Donnerstag, 25. April 2024

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Ex-Umweltminister Trittin
"G7, das hat sich überlebt"

Die USA erwägen unter Präsident Donald Trump einen Ausstieg aus dem Weltklima-Vertrag von Paris. Daran zeige sich, dass das Format der G7-Staaten in einer globalisierten Welt mittlerweile völlig ohne Relevanz sei, sagte der Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin im Deutschlandfunk.

Christiane Kaess im Gespräch mit Jürgen Trittin | 29.05.2017
    Grünen-Politiker Jürgen Trittin
    Das Format der G7-Staaten taugt nicht mehr, auch weil es China und Indien außen vor lässt, sagt Jürgen Trittin. (Imago/ Metodi Popow)
    Christiane Kaess: Eine Konsensveranstaltung, auf der niemand zum Konsens kommt. Welchen Sinn macht die eigentlich? – Die Frage haben Vertreter von Hilfsorganisationen gestellt, die beim G7-Gipfel in Italien dabei waren. Ganz so schlimm, wie zwischendurch befürchtet, kam es dann doch nicht. Die Vertreter der sieben wichtigsten Industriestaaten einigten sich immerhin auf eine gemeinsame Abschlusserklärung, auch zum strittigen Thema weltweiter Handel.
    Aber beim Klimaschutz war es dann vorbei. Zum ersten Mal in der Geschichte der G7 steht in der Abschlusserklärung eine Kontroverse statt einer Einigung. Die USA können den Konsens der anderen beim Klimaschutz nicht mittragen. Sie wollen ihre Klimapolitik und ihre Position zum Pariser Klimaabkommen erst noch überprüfen. Das Pariser Abkommen von 2015 sieht ja vor, den Ausstoß von Treibhausgasen zurückzufahren und die Erderwärmung zu begrenzen. In dieser Woche will US-Präsident Trump sich entscheiden, ob die USA das Abkommen verlassen.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete dieses Ergebnis des G7-Treffens als "sehr unzufriedenstellend". Später legte sie nach: Die USA sind für sie kein völlig verlässlicher Partner mehr. Die Europäer müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Dafür plädiert die Bundeskanzlerin.
    Darüber möchte ich sprechen mit Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen, ehemals Bundesumweltminister und heute Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Guten Morgen, Herr Trittin.
    Jürgen Trittin: Guten Morgen!
    "Klimaschutz geht nur global"
    Kaess: Hat Angela Merkel Recht, die USA sind kein verlässlicher Partner mehr?
    Trittin: Ich glaube, sie hat unrecht damit zu erwarten, dass die USA unter Donald Trump ein verlässlicher Partner werden könnten. Wir haben es zu tun mit einer sträflichen Unterschätzung der Ernsthaftigkeit der Anliegen von Donald Trump. Das hat sich beim NATO-Gipfel gezeigt, wo er rücksichtslos darauf gesetzt hat, weiter aufzurüsten, und die Europäer dem nichts entgegenzusetzen hatten. Und er hat es neben dem Formelkompromiss über den Freihandel dann auch beim Klimaschutz und - übrigens direkt vor der Haustür von Sizilien - bei der Flüchtlingspolitik durchgehalten. Also es ist Zeit, die USA unter Donald Trump ernst zu nehmen, ernst zu nehmen mit dem, was er sagt.
    Kaess: Jetzt sagt Angela Merkel, die Europäer sollen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen. Aber wie soll das denn gehen beim Klimaschutz?
    Trittin: Klimaschutz geht nicht national, geht wahrscheinlich nicht mal europäisch, sondern nur global. Aber das heißt, wenn man diesen Anspruch ernst nimmt – und ich hätte mir gewünscht, dass sie diese Erkenntnis früher ereilt, weil es war für jeden offensichtlich, dass Donald Trump eine rein nationale, nationalistische Agenda hat -, dann hätte man frühzeitig Bündnisse suchen müssen mit Ländern beispielsweise wie China, wie Indien, die heute in der Frage Klimaschutz, Ausbau erneuerbare Energien tatsächlich Bündnispartner, um nicht zu sagen in vielen Fragen gar Vorreiter mittlerweile sind.
    Indien und China außen vor gelassen
    Kaess: Aber das ändert ja nichts daran, dass man die USA auch braucht.
