
Der deutsche Arbeitsmarkt ist im Umbruch. Seit Jahren warnen Experten vor Fachkräftemangel: Fast 400.000 Fachkräfte fehlen aktuell, für das Jahr 2027 sehen manche Prognosen gar ein Defizit von 700.000. Gleichzeitig bauen zahlreiche Unternehmen Arbeitsplätze ab, im September 2025 waren fast drei Millionen Menschen arbeitslos. Wie passt das zusammen?
Fachkräftemangel und Stellenabbau, wie passt das zusammen?
Im Jahr 2024 ist die deutsche Wirtschaft geschrumpft, für das Jahr 2025 rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit einer Stagnation. Vor diesem Hintergrund bauen gerade viele Unternehmen Stellen ab oder stellen zumindest nicht neu ein.
Die Wirtschaft stagniert nicht nur, sie steht auch vor tiefgreifenden Umbrüchen. Geschäftsmodelle werden durch die Klimakrise, durch internationale Konkurrenz oder KI-Anwendungen in Frage gestellt. Die deutsche Automobilindustrie hat an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt und baut Stellen ab, ähnlich sieht es in anderen Industriezweigen aus. Im Gegenzug entstehen in anderen Branchen neue Jobs.
Für neue Arbeitsplätze sorgen beispielsweise erneuerbare Energien, die Pflege- und Gesundheitsbranche, Rüstung, Erziehung und der Handel. Auch in der Informatik, Bauplanung oder Bauelektrik werden Fachkräfte gesucht. Der Stellenzuwachs in diesen Branchen reicht allerdings nicht aus, um den Wegfall in anderen Branchen zu kompensieren, sagt der Arbeitsmarktforscher Enzo Weber.
Durch die Umbrüche verstärkt sich ein klassisches Problem von Arbeitsmärkten: die Anforderungen der Arbeitgeber passen oft nur bedingt zu den Profilen der Menschen, die Arbeit suchen. Wer seinen Job in der Autoindustrie verliert, kann danach nicht einfach direkt in der Windenergie oder der Pflege anfangen.
Wen trifft die Flaute am Arbeitsmarkt besonders hart?
Tendenziell sind Menschen mit akademischen Abschlüssen auf dem Arbeitsmarkt weiter sehr gefragt. Während die Arbeitslosenquote in Deutschland insgesamt bei 6,3 Prozent liegt, sind nur 3 Prozent der Akademiker arbeitslos. Allerdings ist die Arbeitslosigkeit unter Akademikern im Jahr 2024 um fast ein Fünftel gestiegen.
Doch davon sollten sich Akademiker nicht entmutigen lassen, sagt Lydia Malin, die sich am Institut der deutschen Wirtschaft mit Qualifizierung und Fachkräftesicherung beschäftigt. So seien aktuell beispielsweise deutlich weniger Jobs für IT-Fachkräfte ausgeschrieben als zuvor, deren Jobaussichten seien aber dennoch perspektivisch sehr gut.
IT-Unternehmen seien momentan von der schwächelnden Wirtschaft besonders betroffen, so Malin. Innovations- und Digitalisierungsprojekte würden ausgesetzt, die Unternehmen warteten lieber ab. Doch sobald die Konjunktur wieder anziehe, werde sich das ändern. Malin rechnet damit, dass dann plötzlich ganz viele Stellen auf einmal ausgeschrieben werden, "weil dann alle gleichzeitig loslaufen und versuchen die Projekte, die in den Schubladen warten, schnell noch umzusetzen“.
In der aktuellen wirtschaftlichen Lage sind in Deutschland allerdings Fachkräfte aus Ausbildungsberufen stärker gefragt. Der größte Fachkräftemangel bestehe aktuell im Handwerk, in der Pflege, bei Erzieherinnen und Erziehern und in der sozialen Arbeit, sagt Malin.
Besonders hart trifft die Flaute am Arbeitsmarkt Menschen, die schon länger einen Job suchen. Bei Ihnen gibt es oft Vermittlungshemmnisse: zwei Drittel der Menschen ohne Job in der Grundsicherung haben keinen beruflichen Abschluss, sagt Enzo Weber.
Zudem sind sie auf neue Stellenausschreibungen angewiesen, um eine Chance zu bekommen - denn die bereits ausgeschriebenen Stellen passten ja bisher nicht. Doch aktuell werden nur wenige offene Stellen neu gemeldet.
Wie wird der Arbeitsmarkt sich im aktuellen Wirtschaftstrend weiter entwickeln?
„Die deutsche Wirtschaft lässt die Talsohle hinter sich und dürfte in den kommenden zwei Jahren wieder etwas an Dynamik gewinnen“, prognostizierten fünf Wirtschaftsforschungsinstute in einem gemeinsamen Gutachten im September 2025. Für 2026 und 2027 sei mit einem Wachstum von etwa 1,3 Prozent zu rechnen.
Eine andauernde Wachstumsdynamik sei damit aber nicht entfacht, betonen die Gutachter. Der maßgebliche Impuls für das Wachstum komme aus der expansiven Finanzpolitik des Bundes und den schuldenfinanzierten Investitionsvorhaben. Grundlegende strukturelle Schwächen blieben hingegen bestehen – eine davon sei der Fachkräftemangel. Wie sich der Arbeitsmarkt langfristig entwickelt, hängt maßgeblich auch davon ab, wie gut Politik und Unternehmen diese Herausforderungen meistern.
Als wichtige Maßnahmen, um den Fachkräftemangel abzubauen, nennen Experten Qualifizierungsangebote für Menschen ohne Job und gezielte Zuwanderung. Zudem müssten Hürden abgebaut werden, damit ältere Arbeitnehmer und Mütter mehr Arbeitszeit anbieten können.
Der Arbeitsmarkt der kommenden Jahre wird zudem maßgeblich durch die demografische Entwicklung in Deutschland geprägt werden. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes wird die Zahl der Erwerbspersonen von heute 51 Millionen auf 48 Millionen im Jahr 2040 zurückgehen.
Das werde die Nachfrage nach Fachkräften noch einmal deutlich verschärfen, sagt Lydia Malin vom Institut der deutschen Wirtschaft: „Wir werden nicht nur im MINT-Bereich, sondern auch in allen anderen Bereichen Probleme haben, die ausscheidenden Fachkräfte zu ersetzen.“
Onlinetext: pto