Donnerstag, 25. April 2024

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EZB senkt Leitzins
"Ein sehr, sehr kleiner Schritt"

Die Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank sei in erster Linie ein symbolischer Akt, der kaum etwas an der wirtschaftlichen Schwäche des Euroraums verändern werde, sagte Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung, im Deutschlandfunk. Effektiver gewesen wäre in dieser Hinsicht ein anderes Vorgehen der EZB.

Peter Bofinger im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 06.06.2014
    Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung
    Peter Bofinger versteht die Aufregung um die Zinssenkung der EZB nicht. (picture alliance / Erwin Elsner)
    Kurz nachdem die EZB den Leitzins gesenkt hatte, schoss der deutsche Börsen-Index DAX über die 10.000er-Marke. "Mich wundert das", sagte der Ökonom und Wirtschaftswissenschaftler Peter Bofinger im Interview mit dem Deutschlandfunk. Die Leitzinssenkung ist nämlich laut Bofinger lediglich ein symbolischer Akt, der nicht viel an der andauernden wirtschaftlichen Schwäche des Euroraums verändern wird.
    Mäßige Anhebung der Zinsen
    Effektiver wäre es gewesen, die EZB hätte in großen Mengen Staatsanleihen ihrer Mitgliedsländer gekauft, um Geld in den Markt zu pumpen. Der Ökonom sieht eine Gefahr für den Bankensektor, sollte der Leitzins irgendwann einmal wieder angehoben werden. Dies müsse behutsam geschehen, wolle man eine erneute Bankenkrise vermeiden.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Herr Bofinger, war das heute eine historische Zäsur?
    Peter Bofinger: Nein. Ich finde, das wird massiv übertrieben. Das war ja nur ein Trippelschritt, was die EZB gemacht hat. Man könnte auch sagen, viel Lärm um nichts. Deswegen meine ich, wenn die EZB wirklich noch die Wirtschaft beleben will, muss sie andere Maßnahmen ergreifen, als jetzt diese ganz homöopathische Dosis bei ihrer Zinspolitik.
    Armbrüster: Was müsste sie denn machen?
    Bofinger: Der einzige Schritt, den die EZB jetzt noch hat, ist der Ankauf von Staatsanleihen, was ja auch andere große Notenbanken seit einiger Zeit praktizieren. Die EZB müsste also sich bereit erklären, quasi ein Bündel an Staatsanleihen der Mitgliedsländer anzukaufen in größeren Beträgen, und damit könnte man die langfristigen Zinsen noch weiter nach unten bringen.
    Armbrüster: Das wäre dann aber tatsächlich das Gelddrucken?
    Bofinger: Nein, das ist kein Gelddrucken, sondern das ist eine Maßnahme, die wirklich dazu führt, dass man Staatsanleihen-Renditen weiter nach unten senken kann. Und wie gesagt, das ist eine Maßnahme, die auch anderweitig praktiziert wird, und zwar in sehr, sehr großem Stil, wenn Sie jetzt an die USA oder an Japan denken.
    "Ein Abgleiten in die Deflation verhindern"
    Armbrüster: Ist das da denn erfolgreich? Ich meine, was wir da in Japan gesehen haben in den letzten Jahrzehnten, ist ja nicht unbedingt das, was uns voller Hoffnung stimmen sollte.
    Bofinger: Na ja, jetzt muss man natürlich sehen, was die Störung ist und was die Therapie ist. Japan ist ein Land, das in die Deflation geraten ist, und in der Situation der Deflation ist es grundsätzlich schwierig für Notenbanken, wieder die Wirtschaft aus dieser Situation herauszubekommen. Deswegen verstehe ich auch Herrn Draghi, dass er jetzt versucht hat, auch wenn das nur ein kleiner Schritt ist, alles im Rahmen der traditionellen Politik stehende zu tun, um ein Abgleiten in die Deflation zu verhindern.
