Archiv

Ex-Finanzminister Steinbrück zu Coronakrise
"Weit existenzieller als die Finanzkrise 2008"

Der wirtschaftliche Absturz durch die Coronakrise werde die Auswirkungen der Finanzkrise 2008 übertreffen, sagte der frühere Finanzminister Peer Steinbrück. Er halte die staatlichen Institutionen für handlungsfähig, warnte aber davor, Maßnahmen durch parteipolitische Manöver zu gefährden.

Peer Steinbrück im Gespraech mit Jürgen Zurheide |
Der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück.
Finanzminister Peer Steinbrück lobte im Dlf auch die aktuell handelnden Personen in der Politik (Imago / Müller-Stauffenberg)
Diese Krise sei weit existenzieller als das, was 2008/2009 im Zuge der Bankenkrise passiert sei, sagt der ehemalige Bundesfinanzminister Steinbrück im Deutschlandfunk. Er gehe davon aus, dass die Rezession weit über die fünf Prozent hinausgehen werde, die man damals erlebt habe. Nun musse schnell und großkalibrig gehandelt werden, sagte er im Dlf. Er glaube, auch dass die staatlichen Institutionen die richtigen Maßnahmen auf den Weg bringen werden.
Händler stehen am 02.03.2020 an der Wall auf dem Parkett der Wall Street in New York und blicken auf die Aktienkurse auf den Bildschirmen.
Deutschlands Wirtschaft und das Coronavirus
Die Börsen brechen ein, Geschäfte müssen schließen, das öffentliche Leben wird aufgrund des Coronavirus eingeschränkt. Die Politik hilft, doch kann das reichen? Ein Überblick.
Zurheide: Herr Steinbrück, befinden wir uns in einem neuen Systemwettbewerb? Ich will jetzt mal die ganz große Linie aufziehen und fragen: Die Chinesen haben in einer bestimmten Art und Weise auf die Krise reagiert, bei uns läuft das alles sehr viel, ja, differenzierter, kann man positiv formulieren, man könnte auch sagen, sehr viel heterogener und auch unkoordinierter. Wie schauen Sie darauf?
Steinbrück: Na ja, in autoritären oder diktatorischen Systemen sind natürlich die Entscheidungsabläufe sehr viel kürzer. Man muss sich nicht abstimmen, man muss keine Rücksicht nehmen auf ein Parlament, man hat auch es mit einer nicht ausgeprägten kritischen öffentlichen Meinung zu tun. Insofern mag es sein, dass die Durchgriffsmöglichkeiten in solchen Systemen größer sind.
Trotzdem: Ich behaupte, der Vorteil unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems ist nach wie vor, dass es flexibler ist, dass es produktiver ist und dass die Eigenverantwortung der Menschen eine sehr viel größere Rolle spielt und sie auch bereit sind, diese Verantwortung zu übernehmen.
Deutsche kaufen Nudeln und Klopapier, Franzosen Rotwein und Kondome
Zurheide: Wenn man in diesen Tagen auf zum Beispiel die Rheinwiesen geschaut hat oder an die Isar, dann hatte man manchmal den Eindruck, die Eigenverantwortung der Leute – die bewerten es anders, als wir beide es vielleicht tun würden. Wie sehen Sie das?
Steinbrück: Das halte ich für absolute Ausnahmen. Ich glaube, dass der weite Teil der Bürgerinnen und Bürger in solchen Zeiten zusammenrückt, bereit ist, Solidarität zu üben, Nachbarschaftshilfe zu leisten. Dafür gibt es viele Beispiele, von denen ich mir wünschen würde, dass sie stärker in den Vordergrund gebracht werden, wo diese Hilfeleistung erfolgt.
Ich glaube, die meisten sind sich klar, dass man in einer solchen Situation sich im Sinne, ja, des Gemeinwohls orientieren und benehmen muss. Natürlich gibt es Idioten dabei. Ich verstehe bis heute nicht, warum die Deutschen Nudeln und Klopapier kaufen. Ich finde den Unterschied zu den Franzosen, die Rotwein und Kondome kaufen, bemerkenswert.
Zurheide: Okay, ein bisschen lächeln muss ich dann doch, Sie haben recht. Nein, fragen wir jetzt mal systemisch: Was heißt das für die Wirtschaft? Sie haben einmal mit der Kanzlerin vor der Presse gestanden und haben die deutschen Sparer beruhigt. Das hat damals gewirkt. Was muss jetzt passieren, damit wir nicht einen Absturz haben? Oder fangen wir erst mal an: Wie sind Ihre Erwartungen für die Zukunft, so schwierig das heute Morgen ist?
Steinbrück: Na ja, das ist die Eine-Million-Euro-Frage, Herr Zurheide. Keiner weiß, wie lange diese Krise mit welchen Folgen andauert. Ich halte den Satz der Kanzlerin für richtig: Das ist auch ein bisschen abhängig von uns selbst.
