Dienstag, 19. März 2024

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EU-Pässe gegen Geld
„Für Zyperns Eliten war das extrem lukrativ“

Die EU hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Zypern wegen käuflicher Pässe eingeleitet. Der Politologe Hubert Faustmann geht davon aus, dass das Land eine Vertragsstrafe zahlen und die Praxis einstellen wird. Vor allem die Eliten Zyperns hätten von den "goldenen Pässen" profitiert, sagte er im Dlf.

Hubert Faustmann im Gespräch mit Manfred Götzke | 21.10.2020
Die zyprische Hauptstadt Nikosia
Mit "goldenen Pässen" ließ sich bislang auf Zypern viel Geld verdienen - dem will die EU nun ein Riegel vorschieben (AFP / Roy Issa)
"Europäische Werte sind nicht verkäuflich", sagte die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in ihrer Rede zur Lage der Nation kürzlich, und sie meinte damit ganz explizit auch EU-Pässe. EU-Pässe können in manchen Ländern nämlich gekauft werden, etwa in Malta, Bulgarien und in Zypern. In Zypern sind zum Beispiel zwei Millionen Euro an Immobilieninvestitionen fällig. Dass Menschen über Investitionen Daueraufenthaltsgenehmigungen und dann eben nach fünf oder sechs oder sieben Jahren auch Staatsangehörigkeiten erwerben, sei nicht unüblich, sagte der Politologe Hubert Faustmann im Dlf. Doch dass Menschen direkt und ohne länger im Land zu leben Bürger würden, sei "eine Praxis, die die EU nicht länger tolerieren wird".
Wie in einer Dokumentation des Fernsehsenders Al Jazeera berichtet wurde, konnten auf diese Weise Menschen mit krimineller Vorgeschichte nach Zypern und damit in die EU kommen.
Die EU-Kommission will das nicht länger zulassen und hat nun ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Malta und Zypern gestartet. Mit dem Verfahren und den sogenannten "goldenen Pässen" kennt sich Hubert Faustmann aus, Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Nikosia, Zypern, und Professor für Politikwissenschaften an der dortigen Universität.
Auf der griechisch-zypriotischen Hälfte der Stadt Nikosia in Zypern erheben sich neue Wolkenkratzer.
Zypern - Wie sich Investoren Staatsbürgerschaften kaufen
Um Investoren ins Land zu locken, vergibt die zyprische Regierung einen Pass, wenn ein Investor mindestens zwei Millionen Euro ins Land steckt. Damit werden die Investoren auch zu EU-Bürgern.
Manfred Götzke: Herr Faustmann, was könnte Zypern da jetzt aus Brüssel drohen?
Hubert Faustmann: Ich denke, dass die schlechten Praktiken, die hier so eindeutig belegt sind, dass da mit Sicherheit Strafzahlungen drohen könnten, aber ich denke, entscheidend wird der politische Druck sein, dieses Programm in dieser Form abzuschaffen, da werden Zypern und wohl auch Malta nicht drumherum kommen.
Auch Kriminelle konnten Pässe erhalten
Götzke: Zypern steht ja schon seit Jahren wegen dieser Praxis der goldenen Pässe in der Kritik. Warum hat die Regierung so lange daran festgehalten, war es einfach zu lukrativ?
Faustmann: Es war extrem lukrativ, vor allen Dingen für die Eliten. Es war ja so, dass man nach einigen Skandalen letztes Jahr das Gesetz geändert hat und 26 eindeutig Kriminellen die Staatsbürgerschaft wieder aberkannt hat und dann eben behauptete, jetzt sei die Überprüfung so gründlich, dass dieser Missbrauch ausgeschlossen sei. Das Entscheidende an dieser Al-Jazeera-Dokumentation war eben, dass das beweist, dass das eben nicht der Fall war, dass die Schutzbehauptung Zyperns, dass ab jetzt nur Menschen ohne kriminelle Vorgeschichte die Pässe erwerben können, dass diese Schutzbehauptung eben nicht stimmt.
"Politische Elite in diese Geschäftspraktiken involviert"
Götzke: Da ist ja vor einer Woche der Parlamentspräsident des Landes zurückgetreten, weil er in einem Bericht von Al Jazeera von jener Dokumentation mit verdeckter Kamera selbst solche Pässe vermittelt haben soll. Wie sehr hat dieser Fall auf Zypern selbst für Furore gesorgt?
Faustmann: Das schlug schon ein wie eine Bombe. Es war ja so, dass das ein Parlamentarier war und der Parlamentspräsident quasi seine Hilfe angeboten hat. Er war nicht der direkte Vermittler, hat aber seine aktive Unterstützung angeboten. Natürlich, wenn die Nummer zwei des Staates gehen muss, war das ein Riesenskandal, vor allen Dingen, wenn man weiß, wie weitreichend diese Geschäftspraktiken sind und wie weit die politische Elite eben in diese Geschäftspraktiken involviert ist. Wenn das jetzt illegal passiert, selbst in Verletzung der eigenen Gesetze, wird es natürlich auch politisch gefährlich für Menschen, die darin involviert sind.
