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Falschinformationen zur US-Wahl
Stresstest für Soziale Medien

Bei der US-Wahl 2016 waren die Sozialen Netzwerke von verschiedenen Desinformationskampagnen kalt erwischt worden. In diesem Jahr sollte das anders werden. Doch die Wahlnacht am 3. November war ein echter Stresstest - mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Von Sinje Stadtlich | 05.11.2020
Ein von Twitter als möglicherweise irreführend markierter Kommentar von US-Präsident Trump
Ein von Twitter als möglicherweise irreführend markierter Kommentar von US-Präsident Trump (imago/Zuma Wire)
"Wir haben diese Wahl schon gewonnen" - das sagte Präsident Trump in einem Video, das er Mittwoch Nacht auf seiner Facebook-Seite gepostet hat. Er twitterte außerdem, die Demokraten wollten die Wahl "stehlen". Genau das hatten viele Experten befürchtet: dass Trump die Sozialen Netzwerke nutzen würde, um seine – falsche – Interpretation der Ereignisse zu verbreiten. Und genau dafür hatten die Netzwerke im Vorfeld extra Regeln entwickelt.
"Trump hat verschiedene unwahre Dinge über die vermeintlich gestohlene Wahl verbreitet. Twitter hat diese Tweets dann mit einem Label versehen und ihre Verbreitung eingeschränkt. Facebook hat das ähnlich gemacht. Die Sozialen Netzwerke haben da schon Fortschritte gemacht im Vergleich mit 2016 und ihre Rolle in der Demokratie stärker wahrgenommen", sagt Daniel Kreiss, Dozent für Journalismus und Medien an der University of North Carolina.
Stimmabgabe für die Präsidentschaftswahl 2020 im Brooklyn Museum in New York City
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Donald Trump gegen Joe Biden – für Wähler in den USA klingt es nach einer einfachen Entscheidung. Doch der Weg ins Weiße Haus ist kompliziert, was an den Eigenheiten des amerikanischen Wahlsystems liegt.
Die Sozialen Netzwerke hatten viel zu tun, um mit den Falschinformationen Schritt zu halten. Als Floridas Gouverneur vorschnell Trumps Sieg in seinem Bundesstaat erklärte, versah die soziale Plattform das mit einem Hinweis: Offiziell seien noch nicht alle Stimmen ausgezählt.
Verstärkereffekt für Verschwörungsideen?
Vor allem im umkämpften Staat Pennsylvania häuften sich die Vorfälle. Als eine einzelne Wahlmaschine für Minuten ausfiel, führte das zu Posts auf Twitter und Facebook über viele Maschinen, die stundenlang ausgefallen seien. Ein Wahlhelfer behauptete auf Instagram fälschlicherweise, er habe Stimmen für Donald Trump "entsorgt".
US-Präsident Donald Trump von den republikanern und sein Herausforderer, der frühere US-Vize-Präsident Joe Biden während der ersten TV-Debate auf einem Smartphone-Bildschirm. Im Hintergrund eine Karte der USA.
Der Kampf um die Swing States
Swing States spielen seit jeher eine große Rolle bei den US-Präsidentschaftswahlen: Sie sind Hauptaustrageorte der Wahlkämpfe und können Wahlen entscheiden. Aber was genau macht einen Staat zum Swing State?
Der Journalist Ben Decker, der unter anderem für die New York Times schreibt, sagt, die neuen Regeln der Sozialen Netzwerke seien immerhin ein Versuch, solche Falschinformationen einzudämmen.
"Einerseits ist es natürlich gut, wenn man die Nutzer auf Falschinformationen aufmerksam macht und ihnen stattdessen korrekte Informationen zur Verfügung stellt. Andererseits: Wenn man mit einem Label darauf hinweist, dass ein bestimmter Inhalt problematisch ist, verstärkt man damit automatisch auch die Verschwörungsidee anderer Nutzer, dass hier eine dunkle Macht versuche, die Wahrheit zu unterdrücken."
Politologe: Anzeigenverbote begünstigen die Machthabenden
Ein weiterer Schritt der Sozialen Netzwerke im Kampf gegen Falschinformationen ist das Verbot bezahlter politischer Anzeigen. Twitter und TikTok lassen sie schon seit vergangenem Jahr nicht mehr zu, Facebook hat seit dem Wahltag in dieser Woche keine neuen politischen Anzeigen mehr angenommen. Doch auch diese Idee finden Wissenschaftler nicht überzeugend.
Joshua Tucker, Politik-Professor an der New York University: "Wenn man politische Anzeigen verbietet, dann behindert man damit vor allem die Herausforderer und begünstigt die Politiker, die schon an der Macht sind. Es könnte schon sein, dass man damit vielleicht Falschinformationen vermindert – aber wenn die Akteure zu dem Schluss kommen, dass sie, anstatt Anzeigen zu schalten, einfach mehr unbezahlten Inhalt posten können, könnte es sein, dass es gar nichts bringt."
Smartphone auf dessen Display die Twitter-Nachricht "Four more years" von Barack Obama angezeigt wird.
Social-Media-Kampagnen - Kampf um jede einzelne Stimme
Auf Facebook und Co. wollen Joe Biden und Donald Trump auch kurz vor der US-Präsidentschaftswahl noch potenzielle Wähler erreichen und geben viel Geld für sogenanntes Microtargeting aus.
Journalismus-Dozent Kreiss findet, die Netzwerke müssten ihrer gesellschaftlichen Verantwortung stärker gerecht werden. So schlägt er vor, dass jeder Post von Accounts besonders mächtiger Personen erst zeitversetzt freigeschaltet wird.
"Dieses Verbot politischer Anzeigen war für Facebook ein bequemer Weg, um nicht mehr in die Moderation der Inhalte auf der Plattform investieren zu müssen. Es ist viel einfacher, diese Anzeigen zu verbieten, als schwierige Entscheidungen darüber zu treffen, wie man die unbezahlten Inhalte etwa des Präsidenten einschränkt. Wann wollen sie eigentlich mal ihre eigenen Standards wirklich durchsetzen? Wir wissen, dass die meisten Falschinformationen von rechts kommen. Und da müsste Facebook ganz anders durchgreifen."
Politik-Professor Tucker warnt allerdings, auch zu bedenken, wie weit die Macht der Sozialen Netzwerke grundsätzlich gehen solle: "Selbst wenn wir Falschinformationen problematisch finden – ist nicht das Heilmittel vielleicht schlimmer als das eigentliche Problem? Wollen wir es wirklich den Netzwerken überlassen, zu entscheiden, was eine legitime Meinungsäußerung ist und was nicht?"
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020