Die Türkei befinde sich seit dem Putschversuch im Juli in einer schwierigen Lage, so Celik. Während des Ausnahmezustandes könnten demokratische Regelungen nicht hundertprozentig praktiziert werden. Es müssten alle Kräfte beobachtet werden, die mit den "Terrororganisationen" PKK und Gülen-Bewegung zu tun hätten. "Sie werden beobachtet und verhaftet - das heißt nicht, dass sie für immer dort bleiben werden."
Bei "Cumhuriyet" gebe es viele Angestellte, die sowohl der PKK als auch der Gülen-Bewegung nahestünden. Die Verdächtigen würden nicht als Journalisten verhaftet, sondern wegen des Verdachts der Zusammenarbeit mit Terrororganisationen. Man dürfe allerdings nicht pauschalisieren - nicht alle gehörten dazu, so Celik. Es gebe verschiedene Meinungen bei der Zeitung.
Mit Blick auf die Kritik aus der EU an den Festnahmen sagte Celik, er empfehle der EU, mit der Türkei zusammenzuarbeiten und ihr zu helfen, anstatt sie zu beschuldigen.
"Opposition wird gegen Todesstrafe stimmen"
Infolge des gescheiterten Putschversuchs wurde in der Türkei die Wiedereinführung der Todesstrafe diskutiert. Celik glaubt aber nicht, dass es dazu kommt. Im Parlament gebe es dafür nicht die erforderlichen Mehrheiten. "Die Oppositionsparteien werden alle dagegen stimmen." Dass sie überhaupt zur Abstimmung stehe, sei der Wille eines großen Teils des Volkes. Celik selbst hält nichts von der Todesstrafe - sie passe nicht zu einem zivilisierten Land.
Süleyman Celik war von 2013 bis 2016 Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Die Organisation steht der türkischen Regierungspartei AKP nahe.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Das regierungskritische Traditionsblatt "Cumhuriyet" ist nun das jüngste Opfer einer Verhaftungswelle, die der türkische Staatspräsident Erdogan selbst als Säuberung bezeichnet. Der inzwischen in der Türkei verurteilte ehemalige Chefredakteur Can Dündar nannte es im Exil in Deutschland den Sturm auf die letzte Bastion. Seit dem Putschversuch sind inzwischen 160 Zeitungen, Magazine, Fernsehsender und Radiostationen geschlossen oder verboten worden, 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen, im Südosten des Landes wurden zahlreiche gewählte Bürgermeister abgesetzt oder verhaftet, 40.000 Menschen sitzen im Gefängnis. Jetzt auch ein Kollege der "Cumhuriyet". Süleyman Celik ist Gründungsmitglied und ehemaliger Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten, UETD, einer Organisation, die der türkischen Regierungspartei AKP von Präsident Erdogan nahesteht. Er ist jetzt im Studio, schönen guten Morgen!
Süleyman Celik: Guten Morgen, Herr Barenberg!
Barenberg: Herr Celik, was unterscheidet die Türkei heute noch von einem autoritären Staat, der keine Kritik duldet?
Celik: Es ist Folgendes: Vor circa drei Monaten hat die Türkei was Schweres erlebt. Die jetzige Regierung oder jetziger Staatspräsident mit türkischer Bevölkerung gegen diesen Putschversuch sich gewehrt und gekämpft, Gott sei Dank ist der Putschversuch gescheitert. Momentan ist die Türkei in einem Ausnahmezustand. Deshalb kann man etwas anderes wahrnehmen, was in der Wirklichkeit ist.
Barenberg: Was bedeutet das?
Celik: Das bedeutet: Weil die Türkei momentan in einem Ausnahmezustand ist, werden natürlich die demokratischen Regelungen nicht 100 Prozent praktiziert. Wir geben zu, dass auch unschuldige Menschen dadurch irgendwie verhaftet werden, aber das bedeutet nicht, dass sie in den Knast gehören. Es werden Prozesse durchgeführt, die Unschuldigen werden natürlich wieder entlassen, aber das ist ein Prozess, der geführt werden muss.
"In dieser Situation werden alle Kräfte beobachtet"
Barenberg: Und das gilt auch für die Zeitung "Cumhuriyet" nach Ihrer Auffassung?
Celik: Die Zeitung "Cumhuriyet" ist jedem bekannt, die existiert seit ewigen Jahren, sogar nach der Gründung der Türkischen Republik, wurde direkt vom damaligen Staatspräsident Mustafa Kemal Atatürk der Name vergeben und gegründet. Wie gesagt, wie ich eben erwähnt habe, die Türkei ist in einer sehr, sehr schwierigen Lage, sehr, sehr schwierigen Situation. In dieser Situation werden alle Kräfte beobachtet. Wer in Anführungszeichen für Putschversuche etwas tut oder wer mit den Terrororganisationen etwas zu tun hat, die werden einfach beobachtet und verhaftet. Aber das heißt nicht, dass sie immer dort bleiben werden.
Barenberg: Nun sagen alle Beobachter, gerade dieses Traditionsblatt mit dem Namen Republik hat massiv Kritik an der Gülen-Bewegung in den letzten Jahren geübt, sehr kritisch über die Gülen-Bewegung berichtet. Sie haben den Putschversuch hart verurteilt, nachdem er im Sommer geschehen ist. Würden Sie sagen, der Verdacht liegt aus Ihrer Sicht nahe, dass gerade diese Zeitung sich schuldig gemacht hat, den Putschversuch zu legitimieren, wie es die Staatsanwaltschaft jetzt sagt? Scheint Ihnen das glaubwürdig?
