Sonntag, 28. April 2024

EU-Verbot zu Mikroplastik
So sieht die Zukunft des Kunstrasens aus

Die EU verbietet den Verkauf von Mikroplastik und Produkten, bei denen Mikroplastik verwendet wird. Dazu zählt auch die Granulat-Füllung von Kunstrasenplätzen. Was bedeutet das beschlossene Verbot also für diese Fußballfelder?

Von Sabine Lerche | 30.09.2023
Ein neu verlegter Kunstrasenplatz auf dem Gelände des Fußball-Bezirksligisten Mülheimer SV.
Der Ascheplatz wurde in den vergangenen Jahren vielerorts durch neue Kunstrasenplätze ersetzt. (IMAGO / Funke Foto Services / IMAGO / )
Fußball, Hockey, American Football oder Rugby – all diese Sportarten sind auf Kunstrasenplätze angewiesen. Als Füllmaterial nutzen die Anlagen polymerbasierte Granulate, kleine Kunststoffkügelchen, hergestellt aus alten Autoreifen. Das Problem: Durch Wasser, Wind und die Sportschuhe kommen die Kügelchen in die Umwelt und sondern Mikroplastik ab – winzige, bis zu fünf Millimeter große Plastikteilchen, die schwer abbaubar sind und giftige Zusatzstoffe in die Umwelt abgeben können. Diese Mikroplastikquelle will die EU mit der neuen Verordnung einschränken.

Es geht nicht um ein Verbot von Kunstrasenplätzen

„Also es geht nicht um ein Verbot von Kunstrasenplätzen – überhaupt nicht. Das legt die ECHA, die European Chemical Agency, also die europäische Chemikalienagentur, ganz klar dar, sondern es geht nur um Mikroplastik, um die Gummipartikel, die als Verfüllung genutzt werden“, sagt Rolf Haas. Er ist stellvertretender Vorsitzender der IAKS Deutschland, der Internationalen Vereinigung für Sport- und Freizeiteinrichtungen.
Die Verordnung bedeute nicht das Ende für die knapp 7.000 Kunstrasenplätze in Deutschland.

Kork, Olivenkerne, Sand – Gummigranulate lassen sich ersetzen

„Also in Deutschland gibt es jetzt Hunderte von Plätzen, die bereits mit Kork verfüllt sind. Schon seit zwei, seit drei, seit vier Jahren, die keine Nachteile aufweisen. Es gibt eben genügend Alternativen beim Gummigranulat“, betont Haas.
Kork ist eine dieser ökologischen Alternativen, es funktionieren auch gemahlene Olivenkerne oder Füllungen auf Maisbasis. Bei neugebauten Anlagen habe man in den letzten Jahren schon auf Gummigranulate verzichtet. Denn schon seit 2019 war klar, dass sie von Seiten der EU verboten werden könnten.

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Haas führt aus: „Also ich glaube, es gibt da einen Hebel, der hervorragend gewirkt hat. Und das ist das Thema Fördermittel. Und da haben die Bundesländer damals nach Einführung des ECHA-Restriktionsverfahren 2019 sehr schnell reagiert und haben gesagt: Wir geben keine öffentlichen Fördermittel mehr für Plätze, die man mit Mikroplastik, also mit Gummigranulat, verfüllen will.“
Die ökologischen Alternativen wurden schon gefördert, wie der stellvertretende IAKS-Vorsitzende unterstreicht: „Und die Vereine ziehen mit, wenn sie für insgesamt geringere Mehrkosten etwas für die Umwelt tun, etwas Ökologisches tun, das machen die Vereine schon mit.“

