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Ex-FIFA-Medienchef Tognoni
"Infantino macht alles, um den Leuten zu gefallen"

Die Wiederwahl von FIFA-Chef Gianni Infantino sei voraussehbar gewesen, sagte der ehemalige FIFA-Medienchef Guido Tognoni im Dlf. Infantino habe die Sehnsucht der Verbände nach Geld "von Anfang an vollauf erfüllt". Dabei habe er seine Machtposition noch schamloser ausgenutzt als sein Vorgänger.

Guido Tognoni im Gespräch mit Dirk Müller | 05.06.2019
FIFA-Präsident Gianni Infantino winkt beim 69. FIFA-Kongress. Im Hintergrund sind die Fahnen der Mitgliedsverbände zu sehen.
FIFA-Präsident Gianni Infantio habe seine Machtposition noch schamloser ausgenutzt als sein Vorgänger Sepp Blatter, sagte der frühere Mediendirektor der FIFA, Guido Tognoni im Dlf (AFP / Franck Fife)
Dirk Müller: Die Vorwürfe stehen seit Jahren im Raum gegen den Weltfußballverband, gegen die FIFA, und auch immer gegen ihren Präsidenten. Vor allem Sepp Blatter stand jahrelang in der Kritik und auch sein Nachfolger tut das, Gianni Infantino, seit gut drei Jahren im Amt. Er selbst sieht die FIFA dagegen auf einem sehr, sehr guten Weg: weg von der Intransparenz, sagt er, weg von den korrupten Strukturen, weg vom Postengeschacher und weg vom Milliarden-Geschäft als wichtigstes Kriterium. Unter der Amtszeit von Gianni Infantino ist die FIFA jedenfalls noch reicher geworden und die Zahlungen an die nationalen Verbände sind größer geworden.
Die Wiederwahl des Präsidenten heute in Paris, "Präsident der neuen FIFA", wie er sagt. Darüber wollen wir nun reden mit dem ehemaligen Medienchef und Marketingdirektor des Weltfußballverbandes, Guido Tognoni, der der FIFA äußerst kritisch gegenübersteht. Guten Tag!
Guido Tognoni: Guten Tag nach Köln.
Müller: Die neue FIFA, Herr Tognoni, was kann jetzt noch gegen die Wahl von Infantino sprechen?
Tognoni: Es spricht eigentlich nichts mehr gegen die Wahl von Gianni Infantino. Das war voraussehbar. Gianni Infantino hat von seiner Plattform als FIFA-Präsident in bestmöglicher Weise Gebrauch gemacht. Man muss einfach sehen: Ein FIFA-Präsident befindet sich vier Jahre lang im Wahlkampf. Er macht eigentlich nichts anderes als Leuten Gefallen erweisen, die ihn nachher wieder wählen sollen. Das hat Gianni Infantino drei Jahre und ein paar Monate gemacht, das hat völlig ausgereicht.
Und wir dürfen auch nicht vergessen: Von den 214 Verbänden interessieren sich 200 Verbände nicht groß für den Fußball, sondern die interessieren sich nur, wie viel Geld fließt in unsere Kasse. Diesen großen Wunsch und dieses Sehnen nach Geld, diese Sehnsucht nach Cash, die hat natürlich Gianni Infantino von Anfang an vollauf erfüllt.
"Er hat noch schamloser seine Machtposition ausgenützt als Sepp Blatter"
Müller: Er ist noch besser als Sepp Blatter?
Tognoni: Ja! Wenn ich ihn so höre, muss ich sagen, er hat sehr viel gelernt von Sepp Blatter. Und er hat etwas noch gemacht: Er hat noch schamloser eigentlich seine Machtposition ausgenützt als Sepp Blatter. Sepp Blatter hat sich doch immerhin hier und da noch um den Fußball als solchen gekümmert. Ich glaube nicht, dass er auf eine 48er-WM hinausgegangen wäre, Sepp Blatter. Aber Gianni Infantino macht einfach alles, um den Leuten zu gefallen.