Celik: In der Zeitung "Cumhuriyet" sind viele Angestellte, die natürlich sowohl etwa der PKK-Terrororganisationen nahestehen, auch zur Gülen-Bewegung beziehungsweise Gülen-Terrororganisationen. Man kann natürlich nicht pauschalisieren, dass "Cumhuriyet"-Angehörige komplett zur Gülen-Bewegung beziehungsweise zu PKK-Terrororganisationen nahestehen, aber es sind verschiedene Meinungen in der Zeitung. Die Journalisten, die verhaftet werden, die werden nicht als Journalisten verhaftet, sondern es gibt mehrere große Verdachte, dass die Journalisten mit den Terrororganisationen, sage ich, nahestehen und zusammenarbeiten, in Anführungszeichen. Deshalb werden sie beobachtet und verhaftet.
"Die Türkei braucht Hilfe von den Freunden"
Barenberg: Wenn EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, ein Sozialdemokrat, sagt: Wo die Pressefreiheit eingeschränkt wird – und er spricht über die Türkei – und Journalisten in Angst leben, ist die Demokratie am Ende – was sagen Sie dazu?
Celik: Es ist Folgendes, die Zeit, in der die Türkei sich befindet, ist wirklich eine schwierige Zeit. Man kann nicht mit kühlem Kopf momentan entscheiden. Anstelle die Türkei immer wieder zu beschuldigen, empfehle ich den europäischen Staaten, mit der Türkei gut und eng zusammenzuarbeiten und dem Land zu helfen. Die Türkei braucht Hilfe von den Freunden. Die Hilfe ist nicht angekommen, auch während der Zeit am 15. Juli 2016.
Barenberg: Nun sagt ja Staatspräsident Erdogan selbst, dass er die Wiedereinführung der Todesstrafe befürwortet. Wie soll ein Gespräch mit den Politikern in Europa möglich sein, wie soll ein gutes Verhältnis möglich sein, wenn die Türkei in dieser Weise nachdenkt, die Todesstrafe wieder einzuführen?
Celik: Es wird nicht eingeführt, das ist meine Meinung. Jeder kann seine Meinung äußern, weil die Mehrheit der Bevölkerung nach dem Putschversuch diese Meinung einfach übertragen hat, bis zum Staatspräsidenten. Wiedereinführung der Todesstrafe, das kommt vom Volk, aber nicht von allen, von einem großen Teil des Volkes kommt das. Und deshalb Staatspräsident Erdogan hat auch mitgeteilt, dass vielleicht eingeführt werden kann, wenn das Türkische Parlament dem zustimmen würde. Wir haben ja in dem Türkischen Parlament mehrere Parteien mit mehreren Sitzen, wir haben eine große Oppositionspartei und noch zwei weitere Oppositionsparteien, die werden glaube ich nicht zustimmen.
Barenberg: Dennoch bleibt es ja dabei, dass der Staatspräsident selbst signalisiert hat, dass er das befürworten und unterschreiben würde, sollte ein solches Votum geschehen. Passt die Todesstrafe zu einem zivilisierten Land?
Celik: Nein, das passt nicht. Nach meiner Meinung wird das auch nicht eingeführt.
Barenberg: Hoffen Sie also, dass die Opposition gegen die AKP stimmt und dass dann …
Celik: Alle Oppositionsparteien werden gegen den AKP-Entwurf stimmen.
"Dieses Risiko wird die Türkei nie eingehen"
Barenberg: Wenn es doch passiert, wenn die Todesstrafe doch eingeführt wird, dann wird es keine weiteren Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geben seitens der EU und es wird wahrscheinlich auch keine Möglichkeit geben, weiter im Europarat zu bleiben für die Türkei. Welche Folgen hätte das aus Ihrer Sicht?
Celik: Dieses Risiko wird die Türkei nie annehmen, dieses Risiko wird die Türkei nie eingehen, so was wird nicht passieren.
Barenberg: Weil Erdogan ja gesagt hat: Der Westen zählt nicht, das, was der Westen sagt, zählt nicht, das, was das Volk sagt, zählt – will die Türkei mit Europa brechen?
Celik: Nein, die Türkei hat vor circa 100 Jahren entschieden, mit dem Westen zusammenzuleben, mit dem Westen zusammenzuarbeiten, das wird auch so bestehen bleiben.
Barenberg: Und was würden Sie Politikern in Europa, in Deutschland sagen, die sich jetzt so große Sorgen machen, welchen Weg die Türkei nimmt? Sie haben wiederholt hingewiesen auf den Ausnahmezustand und wenn ich es recht durchgehört habe, haben Sie gesagt, für eine Weile müssen wir uns alle damit abfinden, dass die Demokratie in bestimmten Punkten eingeschränkt ist. Wie viel davon kann die Türkei vertragen?
Celik: Ausnahmezustand wird ja nicht so lange dauern. Man hat drei Monate verlängert, man wünscht sich, nach den drei Monaten diesen Ausnahmezustand beenden wird. Länger kann die Türkei nicht aushalten. Ich schätze mal, dass das nach drei Monaten wieder gut gehen wird.
Barenberg: Das sagt Süleyman Celik, Gründungsmitglied und früherer Vorsitzender der Union Europäisch-Türkischer Demokraten hier live im Deutschlandfunk. Danke für den Besuch im Studio!
Celik: Bitte schön! Danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.