EU-Verordnung kam nicht überraschend

Auch der Deutsche Olympische Sportbund DOSB ist auf das Verbot vorbereitet, sagt Pressesprecher Michael Schirp. Seit 2020 informiere die Arbeitsgruppe „Mikroplastik durch Sport in der Umwelt“ die Vereine und Verbände und gibt Handlungsempfehlungen.
Schirp erörtert: „Und so wird also bei diesem Thema niemand kalt erwischt. Der Transformationsprozess läuft schon. Wir haben dann gemeinsam mit dem DFB und auch gemeinsam mit vielen anderen europäischen Nationen vor allem darauf gedrängt, dass wir eine Übergangsfrist brauchen. Die ist jetzt da, die ist mit acht Jahren großzügig bemessen.“
Der Verkauf des Kunststoffgranulats wird also erst in acht Jahren verboten. So erreichen auch alte Anlagen mit Gummigranulat noch ihr Lebensende nach zwölf bis 15 Jahren, sagt Rolf Haas:
"Bestehende Anlagen, die noch Gummigranulate haben, die können die Anlage auch weiterhin nutzen. Sie werden nur das Problem haben in acht Jahren, dass sie kein Nachstreugranulat im Markt mehr kaufen können. Dann wäre die Alternative eins: Sie ersetzen das zusätzliche Material durch die Sandfüllung. Oder was natürlich aus ökologischer Sicht sinnvoll wäre und sofort anzuraten wäre: Man kann jetzt die Gummigranulate rausnehmen und durch die ökologischen Infills ersetzen."

Grashalme aus Zuckerrohr, Granulat aus Hanf und Kreide

Die modernste Anlage Deutschlands hat der niedersächsische Verein VfL Sittensen. Die künstlichen Grashalme bestehen aus Zuckerrohr, für das Granulat verwendet der Hersteller größtenteils Hanf und Kreide. Mit diesen neuen Materialien ist der niedersächsische Verein jetzt Vorreiter, sagt Vereinsvorsitzender Egbert Haneke:
„Also ich habe, ich würde mal sagen, jede Woche einen Anruf von einer Kommune oder einem Verein aus ganz Deutschland, die sich informieren und die sich dann auch gerne die Anlage anschauen könne. Man kann das selbstverständlich so nachbauen, die Sachen sind mittlerweile alle im Serienbetrieb.“
Das war zum Start des Projekts noch nicht so: Denn mit der neuen Anlage initiierte der Verein ein Forschungsprojekt, um die Emission und Vermeidung von Mikroplastik vor Ort zu untersuchen. Dafür wurde ein neues Filtersystem für Mikroplastik installiert, mit der gemessen werden soll, wie viel Granulat den Platz verlässt, erklärt Projektleiter Jochen Türk:
„Es gibt einen Austrag, man kann den Austrag minimieren mit Filtrationsanlagen. Meine Einschätzung ist: Das Thema ist nicht so groß, wie es 2019 diskutiert wurde. Aber wir wollen aus Vorsorgegründen einfach kein Mikroplastik in der Umwelt. Und deswegen ist es richtig, dass man es jetzt rausnimmt.“

Schlechte Pflege kann Mikroplastik-Freisetzung verstärken

Für Egbert Haneke vom VfL Sittensen sind vor allem alte, schlecht gepflegte Plätze das Problem. Er fordert, „dass hier viel mehr informiert und gefördert werden müsste, dass auch die Platzwarte geschult werden, dass die Pflegemaschinen mitgefördert werden und dass eben dieser 'End of life-Point' einer Anlage ganz klar definiert wird und dass dann vielleicht sogar Anlagen stillgelegt oder saniert werden müssen.
Haneke begründet das so: „Weil wir haben in den letzten zwei, drei Jahren der Lebenszeit einer solchen Anlage, die eigentlich schon längst hätte ausgetauscht werden müssen, haben wir eine Mikroplastik-Emission, die ist vermutlich höher als das in dem Jahrzehnt davor.“

Vereinsfunktionär Haneke schlägt Unterstützung durch Bund vor

Haneke schlägt deshalb vor, dass die Vereine durch die Landessportverbände oder den Bund finanziell unterstützt werden, wenn sie alte Anlagen sanieren. Mit der Entsorgung von alten Anlagen beschäftigt sich auch Rolf Haas bei der IAKS:
"In Deutschland ist man so weit, dass man im Recyclingprozess aus dem alten Kunstrasen wieder Kunststoffprodukte für den Sportbereich macht. Im besten Falle natürlich auch den alten Kunstrasen verwendet wieder in der Produktion von neuem Kunstrasen."
Da das Verfahren aber sehr aufwendig ist, ist es auch teuer. Vieles könne beim Kunststoffrasen noch verbessert werden, gegenüber dem natürlichen Rasen sei er dennoch zukunftstauglicher, erklärt Haas: "Er ist ganzjährig bespielbar, muss nicht gemäht werden und kann intensiver genutzt werden."