Dienstag, 19. März 2024

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Europäischer Rechtsstaatsmechanismus
Körner (FDP): Funktionieren des Mechanismus sicherstellen

Der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner sieht die Verhandlungen zum Rechtsstaatsmechanismus in der EU auf einem guten Weg. Es sei gelungen, den schwachen Vorschlag der deutschen Ratspräsidentschaft nachzuschärfen. Nun müsse noch sichergestellt werden, dass Strafen auch tatsächlich verhängt werden.

Moritz Körner im Gespräch mit Jsaper Barenberg | 29.10.2020
Der deutsche EU-Abgeordnete Moritz Körner (FDP)
Wenn gegen die Rechtsstaatlichkeit in einem Land verstoßen werde, müssten EU-Gelder wirklich zurückgehalten werden können, so der deutsche EU-Abgeordnete Moritz Körner (FDP) (dpa/Philipp von Ditfurth)
Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen zwischen EU-Parlament und den Mitgliedstaaten wird auch über den sogenannten Rechtsstaatsmechanismus verhandelt. Mit diesem Instrument sollen Mitgliedsländern sanktioniert werden, die gegen Rechtsstaatlichkeitsprinzipien verstoßen, etwa durch das Einfrieren von EU-Geldern. Darauf hatten sich die Staaten der Union Ende September gegen den Widerstand aus Ungarn und Polen geeinigt.
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Im Gespräch mit dem Dlf unterstrich der Europaparlamentarier Moritz Körner die Wichtigkeit des geplanten Rechtsstaatsmechanismus. Angesicht der Erosion der Rechtsstaatlichkeit in Ländern wie Polen oder Ungarn sei es notwendig, bei Verstößen EU-Gelder zurückhalten zu können. Dem EU-Parlament sei es nun gelungen, desn Geltungsbereich des Mechanismus deutlich zu erweitern. Nun müsse noch sichergestellt werden, dass solche Sanktionen auch automatisch umgesetzt werden, sobald die EU-Kommission diese vorschlägt.