    Armbrüster: Jetzt hat er zunächst mal das mit dem Anleihekauf so ein bisschen auf die lange Bank geschoben und sich heute erst mal auf die Zinsen konzentriert. Wir hatten dann direkt nach dieser Ankündigung den DAX, der über die 10.000-Punkte-Marke gesprungen ist. War das ein Grund zum Jubeln?
    Bofinger: Mich wundert das, ehrlich gesagt, diese Begeisterung, weil der Schritt doch sehr, sehr klein ist, und man kann ja auch ernsthaft jetzt keine irgendwie größeren ökonomischen Effekte erwarten. Aber die Börsen sind ja sehr emotional und gucken in der Regel nicht so genau nach den harten Fakten und für die reichen dann auch solche kleinen symbolischen Akte.
    "Niedrigzins-Politik hat Risiken"
    Armbrüster: Das heißt, Sie haben jetzt überhaupt keine Bedenken, angesichts dieses billigen Geldes, was da in den Markt gepumpt wird?
    Bofinger: Man muss sich einfach überlegen, wie ist die Situation, und der Euro-Raum ist nach wie vor in einer wirtschaftlich sehr schwachen Situation. Wir sehen, dass die Inflationsentwicklung deutlich unter dem Ziel der EZB ist, und von daher, denke ich, ist es schon vernünftig, dass man jetzt als Notenbank versucht, die Möglichkeiten, die man hat, auszunutzen. Und selbst wenn das jetzt natürlich ein kleiner Schritt ist, er hilft den Banken, die in Schwierigkeiten sind, weil ihre Refinanzierung sich verbilligt. Das heißt, es stärkt ihre Ertragslage. Wie gesagt, nur ein kleinerer Effekt, aber ich verstehe eigentlich nicht jetzt diese sehr negative Einschätzung, die ja jetzt doch von einigen Kommentatoren in Deutschland zu diesem Schritt gebracht werden.
    Armbrüster: Was wird denn eigentlich in einigen Jahren passieren, wenn die Zinsen wieder steigen und wenn dann viele Leute möglicherweise ihre Hypothekenkredite oder auch ihre Verbraucherkredite nicht mehr bedienen können, weil ihnen die Zinszahlungen dann zu teuer sind?
    Bofinger: Es ist klar, diese Niedrigzins-Politik hat Risiken. Das ist überhaupt keine Frage. Die Risiken sind unterschiedlicher Art. Das sind sicher Risiken, wenn jetzt Hypotheken aufgenommen werden und am Ende der Zinsbindung noch größere Verbindlichkeiten verbleiben. Das ist ein Risiko, aber ich habe das Gefühl, dass auch die Banken da in Deutschland ein Auge drauf werfen. Es ist vor allem ein Problem natürlich für die Banken, die jetzt zu sehr niedrigen Zinsen langfristige Kredite vergeben, und wenn sich da die Refinanzierung verteuert, ist das schon ein ernst zu nehmendes Problem für die Stabilität des Bankensystems.
    "Behutsam die Zinsen wieder nach oben fahren"
    Armbrüster: Ist da nicht eigentlich die nächste Bankenkrise wieder programmiert?
    Bofinger: So weit würde ich jetzt nicht gehen. Es kommt hier wirklich darauf an, dass man sehr behutsam dann die Zinsen wieder nach oben fährt, dass man das jetzt nicht abrupt macht. Und solange wir jetzt diese doch eher schwache Wirtschaftsentwicklung haben - und aus meiner Sicht spricht jetzt nichts dafür, dass wir innerhalb der nächsten drei, vier Jahre jetzt im Euro-Raum einen fulminanten Wirtschaftsaufschwung haben -, da passen auch die Zinsen dazu und da besteht auch die Möglichkeit, dass man sich allmählich aus dieser Niedrigzins-Politik wieder in die Richtung eines normalen Zinsniveaus zurückbewegen kann, ohne dass es jetzt zu Erschütterungen am Finanzsystem kommt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.