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EU-Urheberrechtsreform
„Die Autoren haben nicht mehr Rechte als vorher“

Die EU-Urheberrechtsreform hat das EU-Parlament passiert. Die Prüfung von Inhalten vor deren Upload ins Netz bringe Autoren keine zusätzlichen Einnahmen, sagte der Geschäftsführer des Verbands Bitkom, Bernhard Rohleder, im Dlf. Vielmehr würden urheberrechtsverletzende Inhalte nicht mehr veröffentlicht.

Bernhard Rohleder im Gespräch mit Philipp May | 27.03.2019
Bernhard Rohleder ist Hauptgeschäftsführer des IT-Branchenverbands Bitkom
Bernhard Rohleder ist Hauptgeschäftsführer des IT-Branchenverbands Bitkom (Imago/ )
Philipp May: Gemischte Reaktionen nach dem Ja des Europaparlaments zur Reform des Urheberrechts. – Am Telefon ist jetzt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Digitalunternehmen, Bitcom, auch er ein Kritiker der neuen Urheberrichtlinie. Schönen guten Abend, Herr Rohleder.
Bernhard Rohleder: Schönen guten Abend, Herr May.
May: Stimmen Sie jetzt auch ein in den Chor derer, die das absehbare Ende der Meinungsfreiheit im Netz beklagen?
Rohleder: Die Meinungsfreiheit ist im Grundsatz sicherlich dadurch nicht gefährdet. Aber wir greifen tief in sie ein und das macht uns sehr nachdenklich, wenn wir sehen, mit welcher Ignoranz und Arroganz hier über die Meinung vornehmlich junger Menschen, sehr internetaffiner Menschen hinweggegangen wurde, ohne, ich meine, sehenden Auges auch darauf zu blicken, was man tatsächlich tut.
May: Gut. Aber jetzt kann man auf der anderen Seite sagen: Diese Reform räumt Künstlern, Verlagen und Autoren auch in Zukunft deutlich mehr Rechte über ihr geistiges Eigentum ein gegenüber den großen Plattformen Facebook, Google und Co., die Milliarden-Gewinne einstreichen. Wo ist da der Skandal?
Rohleder: Die Autoren haben ja nicht mehr Rechte, als sie vorher hatten. Es werden nur die Plattformen jetzt zusätzlich in die Verantwortung genommen.
May: Okay! Mehr Handhabe, um es mal so zu formulieren.
Rohleder: Auch das weiß ich nicht. Es gab ja bislang und gibt es heute das Verfahren Notice and take down. Dort, wo es echte Urheberrechtsverletzungen gibt, kann verlangt werden und wird verlangt, dass diese Inhalte aus dem Internet entfernt werden. Das tun die Plattformen auch. Die echten Probleme, die man dort hat, wo Geld verdient wird mit dem illegalen Upload von Inhalten von kriminellen Organisationen, die werden damit ohnehin nicht gestoppt.
"Ich wüsste nicht, auf welchem Weg Erlöse erzielt werden sollten"
May: Woran machen Sie das fest? Warum glauben Sie das?
Rohleder: Da reden wir über Server, die irgendwo in der Karibik stehen. Sie kennen vielleicht Kino.to, Server, wo es zu kommerziellen Zwecken illegale Kopien gibt in sehr hoher Qualität. Das war in der Vergangenheit schon kriminell; das ist weiterhin kriminell und entzieht sich völlig der Richtlinie in der jetzt überarbeiteten Fassung.
May: Wie kommt es denn, dass jetzt sich so viele professionelle Musiker, Autoren sehr freuen, weil sie sagen, sie haben jetzt tatsächlich die berechtigte Hoffnung, über das Internet Erlöse mit ihren Kompositionen zum Beispiel zu erzielen, was sie vorher nicht hatten?
