Montag, 29. April 2024

Fernsehen und Print
Debatte über Unabhängigkeit von Experten

Medien sind ständig auf der Suche nach Expertinnen und fachkundigen Gästen. Doch welche Kriterien werden dabei angelegt und wie garantiert man Unabhängigkeit von Gesprächspartnern? Darüber debattieren TV-Redaktionen genauso wie Zeitungen - und haben unterschiedliche Lösungsansätze.

Von Michael Meyer | 19.09.2023
Das leere Panel in Studio der ARD Talkshow "Hart aber Fair".
Die Auswahl von Talkshow-Gästen sorgt immer wieder für Diskussionen. (picture alliance / Horst Galuschka)
Experten und Expertinnen in den Medien sind überall zu hören und zu sehen – vor allem, wenn es um komplexere, kompliziertere Themen geht wie Corona oder den Ukraine-Krieg, ist die Expertise von Fachleuten unerlässlich.
Wenn es um die Einladungspraxis geht, dann sind vor allem zwei Kriterien wichtig, sagt Ellen Ehni, Chefredakteurin des WDR- Fernsehens. Zum einen die Kompetenz auf dem jeweiligen Fachgebiet, zum anderen aber auch, wie gut er oder sie die Thematik erklären kann. Gerade in Fernsehen und Hörfunk ein entscheidender Punkt, meint Ehni.

Sensibilität für Gästeauswahl durch Corona gewachsen

Es gebe aber auch noch schwierigere Fragen zu klären. Etwa war am Anfang der Corona-Zeit die Auswahl der Experten und Expertinnen noch ein heikles Unterfangen:
"Da war es aus meiner Erinnerung die erste Phase, wo wir uns wirklich darüber gestritten haben: welcher Wissenschaftler kann wirklich was zu dem Thema beisteuern? Und zum ersten Mal unter dem Brennglas gesehen haben: nicht jeder Arzt ist jemand, der über Corona reden kann, um es jetzt mal platt zu sagen. Ich glaube, das Bewusstsein oder die Sensibilität dafür, ob wir genau den richtigen Menschen für diesen Ausschnitt aus der Wissenschaft haben, ist durch die Corona-Zeit auch nochmal sehr, sehr gewachsen."
Doch nicht nur Fernsehredaktionen müssen sich mit derlei Fragen befassen, auch in Zeitungsredaktionen geht es immer wieder darum, auszuwählen. Welcher Experte, welche Expertin ist am geeignetsten fürs jeweilige Thema?

"Tagesspiegel": Breites Netzwerk durch Universitäten

Seit dem letzten Jahr kommen im Berliner "Tagesspiegel" verstärkt Experten zu Wort – mal in einem Essay, mal in einem Gastbeitrag oder im Interview. "Global Challenges" heißt die Rubrik. Anja Wehler-Schöck, Leiterin des Ressorts Internationale Politik beim "Tagesspiegel", sagt, dass man gerade bei Auslandsthemen auch darauf achte, dass Menschen aus dem jeweiligen Land zu Wort kommen:
"Da arbeiten wir beispielsweise mit Universitäten, mit Think Tanks zusammen und haben auf diese Weise ein sehr breites Netzwerk an Expertinnen und Experten."
Jeder Autor eines Gastbeitrags wird vorgestellt, mit Kurzbiografie, und für welche Institution oder Verband er oder sie arbeiten, bzw. gearbeitet haben: 
"Vor jedem Beitrag, der von jemandem geschrieben wurde, der nicht der Redaktion angehört, ist eine kleine Profilbox mit einem Bild der Person und einer kurzen biographischen Erklärung: von welcher Institution kommt sie? Und dann gibt es natürlich auch eine kurze Erklärung. Wenn wir selbst Texte schreiben, dann ordnen wir das auch ein, dann stellen wir eine Expertenmeinung nicht isoliert hin, sondern schaffen dafür auch den Kontext für unsere Leserschaft."

Frage nach Transparenz

Die Frage der Transparenz - also für wen spricht ein Experte eigentlich - ist ein wichtiger Punkt. Wie unabhängig kommt die jeweilige Meinung, Stellungnahme daher, und gibt es möglicherweise dahinterliegende Interessen? 
Die Berliner Stiftung „Wissenschaft und Politik“, kurz SWP, berät etwa auch die Bundesregierung, beispielsweise in Fragen, die den Ukraine-Krieg betreffen und ist mit ihren Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen häufig in den Medien präsent. Die Stiftung wollte sich nicht im Interview äußern, verweist aber in einer schriftlichen Antwort auf das weitgehende Meinungsspektrum, das man sowohl intern als auch extern pflege. Zitat:
"Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können unterschiedliche, zuweilen auch gegensätzliche Positionen vertreten unter der Voraussetzung, dass sie diese nachvollziehbar begründen. Eine SWP-Meinung bzw. offizielle Stellungnahmen des Instituts zu politischen Themen gibt es nicht."

Einordnen von Beratungstätigkeiten

Doch reicht das allein aus? Ellen Ehni vom WDR sagt, dass man in ihrem Sender, soweit es geht, auch transparent mache, wenn eine Person auch auf anderen Feldern aktiv ist. Etwa wenn ein Experte das Wirtschaftsministerium berät.
"Bei einer Person, bei der wir das wissen, machen wir das auch. Man muss darauf gucken, welche Person hat man angefragt und in welchem Kontext steht die möglicherweise beratend zur Regierung. Wir sagen aber, bei Wirtschaftsforschungsinstituten, das ist ein arbeitgebernahes wirtschaftswissenschaftliches Institut, also da ordnen wir es ein."
Immerhin: Das ZDF hat auf seiner Website eine Liste mit fast 2000 Experten und Expertinnen, die im ZDF aufgetreten sind  - allerdings steht beim jeweiligen Namen nicht dabei, ob jemand noch anderswo beratend tätig ist.

Wissenschaftler: Medien sollen sich kritischer mit Experten auseinandersetzen

Ganz allgemein sollten sich Medienschaffende kritischer mit Experten, Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen auseinandersetzen, wenn es darum geht, wen man einlädt. Auch deren Aussagen und Studien müssen hinterfragt werden, empfiehlt der Kommunikationswissenschaftler Mark Eisenegger, der an der Uni Zürich lehrt. 
Er hat sich die Berichterstattung während der Corona-Epidemie näher angeschaut und ist zu dem Schluss gekommen, dass damals, gerade am Anfang, manch noch nicht gesicherter Fakt verfrüht als gesichert berichtet wurde:
"Natürlich sollen Medien und Journalisten gegenüber der Wissenschaft und gegenüber der Forschung und Studien einen kritischen Umgang pflegen, selbstverständlich. Und ich glaube tatsächlich, dass das in gewissen Phasen der Corona – Berichterstattung zu wenig stattgefunden hat. Ich habe das Beispiel Masken gebracht,… zu einem gewissen Zeitpunkt gab es die Evidenz nicht, das war ziemlich sicher so, dass es die Studien nicht gab, ..aber dann hätte man auch genau das sagen können."