Wir dürfen ihn dafür nicht verurteilen. Wir dürfen nicht vergessen: Das ist ein Club. Die FIFA ist nach wie vor ein Club, ist nicht eine öffentlich-rechtliche Institution oder eine Aktiengesellschaft, sondern ein Club wie ein Golfclub, der machen kann, was er will, der den Präsidenten wählen kann, den der Verein will, und so weiter und so fort. Er hat eine unglaubliche Autonomie. Und wir dürfen eigentlich die FIFA nicht dafür verurteilen, dass sie immer noch mehr Geld einnimmt und noch mehr Geld verteilt und nicht zum Wohle des Fußballs agiert. Das macht sie allerdings nicht.
Müller: Herr Tognoni, nun könnten wir ja zu der Schlussfolgerung kommen, alle Chefkritiker können jetzt durchatmen und heute Nachmittag Feierabend machen und die FIFA ist kein Thema mehr.
Tognoni: Es ist ein bisschen so. – Es ist ein bisschen so, dass die Kritik jahrelang an der FIFA abprallte. Sie ist jahrelang an Sepp Blatter abgeprallt, bis dann die Amerikaner eingegriffen haben und die FIFA ein bisschen über den Haufen geworfen hatten für kurze Zeit. Aber früher ist alles an Sepp Blatter abgeprallt; jetzt prallt alles an Gianni Infantino ab.
Was wir hier in Mitteleuropa, in England, in Skandinavien sehen, diese Empfindungen haben die Afrikaner nicht. Das interessiert die alles nicht. Die sind froh, wenn jemand den Gottesdienst stört, wenn die großen Zahlen stimmen, wenn sie jedes Jahr einige Millionen bekommen, und die wurden ja beschleunigt ausgezahlt. Die kümmern sich auch nicht darum, ob Gianni Infantino statutengemäß handelt oder nicht. Das macht er nämlich nicht. Er ist exekutiver Präsident, das sollte er nicht sein. Er sollte eigentlich die Tagesgeschäfte seiner Generalsekretärin überlassen. Ob die das könnte oder nicht, ist wieder eine andere Frage. Aber die große Mehrheit der FIFA-Verbände, die sind glücklich mit einem solchen Präsidenten. Sie waren glücklich mit Blatter und sie sind auch glücklich mit Gianni Infantino. Und was die Presse bei uns schreibt und unsere Bundesliga-Leute denken, in der Schweiz, in Schweden und in England, das interessiert die große Masse schlicht und einfach nicht.
"Es gibt natürlich Anlass zur Kritik"
Müller: Jetzt denken ja vielleicht viele Beobachter, vor allem die Fußballfans, egal wo sie herkommen, aber nehmen wir die europäischen Fußballfans, die ja auch in erster Linie am europäischen Fußball beziehungsweise am Spiel interessiert sind: Was wollt ihr immer mit eurer kritischen Haltung gegenüber der FIFA, das läuft doch alles gut. Gehört das auch mit zum guten Ton, den FIFA-Präsidenten ständig und permanent für alles zu kritisieren?
Tognoni: Es gibt natürlich Anlass zur Kritik. Das muss man schon sehen. Wenn er 49 Prozent der FIFA-Assets an ein Konsortium aus Japanern und Saudi-Arabern verkaufen will, gibt das Anlass zur Kritik – bei uns. Wir haben einfach ein ganz anderes Empfinden. Und was Europa betrifft, muss man sagen: Ich bin eigentlich immer wieder enttäuscht von Europa. Schon seit Jahren läuft Europa dem Zug hinterher. Es kommt immer Kritik aus der UEFA. Die UEFA wäre stark genug, um sich abzuspalten und eine eigene Organisation aufzubauen und die FIFA im Regen stehenzulassen, aber die UEFA hat den gleichen Mut nie.
Müller: Und hat heute auch wieder für Infantino gestimmt.
Tognoni: Natürlich haben sie wieder für ihn gestimmt.
Müller: Auch der Deutsche Fußballbund.
Tognoni: Ja, der Deutsche Fußballbund auch. Gut: Ich habe ein minimales Verständnis. Warum soll sich der DFB opfern und eine Gegenstimme erheben. Es nützt ja ohnehin nichts.
Müller: Aber einer könnte ja mal vorgehen und sagen, so geht es nicht.
Tognoni: Ja, einer könnte mal vorgehen und den Kopf hinhalten und einige Monate eine Kampagne machen und als Europäer kandidieren, oder als was auch immer. Man kann nicht immer bis zum letzten Tag warten und nachher Häme über Gianni Infantino ergießen, nur weil er das macht, was er als Egoist und als Präsident machen muss und machen tut.