Rohleder: Ich wüsste nicht, auf welchem Weg diese Erlöse erzielt werden sollten. Es gibt jetzt ein neues Leistungsschutzrecht. Es gibt in Deutschland seit 2013 bereits ein Leistungsschutzrecht, das zu keinerlei Einnahmen für die Verlage oder für die Autoren geführt hätte. Was jetzt passiert ist, dass alle Inhalte zunächst mal geprüft werden, bevor ein Upload möglich ist (es werden in der EU täglich mehr als eine Milliarde Uploads getätigt), und dann verschwinden diese Inhalte aus dem Internet beziehungsweise tauchen dort erst gar nicht auf. Das heißt aber ja nicht, dass ein Autor dadurch zusätzliche Einnahmen erzielt, sondern das heißt schlichtweg, dass ein junger Mensch, der zum Beispiel einen Song nachspielt, dieses nicht mehr als Video bei YouTube veröffentlichen kann, weil er damit tatsächlich gegen Urheberrechte verstößt. Aber deshalb hat ein Autor, derjenige, der den Song im Original geschrieben hat, ja nicht von heute auf morgen mehr Geld. Beim Autor kommt davon nichts an.
May: Aber kann es nicht auch sein, dass der Protest deswegen so groß ist, weil sich alle schon an das "anything goes", und zwar gratis, im Netz gewöhnt haben?
"Was jetzt passiert ist, ist eine enorme Entfremdung"
Rohleder: Im Netz gibt es kein "anything goes"! Ich glaube, es gibt viele Vorurteile und auch Fehlinformationen darüber. Es gilt "Notice and take down". Wir müssen aber überlegen, wo entsteht denn überhaupt ein Schaden. Entsteht bei einem erfolgreichen Popkünstler ein Schaden dadurch, dass ein 13-jähriges Mädchen oder ein 13jähriger Junge in schlechter Qualität diesen Song nachspielt? Ich würde sagen nein, sondern es ist förderwürdig, dass auf dem Weg vielleicht zusätzliche Motivation auch für junge Menschen entsteht, sich mit Musik aktiv zu befassen, und eventuell gibt es sogar kostenlose Werbung für den Originalsong.
May: Sie sagen jetzt, im Prinzip hätte es überhaupt gar keine neue EU-Urheberrichtlinie gebraucht, weil die Gesetze, die wir haben, die sind ausreichend?
Rohleder: Wir haben ausreichende Gesetze, ausreichende Verfahren. Was uns fehlt ist Unrechtsbewusstsein bei jungen Menschen, und an der Stelle sollten wir ansetzen. Was jetzt passiert ist, ist eine enorme Entfremdung, ein echter Riss zwischen dem politischen Establishment, auch dem etablierten Kulturbetrieb und jungen, internetaffinen Menschen. Wir brauchen eigentlich das Gegenteil. Wir brauchen mehr Verständnis beider Seiten und darauf sollten wir uns jetzt konzentrieren.
May: Jetzt ist aber vor allen Dingen dieses Unverständnis in Deutschland sehr groß gewesen, auch vor allen Dingen das Unverständnis der Internetgemeinde. Hier ist der Protest massiv gewesen. In den meisten anderen EU-Ländern waren die Befürchtungen weniger groß. In Frankreich beispielsweise ist eine klare Mehrheit, glaube ich, für die EU-Urheberrechtsreform. Sind die alle nicht so weitsichtig wie hier?
Rohleder: Die Situation in Frankreich kann ich von Berlin aus nicht beurteilen. Aber ich kann die Sachlage beurteilen und ich kann die Rechtslage beurteilen. Wir haben uns hier einen Bärendienst erwiesen und ich bin mir sicher, dass diejenigen, die jetzt jubeln, an ihrem Sieg, an diesem vermeintlichen Sieg noch schwer zu tragen haben werden. Es gibt auch Siege, die Pyrrhussiege sind, und einen solchen erleben wir gerade.
May: Inwiefern werden sie daran schwer zu tragen haben? Was glauben Sie, was wird passieren?