    Trittin: Man wird die USA auch brauchen. Die Frage ist, wie man ihnen vorführt, wie isoliert sie sind, und dafür taugt das Format der G7 nicht, was wichtige Player zum Beispiel für den globalen Klimaschutz wie Indien und China schlicht und ergreifend außen vor lässt. Das was wir auch erlebt haben ist eigentlich eine Sternstunde oder eine Lehrstunde darüber, dass dieses Format der G7, der alten Industriestaaten, schlicht und ergreifend völlig ohne Relevanz in einer globalisierten Welt ist.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht am 27.05.2017 mit US-Präsident Donald Trump zu Beginn der Arbeitssitzung der G7 Staaten mit den Outreach Partnern in Taormina auf Sizilien, zwischen ihnen sitzt Tunesiens Präsident Beji Caid Essebsi. 
    Angela Merkel habe unrecht damit zu erwarten, dass die USA unter Donald Trump ein verlässlicher Partner werden könnten, sagt Jürgen Trittin. (dpa, Michael Kappeler)
    Kaess: Bleiben wir noch mal beim Klimaschutz. Wenn nicht einmal Angela Merkel es schafft, Donald Trump zu überzeugen, wer sollte das überhaupt noch schaffen?
    Trittin: Ich glaube, die USA stehen – und da kann man sich ein bisschen die Äußerungen von Rex Tillerson anschauen – vor einer grundsätzlichen Frage: Wollen sie, dass die Europäer, wollen sie, dass China und andere sich selbst binden im Rahmen des Klimaschutzes? Das hat auch für die USA Vorteile. Oder wollen sie daran festhalten, auch gegen alle Regeln des Marktes, mit ziemlich hohen Milliarden an Subventionen an der Kohle festzuhalten? Diese Frage wird innenpolitisch in den USA entschieden werden. Sie wird aber für uns im Rest der Welt natürlich Folgen haben. Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass der Zug, der in Paris aufs Gleis gesetzt worden ist, auch von einem störrischen Donald Trump auf die Dauer nicht wird aufgehalten werden können.
    In den USA boomen erneuerbare Energien
    Kaess: Aber wie soll das gehen? Denn die Frage stellt sich ja, wenn wir jetzt nach einer Lösung suchen, wie man jemandem klar machen soll, dass Klimaschutz wichtig ist, der noch nicht einmal daran glaubt, dass der Klimawandel menschengemacht ist, und der auch mit dieser Meinung gar nicht alleine dasteht?
    Trittin: Das muss er auch nicht. Ich finde, er sollte sich selber mal klar machen, dass im eigenen Lande mittlerweile erneuerbare Energien boomen, dass das Ende der Kohle ganz wenig mit Klimaschutz und ganz viel mit billigem Gas zu tun hat, was übrigens CO2-ärmer ist und dazu geführt hat, dass die USA in ihren Klimaanstrengungen fast von selber vorangekommen sind. Das heißt, die überragenden Argumente der Ökonomie weisen in Richtung Klimaschutz und Effizienz und Erneuerbare und auch daran wird ein Donald Trump nicht vorbei kommen. Deswegen bin ich ganz optimistisch, dass am Ende des Tages die USA den internationalen Klimaprozess bremsen können, aber sie werden ihn nicht aufhalten.
    Kaess: Trump argumentiert aber ganz anders. Er sagt, die Klimaschutzregeln schaden der US-Wirtschaft.
    Trittin: Das ist ein Teil derjenigen, die seinen Wahlkampf finanziert haben und die glauben, dass es eine Renaissance der Kohle gibt, ist in der Tat so. Nur wenn er jetzt keinen Klimaschutz betreibt, wird es denen auch nicht besser gehen - schlicht und ergreifend, weil wie gesagt das Ende der Kohle in den USA kam nicht durch den Klimaschutz, sondern durch Fracking. – Da ist er auch für!
    Einstieg in den Klimaschutz bringt Vorteile
    Kaess: Wie kompensiert denn Deutschland eigentlich seine wirtschaftlichen Nachteile?
    Trittin: Deutschland hat durch den Einstieg in den Klimaschutz eigentlich sehr viele Vorteile gehabt. Wir haben eine Industrie mit zeitweilig fast 400.000 Menschen im Bereich der erneuerbaren Energien aufgebaut. Wir sind gerade dabei, diesen Vorsprung durch eine Bremserpolitik an China und Indien zu verlieren. Wir haben, gerade was Effizienz-Technologien angeht, auf dem Weltmarkt eine ganz bedeutende Rolle und insofern würde ich sagen, gesamtökonomisch ist Deutschland einer der Gewinner aus dem Klimaschutz-Prozess. Das würde jetzt Donald Trump wieder dazu führen, dass er sagt, das sind "very bad Germans".
