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Fluchtrouten durch die Pyrenäen
Politische Folgen auf beiden Seiten der Grenze

Seit Sommer 2018 kommen Migranten aus dem südwestlichen Afrika von Marokko über Spanien ins Baskenland. Der Strom illegaler Einwanderer stellt eine Herausforderung für die Bevölkerung in Spanien und Frankreich dar.

Von Birgit Kaspar |
Jean-Baptiste und seine Frau halten das Transparent mit dem Titel Migranten Eine Chance für unser Land
Jean-Baptiste und seine Frau halten das Transparent mit dem Titel "Migranten: Eine Chance für unser Land" (Deutschlandradio / Birgit Kaspar)
Es ist eiskalt auf der Place de la Liberté an diesem Januarabend in Bayonne. In dicker Winterjacke, einen Wollschal um den Hals und Baskenmütze auf dem Kopf entrollen Jean-Baptiste und seine Frau ein weißgrundiges Transparent. Darauf steht in großen roten und schwarzen Buchstaben: "Die Migranten: eine Chance für unser Land". Der Rentner erläutert:
"Pour moi c’est parce que à chaque fois qu’il y a eu des migrations – et ici en pays basque c’est bien le cas, on a toujours reçu des gens qui venaient d’ailleurs."
Er wolle damit sagen, wann immer es Migration gebe – und im Baskenland sei das sehr oft der Fall gewesen, während des Bürgerkrieges in Spanien die Basken von südlich der Grenze, aber seither auch viele, viele andere, – jedes Mal gebe es eine Begegnung von Menschen und Kulturen und dies bringe immer eine Bereicherung für beide Seiten.
Hilfe für Migranten und Asylsuchende
Die Uhr oben auf dem festlich angestrahlten, neoklassizistischen Rathaus zeigt Punkt 18 Uhr. An jedem ersten Freitag im Monat treffen sich Mitglieder verschiedener Organisationen zu ihrer einstündigen Mahnwache. Heute sind sie nur neun, neun dick eingemummelte Figuren, die schweigend im Kreis stehen um an die Menschenrechte zu erinnern und um Hilfsbereitschaft für Migranten zu fordern. Ihnen allen geht es um den Respekt der Menschenrechte und um Hilfe für die Migranten und Asylsuchenden, die seit Herbst 2018 in großer Zahl über die spanische Grenze kommen. Wie Irún ist Bayonne für sie meist nur Zwischenstopp auf einer längeren Reise. Die meisten wollen weiter in den Norden.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Grenzerfahrung Pyrenäen - Neue und alte Fluchtrouten zwischen Spanien und Frankreich" in der Sendung "Gesichter Europas".
Eine Passantin eilt mitten durch den Kreis. Sie blickt fassungslos auf die Transparente und schüttelt verständnislos den Kopf. Jean-Baptiste wundert das nicht.
"Nein, nicht alle sind meiner Meinung. Ganz klar! Es sind die, die sich gerne abschotten würden, weil sie nicht von anderen gestört werden wollen, die sich nicht in Frage stellen wollen."
Migranten wecken alte Ängste
Oder solche, die tatsächlich Angst vor dem Fremden hätten, Angst vor der islamischen Religion in einem katholischen Land, insbesondere vor dem Hintergrund der Terroranschläge der jüngsten Vergangenheit.
Das ist in Irún nicht anders als in Bayonne. Im katholischen Spanien ist "Moro", "Maure", ein Schimpfwort, die Migranten wecken alte Ängste. In einem kleinen Schuhgeschäft in der Nähe des Rathausplatzes, wo sich jeden Morgen die jungen Afrikaner zum Frühstück treffen, tauscht sich eine Kundin mit der Besitzerin aus.
Die vielen Menschen aus anderen Ländern verunsicherten sie, erzählt die ältere Dame. Sie meide nachts inzwischen bestimmte Straßen. Die Verkäuferin nickt zustimmend.
Das Problem seien nicht die jungen Schwarzen, das seien "gut erzogene Kinder", sondern diejenigen, die schon länger hier wohnten. Da hätten einige die Finger im Drogengeschäft.
"Rassemblement National" forderte Grenzschließung
In Frankreich machen sich populistische Parteien wie Marine Le Pens "Rassemblement National" solche Ängste bereits zu nutze. Der RN-Delegierte des Départements Pyrenées-Atlantiques hat erst kürzlich gewarnt, dass Bayonne sich zu einem kleinen Calais entwickeln würde und eine Schließung der Grenzen gefordert.
Absoluter Blödsinn, meint Jean-Baptiste und warnt vor der Instrumentalisierung solcher Ängste in Medien und Politik.
"Und dann gibt es noch die Politiker, die sich dieser Ängste bedienen, um ihre eigenen Ziele zu verfolgen. Sie heizen die Stimmung auf mit dem Ergebnis, dass viele Leute verunsichert sind ."
René Etchegaray, der Bürgermeister von Bayonne
René Etchegaray, Bürgermeister von Bayonne (AFP / Iroz Gaizka)
Ein junger Mann nähert sich dem Kreis.
"C’est un gros problème. Mais comment le solutioner ? C’est compliqué!"
Sylvain blickt in den eiskalten Nachthimmel, als seien dort Antworten zu finden.
"Die Aufnahme von Flüchtlingen ist schwierig. Man kann sie nicht einfach auf der Straße sitzen lassen, aber man kann auch nicht alle aufnehmen."
Nach einer knappen Stunde in der eisigen Kälte rollen die neun Demonstranten völlig durchgefroren ihre Transparente ein.
Die Menschenrechtsaktivistin Régine wickelt ihren braunen Schal fester. Öffentliche Kundgebungen gegen Migranten sehe man glücklicher Weise noch nicht in Bayonne. Obwohl der frühere Front National im Baskenland bisher deutlich unterhalb des nationalen Durchschnitts lag, will sie nicht ausschließen, dass die extremen Rechten bei den nächsten Wahlen zulegen könnten.
"Vielleicht wird dann ein Bürgermeister gewählt, der weiter rechts steht. Der jetzige Bürgermeister von Bayonne kommt aus der politischen Mitte – aber seine Amtszeit wird bald enden."
Dem Bürgermeister der 50.000-Einwohner-Stadt Bayonne, Jean-René Etchegaray, weht seit seinem Engagement für die Migranten-Notunterkunft "La Pausa" allerdings politischer Gegenwind ins Gesicht. Auch der Präfekt kritisiert ihn heftig. Etchegarays Forderung nach einer finanziellen Beteiligung des Départements am Unterhalt der Notunterkunft lehnte er strikt ab. Der Bürgermeister reagierte verärgert:
"Wir haben den Ort aus humanitären Gründen, aber auch aus Gründen der Sicherheit eingerichtet. Ich verstehe nicht, wie man einem Bürgermeister dies vorwerfen kann, denn im Grunde ist es eine Konsequenz, die aus dem staatlichen Versagen bei der Ausübung seiner Souveränität resultiert."
Auf der spanischen Seite des Baskenlandes ist die Unterstützung für rechtspopulistische Parteien im Vergleich zu Frankreich gering. Die spanische Vox baut in der Provinz Guipuzkoa gerade ihre lokalen Vertretungen auf, kommt laut Umfragen aber bisher nicht über ein Prozent. Beim Umgang mit dem Phänomen jedoch gleichen sich die Verwaltungen in Frankreich und Spanien: So lange nicht die Alarmglocken schrillen, werden die Verantwortlichkeiten hin und hergeschoben. Sogar der Ausdruck dafür ist der Gleiche: "passer la patate chaude", "pasar la patata caliente" - die "heiße Kartoffel" weitergeben.