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EU-Agrarreform
"Wir bräuchten eine Milliarde für den Umbau der Tierhaltung"

Milliardenschwere EU-Subventionen für mehr Naturschutz und Tierwohl - schon 2014 sollte Europas Agrarpolitik grüner und gerechter werden. Nun folgt die nächste Reform. Die bisherigen Vorschläge aus Brüssel seien aber "ziemlicher Quatsch", sagte Martin Hofstetter von Greenpeace im Dlf.

Martin Hofstetter im Gespräch mit Susanne Kuhlmann | 17.07.2018
    Schweine in der Schweinezucht und -mast
    Zwei Milliarden für Soziales, drei Milliarden für Tierwohl, Arten- und Klimaschutz: So will Greenpeace in Deutschland die jährlichen EU-Subventionen künftig verteilen (dpa/ picture-alliance/ Jens Büttner)
    Susanne Kuhlmann: Agrarminister-Treffen gestern in Brüssel. Wie werden 365 Milliarden Euro Subventionen an die Bauern in der Europäischen Union verteilt? Darüber wird alle sieben Jahre verhandelt und jetzt geht es um den Zeitraum von 2020 bis 2027. Bis dahin sind die Briten aus der EU ausgeschieden, künftig steht also erheblich weniger Geld zur Verfügung.
    Die EU hat Vorschläge zur gemeinsamen Agrarpolitik gemacht, die dafür sorgen sollen, dass das System gerechter und grüner wird. Die deutschen Agrarminister lehnen diese Pläne allerdings ab, weil sie meinen, die Bauern bekämen nicht nur weniger Geld, sondern müssten zusätzlich strengere Umweltauflagen erfüllen. Am Telefon in Hamburg ist Martin Hofstetter von Greenpeace, ein Agraringenieur. Herr Hofstetter, blicken wir zunächst auf die sogenannte erste Säule der Subventionen für Landwirte, die Direktzahlungen. Halten Sie das, was aus Brüssel kommt, für vernünftig?
    Martin Hofstetter: Hallo, Frau Kuhlmann. – Leider ist das, was da bisher vorgeschlagen wird, alles andere als vernünftig. Das ist mehr ein "weiter so" einer Politik, die die letzten 25 Jahre gemacht wurde und die vor allen Dingen großen Betrieben zugutegekommen ist. Das heißt, die landwirtschaftlichen Betriebe bekommen im Moment Geld aus dieser ersten Säule pro Hektar, den sie bewirtschaften – in Deutschland etwa 300 Euro. Und die, die viel Fläche bewirtschaften, kriegen viel Geld; die, die wenig Fläche bewirtschaften, wenig. Das hat zur Folge, dass 20 Prozent der Betriebe 80 Prozent der Zahlungen kriegen, also extrem unsozial, und das soll auch wenig geändert werden. Es wird diskutiert über Kappungsgrenzen, Höchstgrenzen; die wirken aber nicht. Das was da jetzt vorgeschlagen ist, ist völlig unzureichend.
    Ein Schreinerbetrieb würde über soviele Subventionen jubeln
    Kuhlmann: Warum wirken diese Grenzen denn nicht?
    Hofstetter: Weil es dann Freibeträge geben soll. Es soll pro Betrieb einen Freibetrag erst mal von 60.000 Euro geben. Das heißt, es gibt nur relativ wenig Betriebe, die überhaupt darüber gehen. 60.000 Euro, das entspricht bei 300 Euro je Hektar etwa 200 Hektar. So viele Betriebe in Nordrhein-Westfalen haben Sie gar nicht, die 200 Hektar bewirtschaften.
    Dann können diese Betriebe aber auch noch ihre Lohnkosten anrechnen – in vollem Maße. Das muss man sich mal vorstellen. Wenn jetzt ein Schreinerbetrieb in Deutschland eine Grundsubvention von 60.000 Euro kriegt und für jeden Angestellten dann auch noch die Lohnkosten, der würde jubilieren. In der Landwirtschaft ist so was Verrücktes möglich. Das finde ich erst mal sozial völlig Quatsch.
    Gleiche Regeln für alle EU-Staaten notwendig
    Kuhlmann: Blicken wir auf die Zahlungen für Umweltmaßnahmen, die sogenannte zweite Säule. Es geht um Klimaschutz, Gewässerschutz, Artenschutz. Was hat die EU vor?
    Hofstetter: Sie macht Vorschläge und sagt, in der Vergangenheit haben wir so viel Schläge eingesteckt, in Zukunft sollt ihr Länder eigentlich die Maßnahmen vorschlagen. Wir geben nur noch Ziele vor, macht ihr mal, ihr müsst das irgendwie erreichen. Das ist natürlich ganz fatal, weil dann wird jedes Land darauf achten, dass es möglichst wenig Anforderungen macht an seine Landwirtschaft, und wir fürchten ein "Race to the Bottom". Frau Klöckner sagt jetzt im Moment, wir müssen vor allen Dingen entbürokratisieren. Auch das klingt ja eher so, als wenn ich jetzt alle Anforderungen an die Landwirtschaft wegnehme und das Geld frei verteile.
    Dazu kommt dann noch ein weiterer Punkt. Diese sogenannte zweite Säule, wo ja diese ganzen Umweltmaßnahmen drin sind, Ökolandbau gefördert wird, Naturschutz, auch Tierschutz, der ist reduziert worden. Der Kommissar Oettinger hat gesagt, für diesen Bereich wird in Zukunft weniger Geld bereitgestellt. Die erste Säule, die alte Politik, wird beibehalten und die fortschrittliche Förderpolitik, die gezielte, die wird reduziert. Das ist fatal.
    Und dann dieses Runterbrechen, die Länder sollen mal selber machen und nur noch nach Brüssel schreiben, ja, wir haben uns bemüht und haben irgendwelche Ziele erreicht, das ist natürlich Quatsch. Wir brauchen gleiche Regeln für alle Länder. Wenn man es mal einfach sagt: Wir kriegen pro Jahr fünf Milliarden Euro aus Brüssel für die Landwirtschaft hier. Dann müsste man sagen: Okay, wir verteilen zwei Milliarden nach sozialen Kriterien, und dann bräuchten wir für Tierschutz, Umbau der Tierhaltung, eine Milliarde, eine Milliarde mindestens für Klima und natürlich für den Artenschutz, den Insektenschutz, den Bienenschutz eine Milliarde. Dann würde was Sinnvolles daraus. Das was die Brüsseler Bürokraten jetzt vorschlagen, das ist ziemlicher Quatsch.
    Kuhlmann: Kritik an der anstehenden Agrarreform kommt von allen Seiten, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Position von Greenpeace erläuterte Martin Hofstetter. Danke dafür nach Hamburg.
    Hofstetter: Gerne! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.