    Kaess: Wenn ich Sie jetzt bisher richtig verstanden habe, Herr Trittin, sind Sie zumindest vorsichtig optimistisch, dass Trump den Klimaschutz oder das, was man gegen den Klimawandel tun will, nicht zunichtemachen kann. Er soll aber Vertrauten schon gesagt haben, dass er vorhat, auszusteigen aus dem Pariser Klimaabkommen. Sollte er das tun – und er will diese Entscheidung diese Woche fällen -, was würde das zunächst bedeuten?
    Trittin: Das würde erst mal bedeuten, dass die USA nicht mehr Bestandteil des Klimaprozesses sind. Sie würden auch am weiteren Fortgang in diesem Abkommen keinerlei Einfluss haben. Noch mal: Ich rechne auch eher damit, es spricht mehr dafür aus innenpolitischen Gründen in den USA, dass er aus diesem Abkommen aussteigt. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass insgesamt die Entwicklung in der Welt eher in eine Richtung geht, gerade aus ökonomischen Gründen, die mich davon überzeugt sein lässt, dass der Zug auch durch einen Ausstieg der USA, der bedauerlich, verurteilenswert ist, nicht aufzuhalten sein wird.
    Chinas ökonomische Gründe für den Klimaschutz
    Kaess: Weil das für den Rest der Staaten eher noch mehr Motivation bedeuten würde, oder warum?
    Trittin: Die Chinesen beispielsweise betreiben Klimaschutz nicht aus Selbstzweck. Sie wollen ihr Land auf einen besseren Wachstumspfad führen, ohne dass ihre Städte unbewohnbar werden. Deswegen setzen sie so massiv auf erneuerbare Energien. Deswegen treiben sie die Elektromobilität massiv voran. Das heißt, sie haben ganz rationale, ganz ökonomische Gründe, beim Klimaschutz weiterhin dabei zu sein.
    Antarktischer Gletscher des schmelzenden Larsen B Eisschelfs (Antarktische Halbinsel) mit Rissen
    Antarktischer Gletscher des schmelzenden Larsen B Eisschelfs (imago / blickwinkel)
    Kaess: Aber die globalen Klimaziele wären ohne die USA nicht mehr zu erreichen?
    Trittin: Ich glaube, dass die Ziele ohne die USA nicht zu erreichen sein werden. Ich glaube aber, dass ein Ausstieg nie ein Ausstieg ist, der von Dauer sein wird, gerade weil weltweit die Entwicklung in eine Richtung geht, die auf Erneuerbare abzielt, und weil die ökonomischen Entwicklungen in diese Richtung weisen.
    Russland hätte nicht ausgeschlossen werden dürfen
    Kaess: Es waren ja mal G8 mit Russland. Das wurde dann wegen der Annexion der Krim ausgeschlossen. Ist es denn vorstellbar, wenn die USA jetzt diesen gemeinsamen Wert Klimaschutz nicht mehr teilen, dass es in Zukunft zu einer G6 kommt?
    Trittin: Man kann das Format unendlich verkleinern und am Ende sitzen die Europäer alleine da. Es war nicht klug, in der Krise Russland auszuschließen. Es hat sich heute, an diesem Wochenende gezeigt, dass das Format G7 aufgrund unterschiedlicher Interessen und übrigens unterschiedlicher politischer Werte als solches nicht mehr tragfähig ist, und deswegen bin ich der festen Überzeugung, wenn man Sonderformate jenseits der Vereinten Nationen braucht, zum Beispiel um Finanzmärkte zu regulieren, zum Beispiel für die Frage, wie geht man mit umweltschädlichen Subventionen um und Ähnlichem, dann sind die G20 das richtige Format. G7, das hat sich überlebt.
    Kaess: Schauen wir zum Schluss kurz noch auf ein anderes Thema. Schon seit langem kein verlässlicher Partner mehr ist die Türkei, obwohl sie NATO-Mitglied ist. Jetzt gibt es die Forderung von Bundestagsabgeordneten, die Bundesregierung soll noch diese Woche beschließen, dass die Bundeswehrsoldaten aus dem türkischen NATO-Stützpunkt Incirlik abziehen, weil Bundestagsabgeordnete sie dort nicht besuchen dürfen. Gehen Sie mit bei der Forderung?
    Trittin: Wir haben das im Bundestag beantragt. Die Koalition hat das abgelehnt. Allerdings hat die Bundesregierung in Gestalt von Frau von der Leyen erklärt, sie wollten diese Woche eine Entscheidung treffen. Nun hält die Bundesverteidigungsministerin den Bundestag hin. Ich finde, das ist unerträglich. Die deutschen Soldaten müssen aus Incirlik abgezogen werden.
    Kaess: … sagt Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages. Danke für Ihre Zeit heute Morgen, Herr Trittin.
    Trittin: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.