Aber zunächst mal: Diese Krise ist weit existenzieller als das, was wir mit der Banken- und Finanzkrise 2008, 2009 erlebt haben. Die Ursache liegt übrigens nicht im Bankensektor, diese Krise bedroht die Gesundheit und das Leben vieler Menschen, und die wirtschaftlichen Folgen sind sehr viel weitgreifender und vor allen Dingen in der Breitenwirkung viel stärker als damals 2008, 2009. Insofern müssen wir uns nichts vormachen, der Absturz, die Rezession wird über die fünf Prozent hinausgehen, die wir 2009 erlebt haben. Aber wie lange das dauert, ist stark davon abhängig, wann der Höhepunkt der Erkrankungen erreicht ist, wann sich die Kurve wieder abflacht und wir langsam wieder einen Schritt zur Normalität zurück machen können.
"Nicht kleckern, sondern klotzen"
Zurheide: Welche Maßnahmen stehen aus Ihrer Sicht im Mittelpunkt oder müssten im Mittelpunkt stehen?
Steinbrück: Es gilt die häufig zitierte Devise, nicht kleckern, sondern klotzen, sondern sehr schnell wirklich großkalibrig vorzugehen gegen diese Krise. Und man muss zugestehen: Die Bundesregierung, die Länder haben dazu einiges schon gemacht. Ich glaube, das, was mit dem Kurzarbeitergeld gemacht worden ist, was mit dem Paket gemacht oder in Gang gesetzt worden ist von Herrn Scholz und Herrn Altmaier, richtig ist.
 Olaf Scholz bei der Bundespressekonferenz in Berlin
Scholz (SPD) - "Kreditprogramm ist jetzt scharf geschaltet"
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hat den Unternehmern und Solo-Selbstständigen in Deutschland ein umfangreiches Hilfeprogramm im Zuge der Corona-Krise zugesagt.
Aber ich halte es auch für richtig, dass offenbar nächste Woche der Bund nachholt und nachsteckt mit einem 40-Milliarden-Programm, dass sehr stark auf Klein-, Kleinstunternehmer, auf Solo-Unternehmer, auf Kulturschaffende zugeschnitten sein muss.
Und ich halte es auch für richtig, dass die Länder sich beteiligen mit solchen Paketen, Nordrhein-Westfalen mit 25 Milliarden, Bayern mit 10 Milliarden. Die Banken zunächst mal haben kein Liquiditätsproblem, ich füge hinzu, noch kein Liquiditätsproblem. Aber sie stehen unter Druck, wenn die Bonität ihrer Kreditnehmer sich verschlechtert über Umsatzeinbußen, insbesondere auch über fallende Kurse, und auch Zahlungsrückstände zunehmen, dann müssen sie nach den neuen bilanziellen und regulatorischen Anforderungen entweder Eigenkapital verzehren oder Abschreibungen vornehmen.
Insofern würde ich mir wünschen, dass die Bankenaufsicht den Banken rechtzeitig die Gelegenheit gibt, die Anforderungen an die Kreditvergabe rechtzeitig dieser Krise anzupassen.
"Den Handwerkern und Existenzgründern läuft schlicht und einfach ihre Kasse leer"
Zurheide: Wir haben gerade mit Herrn Bofinger vor einer halben Stunde darüber geredet , er hat gesagt, er erwarte von den Banken zum Beispiel, dass bei den Überziehungskrediten und den Zinsen möglicherweise nicht da noch viel oben drauf geschlagen wird. Die Erwartung ist schön, aber das muss man dann eben bilanziell auch darstellen können. Was müsste da passieren? Ist so eine Forderung realistisch?
Steinbrück: Ich halte sie für realistisch, wenn in der Tat die von mir zitierten Anforderungen bilanzieller und regulatorischer Art so gelockert werden, dass die Banken selber darüber nicht illiquide werden oder in der Tat in bilanzielle Schwierigkeiten geraten.
Ich glaube, dass die Banken willens und fähig sind, auch sich so anzupassen, dass diejenigen, die Überziehungszinsen zu zahlen haben, nun nicht plötzlich zusätzlich erdrosselt werden. Dasselbe gilt natürlich auch für die Finanzämter. Insofern ist alles richtig, was mit Steuerstundung zu tun hat. Ich füge nur hinzu, mit Blick auf die in Rede stehenden oder schon erlassenen Maßnahmen des Bundes und der Länder: Überbrückungskredite, Bürgschaften, Steuerstundungen gehören alle dazu, sind alle willkommen.
Aber das Hauptproblem von vielen Handwerkern, von Solo-Unternehmern, von Existenzgründern ist schlicht und einfach, dass ihre Kasse leerläuft. Das heißt, die brauchen Zuschüsse, die brauchen im umgangssprachlichen Wortschatz Cash. Insofern muss der größere Anteil in diesem Programm in meinen Augen direkte Zuschüsse sein. Und machen wir uns nichts vor: Das sind verlorene Zuschüsse.

