Donnerstag, 18. April 2024

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Katarina Barley (SPD) zum Rechtsstaatsmechanismus
"Orbán macht sich mit EU-Geldern die Taschen voll"

Die Europaparlamentarierin Katarina Barley (SPD) hat die EU-Kommission aufgefordert, konsequenter und schneller gegen die Rechtsstaatsverstöße in Polen und Ungarn vorzugehen. "Orbán gehört zu den korruptesten Regierungschefs der EU", sagte sie im Dlf. Es müsse jetzt gegengesteuert werden.

Katarina Barley im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.12.2020
Katarina Barley sitzt während einer Plenarsitzung im EU-Parlament auf ihrem Platz.
Katarina Barley (SPD) sieht auch Fehler bei Ursula von der Leyen (CDU) im Umgang mit Polen und Ungarn (imago / Martin Bertran)
Die Länder Polen und Ungarn hatten mit einem Veto den EU-Haushalt blockiert, weil ihnen Mittelkürzungen wegen Rechtsstaatsverstößen drohen. So will es der neue Rechtsstaatsmechanismus der EU. Doch jetzt hat die EU-Kommission wegen des Haushaltsstreits einen Kompromiss vorgelegt, der dazu führen könnte, dass die Maßnahmen erst in zwei Jahren greifen – und für die Regierungen in Polen und Ungarn erst einmal alles beim Alten bleibt.
Ungarns Premierminister Viktor Orban mit einer schwarzen Corona-Maske.
EU-Rechtsstaatsmechanismus - Zerbrechliche Werteunion 
Jahrelang haben Ungarn und Polen beim Thema Rechtsstaatlichkeit taktiert. Durch den Rechtsstaatsmechanismus soll ein Verstoß gegen bestimmte Werte der EU finanziell geahndet werden. Doch beiden Länder nutzen jetzt ihr Veto beim Corona-Hilfspaket als Druckmittel. Wie konnte es so weit kommen?
Die SPD-Politikerin Katarina Barley sieht dringenden Handlungsbedarf und hält ein schnelleres Vorgehen für möglich und nötig. Im Dlf sagte sie, wenn der Rechtsstaatsmechanismus erste in zwei Jahren greife, habe er ein wichtiges Ziel verfehlt. Denn dann könne Viktor Orbán die nächsten zwei Jahre – bis zur Wahl in Ungarn – genauso weitermachen wie bisher. Barley kritisierte in diesem Zusammenhang auch das Verhalten von EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU), die gegenüber Polen und Ungarn nicht hart genug durchgesetzt habe, was eigentlich die europäischen Werte seien, so Barley.
Tobias Armbrüster: Frau Barley, lassen Sie uns erst mal über diese Einigung im Haushaltsstreit sprechen. Wir haben das gerade gehört. Können Sie diesen Kompromiss, der da jetzt offenbar gefunden wurde, unterstützen?
Katarina Barley: Ich habe nicht den ganzen Beitrag mitbekommen. Entschuldigung! Das muss ich sagen. Meinen Sie jetzt die Rechtsstaatskonditionalität oder die gesamte Einigung?
"Orbán gehört zu den korruptesten Regierungschefs der EU"
Armbrüster: Richtig. Die Einigung mit Polen und Ungarn im Haushaltsstreit, im Streit um den Rechtsstaatsmechanismus. Genau!
Barley: Das muss man schon noch sehr genau prüfen. Das hat Ihr Kollege in dem Beitrag ja auch gesagt. Was ganz klar ist: Die Rechtsstaatskonditionalität ist beschlossen und das kann jetzt nicht durch einseitige Erklärungen des Rates noch mal irgendwie abgeändert werden. Denn einseitige Erklärungen sind das, was eine der drei beteiligten Parteien dazu meint, aber das hat keine rechtlich bindende Qualität für einen Beschluss, der vorher rechtsverbindlich gefasst worden ist. Das muss man klar sehen, weil es hört sich in manchen Passagen so an, als wollten sie wirklich Regelungen verändern, und das können sie nicht mit so einer einseitigen Erklärung. Sie können allerdings – und das steht drin – mit der Kommission sich darauf einigen, dass die bestimmte Sachen später anwendet, und das ist sehr problematisch. Das hat der Kollege Körner ja auch schon gesagt. Wenn das Ganze jetzt erst in zwei, drei Jahren greifen sollte, dann verfehlt es ein wichtiges Ziel. Viktor Orbán macht sich mit EU-Geldern die Taschen voll. Das macht er seit langer Zeit, seit zehn Jahren jetzt. Er gehört zu den korruptesten Regierungschefs der EU. Und genau dem sollte ja ein Riegel vorgeschoben werden. Wenn er jetzt noch weitere zwei Jahre bis zur nächsten Wahl in Ungarn so weitermachen kann, dann wäre ein wichtiges Ziel hier verfehlt. Da muss gegengesteuert werden.
Mateusz Morawiecki (r), Premierminister von Polen, trägt einen Mundschutz und begrüßt Viktor Orban, Premierminister von Ungarn, ebenfalls mit Mundschutz.
Schonfrist für Ungarn und Polen
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Armbrüster: Frau Barley, können Sie Ihren Kollegen im Europaparlament denn empfehlen, diesem Kompromiss so, wie er jetzt offenbar auf dem Tisch liegt, auch zuzustimmen?
