Impulsvortrag "Mein Europa"
Jean Asselborn appelliert an Jugend: "Wehrt euch euer Leben lang"

Bei der 1. Europakonferenz des Deutschlandfunks hat der ehemalige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn vor der anstehenden Europawahl und der Fußball-EM im Sommer über die Lage in Europa gesprochen. Asselborn kann sich eine britische Rückkehr in die EU vorstellen, kritisiert die Türkei – und richtet einen Appell an die Jugend.

Von Julian Tilders |
Jean Asselborn spricht auf dem Podium der 1. Europakonferenz des Deutschlandfunks.
Der ehemalige luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat 19 Jahre lang als luxemburgischer Außenminister die Geschicke der Europäischen Union mitgelenkt. (Jessica Sturmberg)
Jean Asselborn ist schon lange einer der glühendsten Verfechter der europäischen Idee. Bis November 2023 hat er fast zwei Jahrzehnte lang als am Ende dienstältester Außenminister die Politik der Europäischen Union mitgeprägt – und an seinem Erfahrungsschatz ließ er nun die Anwesenden bei der 1. Europakonferenz des Deutschlandfunks teilhaben.
Der 74-Jährige hielt am Samstag (13.04.2024) einen Impulsvortrag zur aktuellen Lage Europas vor zwei besonderen Ereignissen im Sommer, wenn zunächst Anfang Juni die Europawahl stattfindet und wenige Tage danach Deutschland die Fußball-Europameisterschaft ausrichtet. Asselborn betonte zunächst zur allgemeinen Lage Europas: "Es ist meine Pflicht weiterzugeben, was ich da erhascht habe, damit Europa auf dem richtigen Gleis bleibt."

Asselborn kann sich britische EU-Rückkehr vorstellen

Der langjährige Luxemburger Außenminister ist zwar im politischen Ruhestand, kämpft aber trotzdem weiter für die europäische Sache. Er war immer schon bekannt für klare Worte – und auch bei der Europakonferenz im Deutschlandfunk-Saal fand er sie. So zeigte sich Asselborn im Rückblick zwar zufrieden mit dem Wachstum der EU um weitere Mitgliedsländer, kritisierte aber auch, zum Beispiel den sogenannten "Brexit", dem Austritt Großbritanniens aus der EU:
"UK (Vereinigtes Königreich/Großbritannien, d. Red.) hat sich 2016 verabschiedet durch ein Referendum, bei dem ganz viel gelogen wurde. Und ich weiß nicht, ob Großbritannien ganz glücklich ist mit der Situation, in der es heute ist."
Der 74-Jährige wünscht sich deshalb eine Rückkehr der Briten in den Verbund aus derzeit 27 Staaten: "Ich gehe davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren vieles da geschieht. Die Europäische Union wäre stärker mit Großbritannien und Großbritannien wäre nicht mehr so alleine, wenn es wieder an unsere Tür klopfen würde."

Beitritt der Türkei: Asselborn sieht keine Gesprächsbasis

An die Tür klopfen derweil schon seit geraumer Zeit zehn andere Länder. Da sind unter anderem sechs Länder aus der Balkanregion. Die Ukraine, die sich derzeit gegen Russlands Angriffskrieg verteidigt und 2022 zum Beitrittskandidaten ernannt wurde. Und auch die Türkei, mit der die Beitrittsverhandlungen schon 2005 aufgenommen wurden.
Doch für letztere Nation ist die Tür im Moment laut Asselborn zu: "So lange Erdogan an der Macht ist und die Menschenrechtsfrage, die Rechtsstaatlichkeit der Türkei sich nicht verbessert, sehe ich keine Zukunft, oder keinen direkten Weg, damit wir mit der Türkei wieder ins Gespräch kommen."
Dabei betonte Asselborn, in der Vergangenheit seien schon viele Länder mit Diktatur-Vergangenheit beigetreten, um mit der EU ihre Zukunft neu zu gestalten. "Manchmal sagt man: War das nicht zu viel? Da antworte ich aus meiner Erfahrung: Das war ein Auftrag der Geschichte und da konnte die EU nicht einfach wegschauen."
Die Europäische Union sei vor allem "ein Friedensprojekt – nach innen und nach außen". Mit Blick auf den durch Russland gebrochenen Frieden in Europa sagte Asselborn: "Krieg wird nur verhindert, wenn die Menschen in einer Gesellschaft leben können, wo die Demokratie spielt. Wo die Werte der Demokratie respektiert werden. Rechtsstaatlichkeit, der Respekt vor anderen, vor dem Anderssein auch, dem Andersdenken, wo das garantiert ist. Wo die Menschenrechte geschützt sind, wo die Rechte der Minderheiten respektiert werden."

Asselborn blickt mit Sorge in die Slowakei

Dementsprechend wandte sich der ehemalige luxemburgische Außenminister mit einem klaren Appell an die Jugend: "Man muss jungen Menschen sagen, dass sie sich ein Leben lang wehren müssen, dass die Unabhängigkeit der Gerichte, die Freiheit der Medien, dass die Gewaltentrennung in der EU niemals verbogen werden darf." Der Außenpolitiker ergänzte: "Die jungen Menschen heute wollen das denken, was sie im Kopf haben und nicht, was irgendein Diktator ihnen aufzwingt."
Jean Asselborn - glühender Europäer und Mann der klaren Worte
Antidemokratische Bestrebungen einiger Regierungen oder Parteien gelte es nämlich auch innerhalb der EU zu bekämpfen, führte Asselborn aus: "Zum Beispiel Ungarn, seit 2010. Es gab in Polen eine solche Regierung zwischen 2015 und 2023. Und jetzt in der Slowakei sieht man Ansätze. Wo Regierungen am Werk waren oder sind, ihrer Macht wegen die Demokratien außer Kraft setzen zu wollen."

Der Stimmzettel als demokratische Gegenwehr

Und deshalb setzt Asselborn auch auf junge Menschen, um solchen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. Der Luxemburger, der sich erneut klar für das Stimmrecht ab 16 Jahren in allen EU-Ländern aussprach, hofft bei der Europawahl Anfang Juni auf ein "starkes Zeichen" der Jugend. Denn schließlich sei "der Stimmzettel das effizienteste Mittel, um sich zu wehren".

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Asselborn sagte: "Die Parteien, die die Grundwerte der EU kaputtschlagen, das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen und auf Nationalismus setzen, so wie die AfD hier in Deutschland oder Le Pen in Frankreich, die haben keine Stimme von euch verdient."