Götzke: Wie viel hatte der Staat da insgesamt mit verdient in den vergangenen Jahren?
"Kein positiver Effekt auf die Gesamtheit"
Faustmann: Der Investitionsbetrag wird geschätzt zwischen sieben und zehn Milliarden Euro, wobei der Staat selbst aber nur sehr wenig profitiert hat. Die direkten Steuereinnahmen seit Beginn dieses Programms werden zwischen 200 und 300 Millionen Euro geschätzt, das ist also sehr, sehr wenig, was die Allgemeinheit davon direkt profitiert. Wer davon profitiert, sind andere, eben Politiker, Rechtsanwälte, Baufirmen, bis zu einem gewissen Grad Teile der Wirtschaft, die eben mit Bauarbeiten zu tun haben oder Luxusautos verkaufen, aber es ist ein sehr kleiner Prozentsatz, der davon direkt profitiert. Der wirklich positive Effekt auf die Gesamtheit, der ist nicht in dem Maße da, wie man es erwarten würde.
Götzke: Das heißt, da wurden vor allem Luxusapartments mit gebaut und Luxusautos mit verkauft?
Faustmann: Ja, also in ganz Limassol – das ist da am schlimmsten – wird jetzt mit Hochhäusern verbaut, die meistens leer stehen, weil diese Menschen ja gar nicht auf Zypern wohnen, die Ästhetik der Insel ruinieren und die Wohn- und Mietpreise so hochgetrieben haben, dass es für die normalen Zyprioten in Limassol immer schwieriger wird, Eigentum zu kaufen oder Wohnungen zu mieten. Da sind die Auswirkungen sogar eher sehr negativ.
Götzke: Sie haben ja schon die Elite angesprochen, der stellvertretende Parlamentspräsident hat sein Amt ruhen lassen. Sind noch weitere Spitzenpolitiker dort involviert?
Faustmann: Direkt betroffen waren bis jetzt nur ein Abgeordneter, der zurückgetreten ist, und der Parlamentspräsident, der mittlerweile auch zurückgetreten ist. Es ist ja so, dass Al Jazeera eben nachgewiesen hat, dass die zwei geltendes Recht gebrochen haben. Es gibt wenig Zweifel, dass ein Großteil oder sehr viele der politischen Elite Zyperns in dieses Passprogramm involviert sind. Entscheidend ist aber nicht, ob die damit Geld verdient haben, sondern entscheidend ist, ob sie, wie in der Dokumentation eben belegt, Gesetze gebrochen haben. Wir wissen, dass Al Jazeera noch nachlegen wird, es gibt wohl noch zwei weitere Dokumentationen, und es ist damit zu rechnen, dass da weitere schlechte Praktiken aufgedeckt werden, in die möglicherweise eben auch noch mächtige Politiker involviert sein könnten.
Gemischte Reaktion der Bevölkerung
Götzke: Das heißt, wichtige Politiker dieses Landes verdienen ihr Geld mit zweifelhaften, zum Teil illegalen Mitteln. Wie wird das denn in der Bevölkerung wahrgenommen?
Faustmann: Es ist gemischt. Einerseits gibt es auf Zypern eine gewisse Grundbewunderung für Menschen, die Geld verdienen, das ist auf der Insel leider sehr weit verbreitet. Es gibt eine Verachtung für die korrupten Eliten, aber ohne dass sich das in Protesten niederschlüge. Es ist ein sehr gemischtes Verhältnis, zumal man da noch bedenken muss, dass die Zyprioten sich halt 2013 von der EU – sicher auch zu Recht – ungerecht behandelt fühlten, als es einen Haircut gab und viele Menschen Gelder auf der Bank verloren hatten. Das Programm wurde verkauft als eine Maßnahme, um wirtschaftlich wieder auf die Beine zu kommen, nachdem die EU Zypern so schlecht behandelt hat. Insofern ist da noch so eine Gerechtigkeitsdiskussionsdebatte mit reingerutscht, die diese Geschäftspraktiken leichter gemacht hat.
EU-Standards zur Verleihung von Staatsbürgerschaften auch auf Malta und Zypern
Götzke: Noch mal ganz kurz zum Schluss, Herr Faustmann: Zypern hat ja jetzt vor diesem Verfahren angekündigt, diese Praxis einzufrieren. Warum hat diese Ankündigung in Brüssel nicht gereicht?
Faustmann: Weil man jetzt ja schon einmal schlechte Erfahrungen damit gemacht hat, dass die Zyprioten ihr System eben nicht so reformiert haben, dass es über alle Zweifel erhaben ist. Es geht eben darum, dass ja viele EU-Mitgliedsländer die Möglichkeit haben, über Investitionen Daueraufenthaltsgenehmigungen und dann eben nach fünf oder sechs oder sieben Jahren auch Staatsangehörigkeiten zu erwerben, das ist nicht unüblich. Aber das man direkt und ohne dass die Menschen länger in dem Land leben, Staatsbürgerschaften verleiht, das ist sicher eine Praxis, die die EU nicht länger tolerieren wird, und da stehen Malta und Zypern unter erheblichem Druck, das, sagen wir mal, auf die Standards zu bringen, die in der Mehrzahl der europäischen Mitgliedsländer Praxis sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.