Barley: Das Parlament muss sehr klar machen, dass manches, was in diesem Dokument steht, nicht so interpretiert werden kann, wie Viktor Orbán und Herr Kaczynski in Polen das interpretieren wollen und das sicherlich in ihren Medien auch so feiern werden, nämlich dass sie diesem Instrument Zähne ziehen wollen. Das wird nicht gehen und das muss das Parlament seinerseits klarstellen.
"Es hängt davon ab, wann der Gerichtshof angerufen wird"
Armbrüster: Aber ganz klar scheint ja offenbar zu sein, es soll jetzt erst mal diese Schonfrist geben, diese zwei oder drei Jahre, bis der Europäische Gerichtshof in Luxemburg darüber entschieden hat. Wäre das für Sie eine Kröte, die Sie schlucken würden, oder würden Sie an dem Punkt sagen, nein, das geht nicht, dann stimmen wir dem nicht zu?
Barley: Es stehen keine Jahreszahlen drin. Es steht nicht drin, zwei bis drei Jahre, sondern es steht drin, die Kommission wird Guidelines erarbeiten, erklären, wie sie diese Regelungen auslegen will, und dann soll darüber noch der Europäische Gerichtshof entscheiden und so lange wird die Kommission den Mechanismus nicht anwenden. So steht es drin.
Nun hängt es davon ab, wann der Gerichtshof angerufen wird, und es hängt davon ab, wie schnell er entscheidet. Vielleicht sollte man auch mal prüfen, ob nicht das Parlament den Gerichtshof anrufen kann. Dann würde das Ganze schon etwas schneller gehen.
Armbrüster: Was würde das Parlament dann unternehmen?
Barley: Na ja. Das Parlament hat auch das Recht, ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof einzuleiten, und das wäre zumindest einmal wert, geprüft zu werden. Ob das am Ende durchgeht, muss man sehen, aber die Taktik von Orbán, das Ganze immer weiter rauszuziehen, dem darf sich das Parlament nicht einfach fügen.
"Ich würde den Europäischen Gerichtshof nicht unterschätzen"
Armbrüster: Aber was würden Sie dann machen? Das lesen wir heute ja in allen Zeitungen. Das sagen alle Analysen, dass diese Prüfung in Luxemburg beim Europäischen Gerichtshof zwei Jahre zirka in Anspruch nehmen wird. Was würden Sie machen, wenn sich das tatsächlich so lange hinzieht? Würden Sie dann als Parlament sagen, Moment, Leute, da müssen wir jetzt eine Reißleine ziehen, so war das nicht verabredet?
Barley: Wir können die Kommission nicht dazu zwingen, tätig zu werden. Das ist ein Problem der europäischen Gesetzgebung, dass manche Rechte nur die Kommission hat. Das wird hier versucht auszuspielen.
Ich würde allerdings auch den Europäischen Gerichtshof nicht unterschätzen. Der Europäische Gerichtshof hat sich in der Causa Ungarn und Polen schon sehr, sehr deutlich geäußert. Wir hatten am 1.12. Gerade noch eine mündliche Verhandlung zu den Disziplinarkammern in Polen, zu diesen neuen Kammern, die Richter und Richterinnen drangsalieren in Polen. Der Europäische Gerichtshof ist da sehr klar. Ich würde das nicht unterschätzen, dass der Europäische Gerichtshof auch durchaus diese Frage prioritär behandelt und da deutlich schneller ist als die normalen Verhandlungsdauern so vorhersagen. Wichtig ist nur, dass die Kommission zügig tätig wird, und da haben wir relativ wenig Möglichkeiten, Druck auszuüben. Das liegt in der Hand von Ursula von der Leyen, die bisher, muss man sagen, gegenüber Polen und Ungarn nach meinem Dafürhalten und dem vieler Kolleginnen und Kollegen nicht hart genug durchgesetzt hat, was eigentlich die europäischen Werte sind, und das muss schnell gehen. Diese Guidelines zu erarbeiten, das muss schnell gehen. Ich habe Zutrauen in den Europäischen Gerichtshof, dass der zügig arbeitet.
"Gerade die konservative Parteienfamilie hat Orbán hofiert"
Armbrüster: Was hat Ursula von der Leyen da falsch gemacht?
Barley: Als sie ihr Amt übernommen hat, hat sie sehr betont, dass man Brücken bauen muss, man Dialog führen muss. Das ist auch alles richtig. Nur man darf ja nicht so tun, als wäre das vorher nicht geschehen. Mit der Regierung Orbán ist über zehn Jahre Dialog geführt worden. Man darf ja nicht vergessen: Gerade die konservative Parteienfamilie hat Orbán geradezu hofiert. Bei der CSU war er jedes Jahr Ehrengast auf deren Veranstaltungen, auf deren Parteitagen und Klausurtagungen. Mit ihm ist wirklich lange, lange versucht worden, eine Lösung zu finden und ihn zum Einhalten der europäischen Werte zu bewegen. Das hat überhaupt nicht funktioniert. Das ist immer schlimmer geworden. Und die Idee, dass man ihn jetzt mit gutem Zureden bewegen könnte, wieder in den Schoß der europäischen Werte zurückzukehren, die war einfach von vornherein zum Scheitern verurteilt. Leider muss man sagen, dass sowohl die Regierung in Budapest als auch die in Warschau nur die Sprache des Geldes anscheinend zu verstehen scheint.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.