Rohleder: Ich glaube, dass die Entfremdung, die wir auch bei den Freitagsdemos erleben, diese Entfremdung zwischen …
May: "Fridays for Future" meinen Sie gegen den Klimawandel.
"Positionierung für Urheberrechte, gegen Meinungsfreiheit"
Rohleder: Genau. – Ich glaube, dass bei den Demonstrationen junge Menschen, die wir freitags erleben, und dem, was wir jetzt auf der Straße gesehen haben, wo es dann auch zu Beschimpfungen von beiden Seiten kam, aber auch von dem politischen Establishment gegenüber den jungen Menschen, die als Bots bezeichnet wurden, die als gekauft bezeichnet wurden, die auch als dümmlich bezeichnet wurden, von denen man sagte, sie wissen überhaupt nicht, was sie da tun.
Ich glaube, sie wissen da sehr viel mehr, was sie tun, und man muss sie dort, wo ihnen Informationen fehlen, zum Beispiel über das, was im Internet erlaubt ist, was aber auch verboten ist, dort muss man sie informieren, anstatt sie in ein Korsett zu legen und ihnen Dinge zu verbieten, die sie über Jahre liebgewonnen haben.
May: Jetzt haben die nationalen Parlamente zwei Jahre Zeit für eine Gesetzgebung. Die Berliner Koalition betont, sie wolle keine Upload-Filter vorschreiben. Kann das als deutscher Sonderweg funktionieren?
Rohleder: Internationale Entwicklungen sind mit nationalen Sonderwegen kaum irgendwo abzufedern. Wir haben ja zunächst noch ein neues Datum, und das ist der 9. April. Dann trifft sich der Europäische Rat und hier ist die Bundesregierung noch mal am Zug. An ihrer Stimme hängt die Entscheidung. Hier ist jetzt die Bundesregierung gefordert, an der Stelle, wo sie noch mal mehr als nur das Zünglein an der Waage spielen kann, auch aktiv zu werden. Wir hoffen, dass das, was jetzt für Deutschland postuliert wird von der Bundesregierung, dann auch zu europäischer Politik gemacht wird.
May: Glauben Sie wirklich, dass Deutschland im Europäischen Rat, der die finale Entscheidung treffen wird, dass Deutschland das noch verhindern wird, nachdem jetzt schon ein Kompromiss auf mehreren Ebenen ausgehandelt worden ist?
Rohleder: Einen Kompromiss haben wir hier nicht vorliegen. Einen Kompromiss hätten wir uns gewünscht. Was wir vorliegen haben ist eine klare Positionierung für Urheberrechte und gegen die Meinungsfreiheit. Wir hoffen, dass die Bundesregierung noch mal in sich geht und die EU-Ratsentscheidung am 9. April wohl überlegt getroffen, oder aber auch verschoben wird.
May: Jetzt muss ich doch noch mal ganz kurz nachfragen, wo Sie gesagt haben, einen Kompromiss hätten wir uns gewünscht. Können Sie den mal skizzieren für uns?
Rohleder: Wir hätten uns gewünscht, dass man zu ganz anderen Maßnahmen greift, die so aussehen, dass wir junge Menschen, die tatsächlich oder vermeintlich Urheberrechte verletzen, dass wir diese jungen Menschen schlau machen und dass wir sie in die Lage versetzen, ein rechtswidriges Handeln überhaupt als rechtswidrig zu begreifen. Das ist derzeit nicht der Fall.
Wir machen einen weiten Bogen um genau dieses Thema. Wir halten Computer weiterhin aus den Schulen draußen. Es gibt keinen echten Unterricht im Fach Medienkompetenz in den Schulen, so dass die meisten Schülerinnen und Schüler überhaupt nicht wissen, was sie dürfen und was ihnen verboten ist. An der Stelle sollten wir ansetzen und das, meine ich, das kann auch ein sehr guter Kompromiss sein, mit dem dann alle gut leben können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.