
Schätzungen zufolge konsumiert in Deutschland mindestens ein Viertel aller Frauen während der Schwangerschaft Alkohol. Das hat teils fatale Folgen. Der Alkoholkonsum kann Kinder ein Leben lang schädigen, er ist die häufigste Ursache für nicht genetisch bedingte Behinderungen.
Inhalt
- Gibt es eine unbedenkliche Menge Alkohol in der Schwangerschaft?
- Wie wirkt Alkohol auf das ungeborene Kind?
- Sind die Schäden durch Alkohol in der Schwangerschaft Kind heilbar?
- Was ist das Fetale Alkoholsyndrom (FAS)?
- Wie verbreitet ist FASD und warum ist es eine gesellschaftliche Herausforderung?
- Wie kann man Schwangere wirksam aufklären?
- Gilt Alkoholverzicht besser auch während der Stillzeit?
Gibt es eine unbedenkliche Menge Alkohol in der Schwangerschaft?
Nein. "Wir kennen tatsächlich keine ungefährliche Grenze für Alkoholkonsum", sagt die Ärztin Mirjam Landgraf, die das Deutsche Kompetenzzentrum für Fetale Alkoholspektrumstörung in Bayern leitet.
Deshalb rät die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unmissverständlich zu sofortiger Abstinenz, sobald eine Schwangerschaft besteht oder geplant ist. Das gilt auch für vermeintlich "harmlose", weil kleine Mengen. Wein, Bier oder Sekt sind im Übrigen gleichermaßen gefährlich. Auch Kochen mit Alkohol ist riskant, weil Restmengen im Essen bleiben.
Wie wirkt Alkohol auf das ungeborene Kind?
Alkohol ist ein direktes Zell- und Zellteilungsgift. Es gelangt binnen Minuten ungehindert über die Plazenta in den embryofetalen Kreislauf - und das in annähernd gleicher Konzentration wie bei der Mutter.
Das Problem: Das Baby baut den Alkohol bis zu zehnmal langsamer ab. Dadurch ist es dem Gift länger ausgesetzt. Besonders verletzlich ist das Gehirn, dessen Nervenzellen absterben oder sich falsch vernetzen können.
Je nach Trimester ergeben sich unterschiedliche Risiken: Bis zum dritten Schwangerschaftsmonat ist der Embryo besonders empfindlich. Alkohol stört die Zellteilung und -vermehrung, vor allem im Gehirn. Dieses kann kleiner bleiben, es entstehen weniger Nervenzellen, was später zu Entwicklungs- und Lernstörungen führen kann.
Im zweiten Trimester beeinträchtigt Alkoholkonsum das allgemeine Wachstum des Kinders. Zusätzlich steigt das Risiko für Fehlgeburten, da sich der Körper des Kindes in dieser Phase stark entwickelt und empfindlich auf Schadstoffe reagiert.
Im 7. bis 9. Monat wächst das Kind normalerweise deutlich, auch das Gehirn vergrößert sich in dieser Phase stark. Alkohol kann dieses Wachstum bremsen, Nervenzellen können sich nicht vernetzen oder sterben ab.
Sind die Schäden durch Alkohol in der Schwangerschaft Kind heilbar?
Die durch Alkohol verursachten Schäden sind irreversibel. Gehirnzellen, die absterben, lassen sich nicht ersetzen. Dennoch ist viel gewonnen, wenn die Störung früh erkannt wird. Wichtig ist dann eine durchgehende entwicklungsdiagnostische Begleitung von Geburt bis zur Volljährigkeit. Je nach neuropsychologischem Profil helfen Ergotherapie, Heilpädagogik, Psychotherapie oder Medikamente. Das Ziel ist aber nicht Heilung, sondern Hilfe für die Betroffenen bei der Bewältigung des Alltags.
Was ist das Fetale Alkoholsyndrom (FAS)?
Fetale Alkoholspektrumstörung ist ein Sammelbegriff für Schädigungen durch pränatale Alkoholexposition (englisch: Fetal Alcohol Sprectrum Disorder, abgekürzt FASD). Es gibt drei Unterformen: das Vollbild Fetales Alkoholsyndrom (FAS), das partielle FAS sowie alkoholbedingte neurologische Entwicklungsstörungen.
Die Symptome reichen von Wachstumsverzögerungen bis hin zu massiven kognitiven und Verhaltensproblemen. Häufig betroffen sind Planungsfähigkeit, das Verstehen von Wirkungszusammenhängen oder der Transfer von Gelerntem, die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis. Besonders tückisch ist, dass viele Kinder äußerlich unauffällig sind und keine verminderte Intelligenz aufweisen. Sie scheitern dennoch an Alltagsanforderungen.
Wie verbreitet ist FASD und warum ist es eine gesellschaftliche Herausforderung?
FASD ist die häufigste chronische Erkrankung, die Kinder bereits bei Geburt haben. Schätzungen zufolge sind deutschlandweit jährlich über 10.000 Neugeborene betroffen, etwa 3000 davon mit dem Vollbild FAS. Die Dunkelziffer ist vermutlich höher. Dabei wäre FASD durch völlige Abstinenz vermeidbar.
Wie kann man Schwangere wirksam aufklären?
Prävention ist eine gesellschaftliche Aufgabe, denn in Deutschland konsumiert laut Schätzungen etwa ein Viertel der Schwangeren Alkohol. Aufklärung heißt auch: Zivilcourage zeigen, Schwangere direkt ansprechen, Irrtümer korrigieren. Die Ärztin Mirjam Landgraf betont: "Es wäre wahnsinnig wichtig, dass man den Mut hat, einfach auf Schwangere zuzugehen."
Unterstützend wirken digitale Angebote wie die App "Fit für dein Kind" oder Programme wie Iris online. Viele Frauen trinken nicht aus Ignoranz, sondern aus Unwissenheit oder psychosozialem Druck. Information kann hier entscheidend sein.
Gilt Alkoholverzicht besser auch während der Stillzeit?
Ja. Auch in der Stillzeit gelangt Alkohol in die Muttermilch, und zwar in gleicher Konzentration wie im Blut der Mutter. Dabei tritt der höchste Alkoholgehalt in der Milch 30 bis 60 Minuten nach einem alkoholischen Getränk auf. Dadurch können Schlaf- und Trinkverhalten des Babys gestört werden, zudem sinkt die Milchbildung. Deshalb empfehlen Fachgesellschaften, in den ersten acht Lebenswochen vollständig auf Alkohol zu verzichten.
Bei älteren Babys, bei denen Stillzeiten planbar sind, kann ausnahmsweise eine geringe Menge getrunken werden. Wer Alkohol trinken möchte, sollte das Kind möglichst davor stillen oder zuvor abgepumpte Milch verwenden, rät die internationale Non-Profit-Organisation La Leche League, die das Stillen unterstützt und darüber aufklärt.
Demzufolge sollte der Konsum aber auf ein bis zwei Gläser Wein oder Bier begrenzt und danach eine Pause von mindestens zwei Stunden vor dem nächsten Stillen eingehalten werden - bei größeren Mengen verlängert sich die Abbauzeit. Abstinenz bleibt die sicherste Option.
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