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Europäischer Hochschulraum bleibt mehr Wunsch als Wirklichkeit

Einheitliche Studienstandards, mobile Studierende mit vergleichbaren Bachelor- und Masterabschlüssen: Das war das Ziel des in Bologna beschlossenen Hochschulreformprozesses für Europa. 13 Jahre später zeigt sich: Die beteiligten europäischen Hochschulen müssen nachsitzen.

Von Doris Simon | 13.03.2012
    13 Jahre nach Beginn des Bologna-Prozesses haben sich Europas Hochschulsysteme grundlegend verändert. Inzwischen 47 Länder, also weit mehr als die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, beteiligen sich an dem Prozess. Die Ziele sind: international akzeptierte Abschlüsse zu schaffen, die Qualität von Studienangeboten zu verbessern und mehr Beschäftigungsfähigkeit zu vermitteln. Die Ergebnisse dabei sind aus Sicht des Europäischen Parlamentes gemischt. Am meisten hat sich seither bei den Studiengängen getan. EU-Bildungskommissarin Androulla Vassilliou :

    "In beinahe Zweidrittel der 47 teilnehmenden Länder gibt es nun fast ausschließlich noch Bachelor- und Master-Studiengänge. Heute studieren mehr junge Leute, und die Qualitätssicherung hat sich verbessert."

    Der Bericht des Europäischen Parlamentes zeigt allerdings sehr deutlich, dass noch viel geschehen muss, bis der angestrebte europäische Hochschulraum tatsächlich funktioniert. Denn bislang herrscht zwischen den Mitgliedsstaaten und den Universitäten vielerorts vor allem Misstrauen: Die Anforderungen und die Standards sind nicht überall gleich, ebenso wenig die Qualität der Ausbildung. Das führt dazu, dass die angestrebte gegenseitige Anerkennung von Universitätsabschlüssen in Europa häufig mehr Wunsch als Wirklichkeit ist. In puncto Abschlüsse müssten die Regierungen viel stärker an die Studierenden denken, kritisiert Doris Pack, die Vorsitzende des Kultur-und Bildungsausschusses im Europäischen Parlament:

    "Wie kann es die Abschlüsse geben, wenn wir in jedem Land so und so viele Hochschulen haben, die autonom sind, die dann auch sich einbilden können, wir sind die Größten, wir nehmen das nicht von dieser Universität und nicht von jener. Da ist sehr viel Kirchturmdenken dabei und sehr viel Eingebildet-Sein, auch derer, die an einer Hochschule das Sagen haben, und das muss einfach abgestellt werden."
    Doch die Entscheidungen in Sachen europäischer Hochschulraum treffen die Regierungen in Europa. Bildungspolitik zählt zu den Bereichen europäischer Politik, wo die EU-Institutionen aufgrund ihrer Kompetenzen wenig bis gar nichts zu sagen haben. Doch über die Hintertür haben die Europäische Kommission und das Europäische Parlament durchaus Einfluss auf die Europäisierung der Bildung: zum Beispiel durch Initiativen und eigene Berichte, durch unterstützende Programme wie Erasmus oder Leonardo und durch Instrumente wie die credit points, mit denen Leistungen im Rahmen von Bologna europaweit gemessen und verglichen werden können. Besonders viel Wert haben die Europaabgeordneten dabei immer auf die sozialen Aspekte gelegt, zum Beispiel bei der von allen Universitäten und Politikern gewünschten Mobilität der Studierenden. Doch auch mit Erasmus können sich längst nicht alle ein Auslandssemester leisten, gerade jetzt nicht, wo in vielen EU-Ländern die Arbeitslosigkeit unter jungen Leuten traurige Rekorde erreicht. Doch grundsätzlich sieht Luigi Berlinguer, italienischer Sozialdemokrat und Berichterstatter des Europäischen Parlamentes zum Bologna-Prozess, vor allem die nationalen Regierungen in der Pflicht. In vielen Mitgliedsstaaten gebe es keinen gleichberechtigten Zugang:

    "Soziale Hindernisse für die Begegnungen von jungen Leuten und Studenten aus sozial schlechter gestellten Milieus müssen beseitigt werden, denn die haben sich inzwischen weiter verschärft durch die Sparmaßnahmen und Haushaltskürzungen vieler Regierungen."

    Dieselben Regierungen setzen sich im EU-Rahmen zugleich regelmäßig Ziele, die mehr Investitionen in Bildung vorsehen und eine Öffnung der Arbeitsmärkte innerhalb der Europäischen Union. Dabei könnte die Angst der EU-Mitgliedsländer, als Wirtschaftsregion abgehängt zu werden von Ländern wie Indien, Brasilien oder China durchaus dazu beitragen, den europäischen Hochschulraum über alle Papierversprechen hinaus tatsächlich voranbringen. Allerdings fehlt dafür, 13 Jahre nach Beginn des Bologna-Prozesses, immer noch eine grundlegende Einsicht, die der italienische Europaabgeordnete Berlinguer so formuliert: Es sei ein Irrtum, Universitäten als interne Angelegenheit der Mitgliedsstaaten zu betrachten.

    Übersichtsseite zum Bologna-Prozess beim Bundesbildungsministerium