Donnerstag, 25. April 2024

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EU-Haushaltskompromiss
Freund (Grüne): EU-Kommission hat nicht genug Druck gemacht

Im Streit um EU-Gelder und Rechtsstaatsmängel in Mitgliedsländern gibt es einen Kompromiss. Der grüne EU-Parlamentarier Daniel Freund kritisiert dabei allerdings "schmerzhafte" Zugeständnisse an Polen und Ungarn. Die bekämen anderthalb Jahre Zeit, weiterzumachen wie bisher. Freund fordert, Sanktionen nicht weiter aufzuschieben.

Daniel Freund im Gespräch mit Sandra Schulz | 11.12.2020
Daniel Freund, Mitglied des Europäischen Parlaments, hält ein Mikrofon in der Hand und spricht
Der grüne EU-Abgeordnete Freund ist Mitglied im Haushaltskontrollausschuss und im Ausschuss für konstitutionelle Fragen (Imago)
Lange haben die EU-Staaten über ihren gemeinsamen Haushalt bis 2027 gestritten - Ungarn und Polen blockierten eine Einigung. Streitpunkt war ein neuer Rechtsstaatsmechanismus, der EU-Gelder an Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien knüpft.
Beim Gipfel der Staats- und Regierungschefinnen und -chefs in der Nacht auf Freitag (11. Dezember 2020) gab es einen Kompromiss. Bestimmte Verstöße sollen demnach Gelder-Kürzungen nach sich ziehen, allerdings können sich betroffene Länder wehren, unter anderem mit einer Überprüfung durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Ungarn und Polen haben angekündigt, diesen Schritt zu gehen.
Freund (Grüne): Keinen Aufschub für vertragsverletzende Staaten
Der grüne EU-Abgeordnete Daniel Freund, Mitglied im Haushaltskontrollausschuss und im Ausschuss für konstitutionelle Fragen, nennt die Einigung auf den Rechtsstaatsmechanismus einen "historischen Schritt", beklagt aber "schmerzhafte" Zugeständnisse. Durch den Kompromiss gewännen Polen und Ungarn eineinhalb Jahre Zeit, um "weiterzumachen wie bisher".
Er fordert, EU-Staaten mit rechtsstaatlichen Mängeln keine Aufschiebung durch eine EuGH-Prüfung zu gewähren, sondern erforderliche Sanktionen sofort zu verhängen. Das gäben geltendes europäisches Recht und bestehende Verträge auch längst her. Die EU-Kommission habe nicht genug Druck gemacht und den bestehenden Werkzeugkasten als Hüterin der Verträge nicht ausgeschöpft.
Freund kündigte für die Woche ab 14. Dezember eine Resolution mit "breiter Zustimmung" im EU-Parlament an. Das Parlament werde dafür kämpfen, geltendes Recht früher durchzusetzen als im Kompromiss vorgesehen.

Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Der Kompromiss, der jetzt gefunden ist, ist das ein guter Kompromiss?
Daniel Freund: Es ist erst mal ein historischer Schritt, dass wir diese Verbindung zwischen Einhalt von Rechtsstaatsprinzipien an die EU-Gelder knüpfen. Das ist erst mal ein guter und wichtiger Schritt.
Es ist allerdings schmerzhaft, dass man auf dem Weg hin zu diesem Kompromiss viele, viele Zugeständnisse gemacht hat und auch jetzt am Ende noch mal eine Zeitverzögerung wahrscheinlich eingebaut hat, die Orbán und Kaczynski noch mal anderthalb Jahre gibt, weiterzumachen wie bisher.
Schulz: Und im Zweifelsfall auch die Zeit, die Orbán in Ungarn braucht, um über die nächste Wahl zu kommen.
Freund: Genau. Das ist schmerzhaft. Wir als Parlament werden aber jetzt dafür kämpfen, dass dieser Mechanismus ab dem 1. Januar nächsten Jahres zum Einsatz kommt, weil das ist, was im Gesetz steht. Das ist auch das, was die Verträge vorsehen. Und das, was die Staats- und Regierungschefs da gestern in ihre Erklärung geschrieben haben, ist in dem Sinne erst mal weniger rechtlich bindend als Gesetz und Verträge. Wir werden die Kommission dazu anhalten, das geltende Recht durchzusetzen.
"Werkzeugkasten nicht ausgeschöpft"
Schulz: Wie wollen Sie das tun?
Freund: Dazu wird es nächste Woche im Europäischen Parlament eine Resolution geben. Die Gespräche dazu laufen aktuell. Aber es sieht danach aus, dass es eine breite Unterstützung dafür gibt. Dann wird es am Ende auf die Kommission ankommen. Die hat dann ein Signal von den Regierungen, die sagen, erst mal noch nicht anwenden, und ein Signal aus dem Europäischen Parlament, das sagt, geltendes Recht ist geltendes Recht und daran muss sich die Kommission als Hüterin der Verträge erst mal halten.
Schulz: Das ist ja einer der Punkte, die Sie auch anmahnen, nämlich dass die EU-Kommission jetzt mit dem Druck nicht nachlassen soll. Hat sie das nicht schon längst getan?
Freund: Wir haben in der Tat in den letzten Jahren gesehen, dass der Werkzeugkasten, der auch jetzt schon zur Verfügung steht, nicht ausgeschöpft wird. Vertragsverletzungsverfahren, Finanzstrafen, wenn sich an EuGH-Urteile nicht gehalten wird, auch Mittelkürzungen sind ja unter den aktuellen Regeln schon möglich. Da ist, glaube ich, die Meinung relativ weit verbreitet, dass die Europäische Kommission da nicht genug Druck gemacht hat. Wir haben eine Krise des Rechtsstaats in der Europäischen Union und wenn wir sehen, in welchem Ausmaß in Ungarn zum Beispiel Gelder geklaut werden, auch EU-Gelder, dann müssen wir da entschiedener Handeln.
"Orbán macht sich mit EU-Geldern die Taschen voll"
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Ungarns Premierminister Viktor Orban mit einer schwarzen Corona-Maske.
EU-Rechtsstaatsmechanismus - Zerbrechliche Werteunion 
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"Möglichst schnell zu einer Sanktion kommen"
Schulz: Wir sehen jetzt aber ja auch inhaltliche Abstriche, was das Durchsetzen von rechtsstaatlichen Garantien betrifft. Die Themen, an denen es so massive Kritik gegeben hat von der EU-Kommission, die Eingriffe in die Rundfunkfreiheit, die Eingriffe, der Umbau des Justizsystems. Kann das denn mit diesem Mechanismus, so wie er angelegt ist, jetzt sanktioniert werden?
Freund: Wir werden mit diesem Mechanismus nicht alle Probleme lösen können. Wir haben ein Kompetenzproblem, dass wir bei den Fragen des öffentlichen Rundfunks zum Beispiel nicht herankommen, nicht mit diesem Instrument. Die Hoffnung ist, wenn wir zumindest bei der Unabhängigkeit der Justiz, wenn wir bei Korruptionsfragen hier endlich ein scharfes Schwert bekommen, dass man insgesamt den Druck erhöhen kann und dann hoffentlich die Regierungen da zum Einlenken bekommt, auch in anderen Bereichen den Angriff auf den Rechtsstaat zu beenden.
Schulz: Sie haben es gerade gesagt. Einer der Streitpunkte oder der Kompromisspunkte ist jetzt natürlich auch diese zeitliche Verzögerung. Der Europäische Gerichtshof soll diesen Rechtsstaatsmechanismus jetzt erst mal prüfen. Welche Chancen, welche Möglichkeiten hat das Europäische Parlament jetzt, das zu beschleunigen?
Freund: Die Frage ist vor allen Dingen erst mal, ob während diese Prüfung dann läuft – das müssen wir ja erst mal abwarten, ob Polen und Ungarn das machen, aber davon würde ich jetzt im Moment auch ausgehen, dass wir da eine Prüfung verlangen -, dass aber während dieser Prüfung das Gesetz weiter gilt. So ist das in den Verträgen vorgesehen. So ist es ganz normal für jedes Gesetz, was ja so geprüft werden kann. Da darf man sich durch diese Prüfung, die dann läuft, erst mal nicht ausbremsen lassen. Die Kommission muss einfach das Verfahren trotzdem vorantreiben, so dass wir da möglichst schnell am Ende auch zu einer Sanktion kommen, wenn denn die Kriterien für eine Sanktion erfüllt sind.
"Frustrierender" Widerstand bei Klimaschutz-Debatte
Schulz: Wenn wir jetzt noch mal auf die letzte Nacht schauen. Ausgangslage war, dass der Streit um den Haushalt, um den dicken Batzen, die 1,8 Billionen Euro, dass das schon mal abgeräumt war. Aber dann ging es im Klimastreit, im Streit um die europäischen Klimaziele ja noch mal ums Geld. Es ist der Plan, bis 2030 die Emissionen um 55 Prozent zu reduzieren, im Vergleich zu 1990, aber dafür wollen jetzt einige osteuropäische Staaten wieder Geld. Wird das gehen?
Freund: Wir Grüne haben immer dafür gekämpft, dass es als Teil dieses großen Pakets möglichst viel Geld für diesen Umbau unserer Wirtschaft gibt. Das ist jetzt erst mal ein großer Erfolg, dass es in diesem Corona-Rettungsschirm deutlich mehr Geld gibt für den gemeinsamen Klimaschutz in Europa. Und ich hoffe, dass wir damit auch die Unterstützung wirklich am Ende von allen Mitgliedsstaaten bekommen. Es ist ein bisschen frustrierend zu sehen, dass trotz der großen Summen, die da schon angeboten wurden, einige Länder, gerade Polen, immer noch weiter Widerstand leisten, denn auch der polnischen Wirtschaft hilft es natürlich am Ende, wenn wir sie fit für die Zukunft machen und nicht weiter auf Technologien von vor 200 Jahren, die Verbrennung von Braunkohle setzen.
Schulz: Aber im Ergebnis ist natürlich auch der gesamten Europäischen Union geholfen, wenn da alle mit an einem Strang ziehen. Gibt es da jetzt auch zu stark möglicherweise ein Polen-Bashing, zu stark den moralischen Zeigefinger, dass gesagt wird, ihr habt da jetzt so quergetrieben, das geht jetzt gar nicht?
Freund: Wir sehen insgesamt in der Europäischen Union immer dann, wenn Entscheidungen einstimmig getroffen werden müssen, dass dann am Ende ein einziges Land sich querstellen kann und das verhindert, was alle anderen Mitgliedsstaaten oder eine sehr, sehr große Mehrheit der Mitgliedsstaaten wollen. Das haben wir jetzt beim Haushaltsstreit erlebt, das erleben wir bei dieser Klimadebatte, das erleben wir immer wieder auch in der Außenpolitik. Und ich glaube, das ist durchaus eine der Fragen, an die wir noch mal heran müssen, wenn die EU handlungsfähig bleiben soll und fit für die Zukunft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.