Jsaper Barenberg: Herr Körner, wie nah sind Sie denn in den Verhandlungen an dem, was Sie sich vorstellen?
Moritz Körner: Wir sind auf jeden Fall, wie Sie das gerade schon angedeutet haben, schon einen großen Schritt vorangekommen. Aber wir sind noch nicht am Ziel. Tatsächlich hatte die deutsche Ratspräsidentschaft ja nach dem Gipfel im Sommer einen Rechtsstaatsmechanismus vorgelegt, der, wie Sie eben gesagt haben, ein zahnloser Tiger ist. Ich glaube, wir haben ihn jetzt ein bisschen mit Zähnen ausgestattet. Wir haben dafür gesorgt, dass es nicht nur ein Papiertiger ist, sondern dass es jetzt wieder wirklich ein Rechtsstaatsmechanismus ist.
Denn Rechtsstaatlichkeit – das kam im Vorschlag der Ratspräsidentschaft kaum noch vor. Es sollte nur noch gegen kleine Verstöße gehen. Es geht nicht mehr um eine generelle Problematik der Rechtsstaatlichkeit, nicht mehr um Unabhängigkeit der Justiz, und da haben wir in den letzten Tagen doch einiges erreichen können, dass das zusätzlich noch hereingekommen ist in diesen Mechanismus.
Erosion in der Rechtsstaatlichkeit in Europa
Barenberg: Beschreiben Sie doch noch mal: Wo genau macht sich der Unterschied für Sie fest, ob das nun weichgespült ist und ein zahnloser Tiger, oder ob diese Regelung, dieser Mechanismus am Ende Biss haben wird? Woran entscheidet sich das?
Körner: Ganz wichtig ist, dass wir natürlich wenn auch sehr generell, wenn gegen die Rechtsstaatlichkeit in einem Land verstoßen wird – und das wäre das Neue an diesem Mechanismus -, EU-Gelder wirklich zurückhalten können. Wir brauchen das ganz dringend, weil wir die Erosion in der Rechtsstaatlichkeit in Europa sehen – Ungarn und Polen sind die Beispiele -, und es ist wichtig, dass das tatsächlich nicht nur eine zweite Möglichkeit ist, gegen Korruption oder Ähnliches vorzugehen, ganz konkrete Verstöße, wo Gelder falsch ausgegeben worden sind. Das war das, was die deutsche Ratspräsidentschaft wollte oder der Rat insgesamt.
Sondern es geht uns auch darum, dass man zum Beispiel sagen kann, wenn die Unabhängigkeit der Richter in einem Land gefährdet ist, wie das in Polen der Fall ist, dann ist dort die Rechtsstaatlichkeit im Ganzen gefährdet, damit auch die sinnvolle Ausgabe der EU-Mittel, und deswegen müssen die zurückgehalten werden können. Da geht es um den Geltungsbereich dieses Mechanismus und den konnten wir in den letzten Tagen schon deutlich erweitern.
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"Wir unterstützen autokratische Strukturen mit EU-Mitteln"
Barenberg: Als Laie ist das ja einigermaßen schwierig zu verstehen. Aber meine Frage ist: Kann man Hilfsgelder beispielsweise für die Landwirtschaft kürzen oder streichen, wenn an ganz anderer Stelle – Sie haben ein Beispiel gesagt, die Unabhängigkeit der Justiz – gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verstoßen wird? Was macht Sie sicher, dass europäische Gerichte so etwas nicht kassieren werden?
Körner: Das ist ja ein Vorschlag, den wir schon lange jetzt diskutieren. Ich weiß gar nicht, wie oft ich in den letzten Jahren tatsächlich das Wort Rechtsstaat gesagt habe. Ursprünglich hatte diesen Vorschlag mal noch Herr Oettinger als Haushaltskommissar auf den Tisch gelegt. Die Europäische Kommission hat das ja sinnvoll geprüft und hat immer argumentiert, dass natürlich, wenn die Unabhängigkeit der Justiz, wenn wir die Verfahren, die Rechtsstaatlichkeit in einem Land nicht mehr haben, dann können wir auch nicht sicherstellen, dass die Agrarmittel richtig ausgegeben werden.
Und nicht, wie das zum Beispiel bei Orbán in Ungarn der Fall ist, viele EU-Mittel in die falschen Kanäle fließen. Da ist dann auf einmal ein Cousin von ihm einer der reichsten Männer des Landes, auch wegen EU-Mitteln. Das heißt, wir haben nicht nur ein Problem mit der Rechtsstaatlichkeit, sondern wir unterstützen dort auch diese autokratischen Strukturen in den Ländern mit EU-Mitteln noch, und das müssen wir sicherstellen, dass das nicht mehr passiert. Da haben wir jetzt sehr viel erreicht, aber wir sind noch nicht am Ziel, Herr Barenberg, denn wir müssen jetzt auch noch sicherstellen, dass dieser Mechanismus auch wirklich ausgelöst werden kann, und da sind jetzt wirklich die harten Verhandlungen noch mal am Ende, dass wir da tatsächlich das auch sicherstellen.
"Wir wollen sicherstellen, dass es einen Automatismus gibt"
Barenberg: Wenn ich das richtig weiß, war die Situation ja so, dass die Kommission ursprünglich wollte, dass es quasi einen Automatismus gibt, sollte die Kommission Verstöße feststellen gegen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Dann wäre automatisch die Sanktion schon ganz nah. Was ist davon übriggeblieben?
Körner: Das wurde ja leider – da haben Sie recht – auch schon vor dem EU-Gipfel ein bisschen umgedreht und auch anders beschlossen auf dem EU-Gipfel. Dort hat man gesagt, wenn die EU-Kommission diese Sanktionen vorschlägt, dann muss der Europäische Rat das noch mit einer qualifizierten Mehrheit beschließen. Da ist die große Sorge, die wir als Europäisches Parlament haben, dass da ungerne die einzelnen Mitgliedsstaaten gegeneinander Sanktionen beschließen oder Gelder zurückhalten wollen, und dass man dann vielleicht gar nicht darüber abstimmt oder das weiter verzögert wird.
Deswegen wollen wir da wirklich – das ist das Hauptziel in den Verhandlungen heute – noch mal klarmachen, dass wirklich der Rat sich da nicht drücken kann, dass wenn die Kommission es beschließt, dass der Rat darüber dann entscheiden muss, damit wir tatsächlich auch nicht zu einem zweiten Artikel-sieben-Verfahren kommen, wo man dann zwar ein schönes Verfahren hat, aber am Ende das nie wirklich zum Einsatz kommt. Wir müssen doch endlich sicherstellen, dass man nicht nur starke Regeln hat, wenn man in die Europäische Union als Mitgliedsland aufgenommen werden will, sondern dann muss man sich auch, wenn man Mitgliedsland ist, an diese Werte entsprechend halten. Dafür brauchen wir diesen funktionierenden Mechanismus.
"Wir werden nochmal Druck machen"
Barenberg: Sie sind zuversichtlich, weil bisher sprach ja nichts dafür, dass die Mitgliedsstaaten sich auf eine solche Regel einlassen, dass am Ende zwei Drittel nicht widersprechen müssen und es dann schneller zu Sanktionen kommt als im umgekehrten Fall, wo etwa zwei Drittel zustimmen müssten und das sehr unwahrscheinlich ist in der Praxis?
Körner: Das Europäische Parlament hat tatsächlich richtig, wie Sie sagen, vorgeschlagen, dass man mit dieser umgedrehten Mehrheit abstimmt. Uns geht es da nicht um die Wörter. Wir wollen sicherstellen, dass es einen Automatismus gibt, und wie wir den rechtlich erreichen, da sind wir auch zu Gesprächen bereit. Aber das werden wir heute auch noch mal stark machen. Das haben wir am Dienstag auch schon klar gesagt.
Und am Ende darf der Rat auch nicht unterschätzen: Das Europäische Parlament muss dem ganzen Haushalt und dem Rechtsstaatsmechanismus zustimmen. Wir haben mittlerweile auch andere Mehrheiten, als das früher einmal war, im Europäischen Parlament. Man braucht mittlerweile schon mindestens drei Fraktionen. Zumindest für meine Fraktion, für die liberale, Fraktion kann ich sagen, wir werden da noch mal Druck machen, und ich weiß nicht, wo dann sonst die Stimmen herkommen sollen. Herr Orbán droht ja damit, den Haushalt aufzuhalten. Ich glaube, das ist ein Bluff. Wir wollen dem Haushalt gerne zustimmen, aber wir wollen auch Rechtsstaatlichkeit sicherstellen.
Barenberg: Wären Sie denn bereit, die Drohung wahr zu machen, das soweit zu blockieren, dass auch die Corona-Hilfen, die ja dringend benötigt werden, angesichts der zweiten Welle, möglicherweise noch später kommen könnten als geplant?
Körner: Wir wollen das gerne möglichst schnell abschließen, aber da kommt es jetzt aus meiner Sicht nicht auf den Tag an. Wenn es heute kein gutes Ergebnis gibt, dann werden wir dem Ganzen auch noch nicht zustimmen. Der Rat muss sich bewegen, wir brauchen eine gute Lösung für die Rechtsstaatlichkeit in Europa.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.