Wer nutzt in zehn Jahren noch das klassische Live-Fernsehen? Sollten öffentlich-rechtliche Sender stattdessen mehr Geld in Plattformen wie Tiktok investieren? Und wie sieht eine Mediathek aus, die mit großen Streaming-Anbietern mithalten kann?
Antworten auf solche Fragen soll der so genannte Zukunftsrat geben. Im Auftrag der Politik soll er Reformideen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk entwickeln. Aber bevor das Gremium besetzt worden ist, stellen manche schon in Frage, ob es viel bewegen wird. Der SPD-Politiker Carsten Brosda, der in Hamburg für Medienpolitik zuständig ist, bremste bei einer Diskussionsveranstaltung am Montagabend schon einmal die Erwartungen, wie der Mediendienst epd berichtete.
Medienpolitik will "raus aus der Debattenroutine"
Dabei war der Politiker an der Gründung des Zukunftsrates selbst beteiligt. Im Januar hatte die Rundfunkkommission der Länder, in der auch Brosda sitzt, die Idee des Expertengremiums erstmals vorgestellt. Es solle „zeitnah Empfehlungen für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seine Akzeptanz erarbeiten“, hieß es in dem Beschluss, auf den sich Medienpolitikerinnen und -politiker aus allen Bundesländern geeinigt hatten. Der Zukunftsrat soll überlegen, wie sich die Mediennutzung in den kommenden Jahren verändern wird und wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk dafür am besten aufstellen kann.
Fast klang es so, als würde sich die Medienpolitik Nachhilfe in Sachen Medieninnovation erhoffen. In der dazugehörigen Pressekonferenz betonte die Vorsitzende der Rundfunkkommission, die rheinland-pfälzische SPD-Medienpolitikerin Heike Raab, es gehe beim Zukunftsrat darum, nicht in denselben Strukturen zu denken wie bisher, man wolle „raus aus der Debattenroutine“.
Von einer „interdisziplinären Besetzung“ des Rats war die Rede: „Wir brauchen auch die Kreativen“, betonte Raab. Oliver Schenk, der als CDU-Medienpolitiker den Freistaat Sachsen in der Rundfunkkommission vertritt, forderte, dass mehrere Generationen teilnehmen müssten. Der Rat sei wichtig, weil man damit die Debatte „in den gesellschaftlichen Raum hinein“ öffnen könne.
Zukunftsrat soll im März starten
Im Februar wurde die Einrichtung des Zukunftsrats dann auch formal beschlossen. Schon im März soll er seine Arbeit beginnen und im Herbst erste Vorschläge vorlegen. Auf zwei Dinge legte die Rundfunkkommission dabei allerdings Wert: Die Arbeit des Rates ist zeitlich befristet. Und alle von ihm erarbeiteten Konzepte sollen lediglich „Vorschläge“ oder „Empfehlungen“ sein – mit denen sich die Rundfunkkommission dann wiederum auseinandersetzen wird.
Das Gremium könnte somit zum Impulsgeber in einem in mehrfacher Hinsicht schwerfälligen Reformprozess werden. Öffentliche Forderungen nach Veränderungen richten sich oft an die Sender selbst. Ihr Einfluss ist aber begrenzt: Sie dürfen zwar ihre Programme grundsätzlich verändern, sind dabei aber immer an ihren Programmauftrag gebunden. Die Intendantinnen und Intendanten können also zum Beispiel entscheiden, eine Sendung abzusetzen – mehrere Sendeanstalten zusammenlegen dürfen sie nicht.
Keine Reform ohne die Bundesländer
Die Rahmenbedingungen für größere Reformen legen die Bundesländer fest. Sie entscheiden, für welche Ziele der Rundfunkbeitrag eingesetzt werden soll. Die Mitglieder der Rundfunkkommission stammen allerdings aus verschiedenen Parteien, müssen sich also erst einmal einigen. Gleichzeitig hat auch ihr Einfluss Grenzen: Die konkrete Höhe des Rundfunkbeitrags wird zum Beispiel von einer unabhängigen Kommission bestimmt. Wenn sich die Politik also einen niedrigeren Beitrag wünscht, kann sie das nicht einfach beschließen, sondern muss stattdessen festlegen, welche Aufgaben die Sender in Zukunft nicht mehr erfüllen sollen. Diese Regelung soll den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vor direkter politischer Einflussnahme schützen.
Ein kreativer, kompetenter, diverser Zukunftsrat könnte jenseits dieser etablierten Strukturen einen neuen Blick auf das Thema bieten. Aber ob das tatsächlich klappt, ist unklar. Denn inzwischen ist bekannt, wer in dem Gremium nach dem Willen der Länder sitzen soll. Frei von parteipolitischen Interessen sind die bisherigen Vorschläge nach Informationen des Deutschlandfunk nicht.