Aber die Europäer sind sich ja selbst niemals einig. Es kommen immer große Worte von den Clubs, von den Rummenigges und allen. Die kommen immer mit großen Worten. Dann kommt plötzlich wieder das Geld zum Vorschein und dann sind alle wieder zufrieden. Das ist schon seit Jahren dasselbe.
Müller: Und deswegen geht das auch mit diesem Deal, den Sie gerade angesprochen haben, Japan und Saudi-Arabien. Da gibt es bei uns ja in Deutschland, in Europa häufig die Diskussion, russisches Geld, chinesisches Geld, wie auch immer, Milliarden-Investitionen auf dem europäischen Kontinent, auf anderen Kontinenten. Ist das schlechtes Geld, wenn es aus Saudi-Arabien kommt?
Tognoni: Das ist nicht grundsätzlich schlechtes Geld. Schlecht ist, wenn die FIFA ihre Autonomie verliert. Die FIFA hat bis jetzt genug Geld. Sie braucht nicht noch mehr. Es gibt keinen Grund, um noch mehr Geld zu scheffeln, und es gibt vor allem keinen Grund, um die eigenen Bestände zu verkaufen. Ob man jetzt 49 oder 40 Prozent verkauft, die FIFA hat es nicht nötig, dass sie eigene Werte, eigene Assets verkauft. Das sollte sie nicht machen, nur um noch mehr Geld zu scheffeln und dann aber letztlich an Einfluss zu verlieren.
"Der ganze Fußball konzentriert sich auf Europa"
Müller: Aber Infantino sagt, wir bleiben ja die Chefs, wir behalten die Mehrheit. Warum dann nicht etwas abgeben?
Tognoni: Mit 50,5 Prozent sind Sie schon Chef, haben Sie schon die Mehrheit. Aber allein schon das Ansinnen, sich mit anderen Gruppen ins Bett zu legen, nur um mehr Geld zu scheffeln, das man eigentlich gar nicht braucht, ist schlecht, ist schlecht für den Fußball. Dann wollen die Nerde eine 64er-WM eines Tages oder plötzlich sollen alle mitmachen. Die Qualität des Fußballs, die ist in den letzten Jahren ja außerhalb Europas überhaupt nicht gestiegen. Das muss man auch festhalten. Die Afrikaner sind schlechter geworden, von den Asiaten reden wir schon gar nicht. Der ganze Fußball konzentriert sich auf Europa, auf die Champions League, und alles andere bleibt liegen.
Müller: Und obwohl diese Verbände, Afrika, Südostasien, auch Südamerika ja in Teilen, mehr Geld bekommen haben von der FIFA, das hat nichts gebracht? Für den Sport hat das nichts gebracht, sagen Sie?
Tognoni: Genau! Was hat es gebracht? Es hat überhaupt nichts gebracht. Die besten Afrikaner müssen auswandern. Die meisten Verbände in Afrika behaupten immer noch, sie hätten nicht mal das Geld, um Trainings-Zusammenzüge zu machen. Ich habe das selber erlebt. Denen kann man so viel Geld schicken, wie man will; es hat nie genug. Und für den Fußball wird auf dieser Ebene gar nichts getan, und ich habe den Eindruck, dass Gianni Infantino das noch viel weniger kontrolliert, als es früher unter der Administration Blatter geschehen ist.
Müller: Weil das die entscheidenden Wählerstimmen sind für ihn?
Tognoni: Genau. Jeder will doch einstimmig gewählt werden mit Akklamation wie heute. Das ist wunderbar, das sind großartige Gefühle. Der FIFA-Präsident will ja Präsident bleiben. Er ist ja nicht der Entwickler des Fußballs. Da müsste ich sagen, der Entwickler des Fußballs ist der Verein. Bayern München und Borussia Dortmund machen viel mehr für den Fußball als der FIFA-Präsident. Das muss man auch wieder sehen, ganz klar! Der FIFA-Präsident leitet den Gottesdienst, er kann das Geld verteilen, er freut sich, er sonnt sich im Schatten oder im Wind der großen Politiker, er reist privat in der Welt herum, er hat ein wunderbares Leben. Aber das hat mit dem realen Fußball eigentlich gar nichts mehr zu tun.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.