ESC in Deutschland als Ort gilt, an dem Akzeptanz und Toleranz gefeiert werden, sei das in den osteuropäischen Ländern anders. Allen voran die LGBT-Community werde eher verschwiegen. Das könne man in den Vorentscheiden immer wieder in der Publikumsbesetzung sehen, wo Mutter, Vater, Kind nebeneinander säßen. Wird der ESC in Deutschland oder Schweden als Pride-Veranstaltung "gefahren", ginge es in Osteuropa um die Bildung einer nationalen Identität. Jedes Land mache aus dem Eurovision Song Contest für sich ein anderes Ereignis.
Radiomoderator Peter Urban ist ein wahres Urgestein des ESC. Er war in diesem Jahr zum 25. und letzten Mal als ESC-Kommentator dabei. Zum Gefühl rund um das Show-Event sagte er: "Wie diese Länder zusammen kommunizieren, die Teilnehmer, die Journalisten, das Publikum, das ist wirklich ein tolles Beispiel für Harmonie. Sowas hätten wir in Europa eigentlich gerne dauerhaft.“
Quellen: Kathrin Kühn, Luca Rehse-Knauf, nsh