Erste Nominierungen sind bekannt
Die SPD-geführten Bundesländer haben vier Namen vorgeschlagen, darunter Köpfe aus der privaten Medienwirtschaft wie die ehemalige Vorstandsvorsitzende des Verlagshauses Gruner+Jahr, Julia Jäkel, und die ehemalige Chefredakteurin des „Zeit-Magazin“, Maria Exner, aber auch Fachleute aus der Wissenschaft wie die Journalistikprofessorin Annika Sehl und den Medienrechtler Marc D. Cole.
Die von der CDU geführten Länder bringen mit dem ehemaligen Generaldirektor des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in der Schweiz, Roger de Weck, und der ehemaligen RTL-Geschäftsführerin Anke Schäferkordt ebenfalls zwei Menschen mit Praxiserfahrung ins Spiel – wobei Letztere das Amt schon abgelehnt haben soll.
Umstritten ist ein weiterer, von der Union vorgeschlagener Name: Johannes Beermann saß nicht nur im Vorstand der Bundesbank, sondern war davor auch Medienpolitiker in der CDU-Regierung in Sachsen – er steht der Parteipolitik also nahe. Auch ein weiteres mögliches Mitglied, Peter Michael Huber, hat einen politischen Hintergrund. Der Jurist, der bis Januar als Verfassungsrichter tätig war, war unter anderem für die CDU Innenminister in Thüringen.
Medienpolitiker Hoogvliet: "Auf einem guten Weg"
Die kursierenden Namen wollte der Vertreter Baden-Württembergs in der Rundfunkkommission, Rudi Hoogvliet von den Grünen, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk nicht bestätigen. Man sei bei der Besetzung grundsätzlich auf einem guten Weg, sagte er: "Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir eine gute, profunde, nach vorne gerichtete und kompetente Runde zusammenbekommen."
Hoogvliet sprach sich dafür aus, Bürgerinnen und Bürger am Reformprozess zu beteiligen: "Es muss darum gehen, dass Vertrauen zurückgewonnen wird." In einem Expertengremium sollten sie zwar nicht sitzen, er könne sich aber vorstellen, ein Bürgerbeteiligungsverfahren zu den Vorschlägen des Zukunftsrats aufzusetzen. Man könne zum Beispiel zufällig ausgewählte Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen dazu einladen, sich in einem moderierten Verfahren auszutauschen, Vorschläge zu erarbeiten und Position zu beziehen. In Baden-Württemberg habe man damit sehr gute Erfahrungen gemacht.
"Wichtig ist mir, dass die Debatte nicht nur in einem Expertenkreis geführt wird", sagte Hoogvliet. Weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk jeden betreffe, sei es sinnvoll, jeden zu beteiligen. Entscheiden würden am Ende aber die Landesregierungen, betonte er.
Diversität könnte Akzeptanz steigern
Kritik an der geplanten Besetzung des Zukunftsrats kam aus den Reihen der Sender: Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse forderte in einem Brief, an der Arbeit des Gremiums beteiligt zu werden. Die Redaktionsvertreter wünschen sich demnach, "dass wir entsprechend angehört werden, in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden und ein Mitspracherecht erhalten".
Aus Sicht des Medienjournalisten Volker Nünning, der seit vielen Jahren über die Rundfunkkommission berichtet, hat es durchaus Vorteile, den Zukunftsrat nicht parteipolitisch zu besetzen: „Wenn explizit nur Fachleute darin sitzen – Praktiker, Wissenschaftler, Frau, Mann, jung, alt, verschiedene Themengebiete abgedeckt sind –, dann hat ein Vorschlag, wie man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für in zehn Jahren aufstellen will, aus meiner Sicht viel mehr Gewicht“, sagte Nünning gegenüber dem Deutschlandfunk.
Die Arbeit des Gremiums könne eine Debatte auslösen, glaubt er – ob das gelingt, bleibe allerdings abzuwarten. „Die Frage ist, wie substanziell das alles sein kann, wenn schon in einem halben Jahr etwas vorgelegt werden soll und noch nicht einmal die Berufung der Mitglieder abgeschlossen ist.“ Außerdem sei offen, ob die Politik die Vorschläge letztendlich übernehme: „Die Länder müssen sich danach ja darauf einigen, ob sie die Empfehlungen unterstützen.“
Dass es bei der geplanten Reform letztendlich um eine politische Entscheidung geht, betonte auch der Bochumer Geschichtsprofessor Karsten Rudolph, der im WDR-Verwaltungsrat sitzt. In einem Gastbeitrag für medienpolitik.net forderte er, die Parlamente mit einzubinden: „Denn eine echte Reform bedeutet, Entscheidungen zu treffen, die genuin politischer Natur sind. Und dies können letzten Endes nur ausreichend demokratisch legitimierte Institutionen leisten, aber keine exekutivföderalistischen Kommissionen.“
Gegenüber dem Deutschlandfunk bestätigte Roger de Weck, seine Mitarbeit im Zukunftsrat zugesagt zu haben. Peter M. Huber bestätigte, eine Anfrage erhalten zu haben, alles Weitere sei offen.