"Ich halte die staatlichen Institutionen für handlungsfähig"

Zurheide: Wie viel das sein wird, weiß in diesen Tagen niemand. Ist die Frage zynisch, zu stellen, dass wir sagen, wir haben im Moment dem Lebensschutz absoluten Vorrang gegeben, dieser Lebensschutz, der zu diesem Shut-Down führt, den wir jetzt gerade beobachten, der hat natürlich heftige wirtschaftliche Konsequenzen, und manch einer malt Situationen an die Wand, dass unsere Wirtschaft, unsere Gesellschaft auch das irgendwann kaum aushalten wird und wir andere Konsequenzen haben. Haben Sie solche Sorgen?
Steinbrück: Nein. Ich glaube, dass die Prioritäten genau richtig gesetzt sein müssen, denn wenn der Lebensschutz und der Gesundheitsschutz, sagen wir mal, nachlässiger behandelt werden würde, dann hat das unmittelbare und langfristige Auswirkungen auch auf die Wirtschaft. Insofern gibt es einen unmittelbaren Zusammenhang. Wenn dauerhaft, und zwar in einer großen Anzahl, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht mehr beitragen können zur Produktion, nicht mehr Dienstleistungen bereitstellen können, damit ihre Unternehmen nicht mehr über Wasser halten können, weil der Lebens- und Gesundheitsschutz nicht ernstgenommen worden ist, dann haben wir in der Tat eine noch viel tiefgreifenderen Krise, als wir sie ohnehin schon ernstnehmen müssen.
Zurheide: Wenn ich ein Strich unter unser Gespräch heute ziehe, Herr Steinbrück, sagen Sie: Bar aller Kritik und bar allen Krisen – Sie gucken noch ein Stück nicht optimistisch in die Zukunft, aber Sie trauen uns das zu?
Steinbrück: Ich halte die staatlichen Institutionen für handlungsfähig. Ich glaube, dass die Fernsehansprache von Frau Merkel wichtig gewesen ist, Klammer auf, sie hat das getan, was sie 2015 im Ansturm der Flüchtlinge nicht getan hat, insofern war das richtig, jetzt eine solche, sehr ernsthafte, besonnene Rede zu halten mit einem Appell an unseren Gemeinsinn, an Solidarität, an Moral.
Ich glaube, dass die staatlichen Institutionen die richtigen Maßnahmen auf den Weg bringen. Ich rate nur der Politik dazu, diesen Auftritt der staatlichen oder der Politik nicht in Misskredit zu bringen, nicht zu stören durch parteipolitische Auftritte und Einlassungen. Die Wirkung der damaligen Ankündigung von Frau Merkel und mir, dass die Spareinlagen sicher sind, die hatte auch damit zu tun, dass wir nicht mit unseren Parteifarben aufgetreten sind, sondern dass wir in einer Art staatspolitischer Verantwortung im Interesse des Gemeinwesens aufgetreten sind.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.