Mittwoch, 01. Mai 2024

Podium auf der Europakonferenz
Was von der EM bleiben soll - außer vier Wochen Fußballfest

Die EM in Deutschland soll nach Willen der Organisatoren auch ein gesellschaftliches Erbe hinterlassen. Wie dies jenseits von oft bemühten Zielen wie Nachhaltigkeit aussehen könnte, darüber diskutierten die Podiumsgäste auf der Dlf-Europakonferenz.

13.04.2024
Zu sehen ist die zweite Diskussionsrunde auf der Europakonferenz mit Bernd Neuendorf, Viola von Cramon und Turid Knaak.
Was bleibt als gesellschaftliches Erbe von der Fußball-EM in Deutschland? Das Podium auf der Dlf-Europakonferenz mit DFB-Boss Neuendorf, Europapolitikerin Von Cramon, Ex-Nationalspielerin Knaak, und Sportsoziologe Braun. (Deutschlandradio/Jessica Sturmberg)
Vom 6. bis zum 9. Juni 2024 findet in den EU-Ländern die Europawahl statt. Fünf Tage später wird in Deutschland die Fußball-Europameisterschaft angepfiffen. Der Deutschlandfunk hat den zwei Großereignissen des Jahres, aus europapolitischer und sportlicher Sicht, eine eigene Veranstaltung gewidmet.
Denn der Fußball und die Europäische Union haben einiges gemeinsam, wie Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue bei der Eröffnung der Europakonferenz am Samstagabend (13.04.2024) im Kammermusiksaal des Kölner Funkhauses betonte. Wie der Fußball brauche etwa auch Europa "Fans, überzeugte Bürger", sagte Raue.

Europäisches Fußballfest im Juni - auch mehr Begeisterung für Europa?

Kann das große Fußballfest im Juni, bei dem Millionen Fans aus ganz Europa in Deutschland zusammenkommen werden, auch über den Fußball hinaus Strahlkraft entwickeln? Und dafür sorgen, dass sich die Menschen stärker für Europa begeistern? Darüber diskutierte Dlf-Sportredakteur Matthias Friebe mit Bernd Neuendorf, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, der Europapolitikerin Viola von Cramon, der früheren Nationalspielerin Turid Knaak und dem Sportsoziologen Sebastian Braun von der Berliner Humboldt-Universität.

Neuendorf: "Fußball zeigt Flagge"

Philipp Lahm, Weltmeister-Kapitän von 2014 und Turnierdirektor bei der Heim-EM, sprach zuletzt von einem Wendepunkt, der auch gesellschaftspolitisch von der EM ausgehen soll. DFB-Präsident Neuendorf, als Verbandschef gewissermaßen Gastgeber von Europas Fußball-Welt, bekannte sich auf dem Podium zur gesellschaftspolitischen Dimension des Fußballs. Der Fußball habe "Flagge gezeigt und sich klar positioniert", sagte Neuendorf angesichts des Angriffskrieges gegen die Ukraine.
Die Europameisterschaft biete eine sehr gute Gelegenheit, um zu verdeutlichen, was Europa ausmacht, sagte Viola von Cramon mit Blick auf die Ukraine, dessen Team an der EM im Sommer teilnimmt. Der Blutzoll, auch unter ukrainischen Athletinnen und Athleten, sei "extrem hoch" so die Grünen-Politikerin. Wenn man hierzulande nicht wüsste, warum man sich bei der Europawahl zur Stimmabgabe aufraffen sollte, die Menschen in der Ukraine könnten dies sofort erklären.
Im Hinblick auf das Turnier gehe es aber auch um die Frage, welches Erbe die Europameisterschaft für die Gesellschaft hinterlassen könne, sagte DFB-Präsident Neuendorf, für den Breitensport und für mehr Nachhaltigkeit. Neuendorf nannte als Beispiel die Kooperation mit dem Mobilitätspartner Deutsche Bahn und den aufgelegten Fonds für Amateuervereine, die sich für Nachhaltigkeitsprojekte engagieren. Dies zeige ein "hohes Bewusstsein" bei den Vereinen für gesellschaftliche Themen, so Neuendorf: "Wir sind ein unglaublicher Hebel mit unseren sieben Millionen Mitgliedern in den Vereinen. Hier haben wir beispielhaft gesellschaftlich agiert, um Themen wie Umwelt und Nachhaltigkeit voranzubringen."
Grünen-Politikerin Von Cramon forderte den DFB auf, dabei auch weitere gesellschaftspolitische Botschaften auszusenden, die man sonst nicht höre, etwa die "Integration von Minderheiten" durch den Fußball. Auch damit könne der DFB europäische Identität fördern.
Zu sehen ist das zweite Podium mit Moderator Matthias Friebe und seinen Gästen: Grünen-Politikerin Viola von Cramon, ehemalige Fußballerin Turid Knaak, DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Sportsoziologe Prof. Sebastian Braun.
Das prominent besetzte Podium über die vereinende Kraft des Sports in Europa auf der Dlf-Europakonferenz (Jessica Sturmberg / Deutschlandfunk)

Ex-Nationalspielerin Knaak: "Fußball hat weiter riesengroße Strahlkraft"

Ex-Nationalspielerin Knaak betonte den verbindenden, integrativen Charakter des Fußballs, wies aber zugleich auf die vielen Probleme hin, die nach wie vor Alltag auf den Fußballplätzen seien: Sexismus im Stadion, rechtsextremistische Tendenzen in der Fanszene, Homophobie. Zugleich habe der Fußball aber weiter eine riesengroße Strahlkraft, so Knaak. Und "die Möglichkeit, diese Probleme zu lösen wie sonst nur wenige Kräfte in der Gesellschaft. Dies muss dann aber weiter gelebt werden in den Vereinen, über das Turnier hinaus."
Was die identitätsstiftende Wirkung von großen Fußballturnieren angeht, habe die Vergangenheit gezeigt, dass es bei den Fußballinteressierten zwar eine patriotische Zustimmung gegeben habe, so Sportsoziologe Sebastian Braun. Dies sei aber nach wenigen Wochen wieder verpufft.

Sportsoziolologe Braun: Große Herausforderungen in Ehrenamtlichkeit und Sportstättenentwicklung

Es gehe deshalb darum, gesellschaftspolitisch hochrelevante Themen erst einmal bei einer EM zu platzieren und sie im Anschluss hochzuhalten. Die größten Herausforderungen, so Braun, bestünden darin, Ehrenamtlichkeit zu mobilisieren, das zivilgesellschaftliche Spiel vor Ort zu ermöglichen in den Vereinen, Angebote machen zu können mit qualifizierten Trainerinnen und Trainern. Außerdem in der Sportstättenentwicklung, "der Sanierungsstau ist mittlerweile immens", sagte Braun. "Ich würde mir wünschen, dass das Turnier den Amateurbereich wieder stärker in den Vordergrund rücken kann, auch in der medialen Berichterstattung, was in der lokalen Zivilgesellschaft vor Ort stattfindet."
Die Fußball-Europameisterschaft bedeute nicht nur, "vier Wochen lang Beifall zu klatschen", sagte auch Grünen-Politikern Von Cramon. Der DFB müsse das Turnier vielmehr dazu nutzen, auf den "unteren politischen Ebenen mehr Druck machen", um die gesellschaftlichen Probleme in den Fokus zu rücken.