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Flüchtlinge in Griechenland
Bremst Bundesregierung Familiennachzug?

Frau und Kinder in Athen oder Thessaloniki, die Väter in Bonn oder Braunschweig. So sieht die Situation für viele Flüchtlinge nach Schließung der Balkanroute aus. Der Familiennachzug wäre für sie eine Lösung. Griechische Medien berichten nun, dass Berlin und Athen den Familiennachzug drosseln.

Von Rodothea Seralidou | 14.06.2017
    Mahnwache der Flüchtlingsinitiative "People meet People - Respekt e.V." vor dem Auswärtigen Amt in Berlin am 03. August 2016. Drei Männer sitzen am boden und halten Fotos ihrer Familienangehörigen.
    Mahnwache vor dem Auswärtigen Amt in Berlin am 03. August 2016 (imago/Christian Ditsch)
    Ola Darouzi sitzt in einem Café am Viktoria-Platz, wo noch letztes Jahr hunderte Flüchtlinge campierten.Die Gegend gilt als sozialer Brennpunkt, hier leben vor allem Migranten und Flüchtlinge. Auch Ola Darouzi wohnt mit ihren drei Kindern.in der Nähe - sie haben vorübergehend bei einer anderen Familie Unterschlupf gefunden, sagt die 39-jährige Syrerin. Nur ihren ältesten Sohn, den heute 17-jährigen Nadim, hat sie seit zwei Jahren nicht mehr gesehen:
    "Ich hatte ihn mit einer Familie geschickt, der ich vertraute, als die Grenzen noch geöffnet waren. Er schaffte es bis nach Deutschland, nach Bonn. Als ich dann mit meinen drei kleineren Kindern über Mazedonien nachkommen wollte, war die Balkanroute zu. Wir haben dann einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Und mittlerweile habe ich erfahren, dass unser Antrag genehmigt wurde, doch wir müssen bis zu sechs Monate warten, bis wir auch wirklich ausreisen dürfen."
    Deckelt Bundesregierung den Familiennachzug?
    So sieht es die Dublin-Verordnung vor. Für Ola läuft diese sechsmonatige Frist im August aus. Ob sie tatsächlich bis dahin ausreisen kann, ist aber ungewiss. Denn laut der griechischen linksliberalen Zeitung Efimerida ton Syntakton sollen sich die deutsche und die griechische Regierung darauf geeinigt haben, den Familiennachzug aus Griechenland zu beschränken. Und zwar sollen nur noch 70 Flüchtlinge im Monat im Rahmen des Dublin-Verfahrens ausreisen, sagt der Journalist Dimitris Angelidis, der das Ganze publik machte:
    "Uns erreichte die Information, dass es Verzögerungen bei der Ausreise der Flüchtlinge gibt. Und dann bekamen wir die Information, dass es eine Deckelung gibt. Wir haben das recherchiert und unsere Recherchen bestätigten das."
    Angelidis veröffentlichte auch einen Brief des griechischen Migrationsministers Mouzalas, adressiert an den deutschen Innenminister de Maiziere, in dem steht, Zitat:
    "Die Familienzusammenführungen nach Deutschland werden zurückgefahren, wie vereinbart. Aber es bleiben Probleme, und wir brauchen unbedingt eine gemeinsame Linie in unseren Reaktionen, gegenüber den immer verzweifelter und kritischer werdenden Kommentaren bezüglich der Verspätungen im Prozess des Familiennachzugs."
    Der Journalist Dimitris Angelidis:
    "Im Brief schlägt Mouzalas vor, die Verzögerungen auf die große Zahl der Flüchtlinge zu schieben ohne zu erklären, warum diese Zahl die zwei Länder zwingt, Dublin zu verletzen, oder warum es für ein Land wie Deutschland ein Problem ist, weitere drei- oder vierhundert Flüchtlinge im Monat aufzunehmen, und warum es stattdessen europäisches und internationales Recht verletzen muss."
    Bundesinnenministerium bestreitet Deckelung
    Auf unsere Frage, ob es eine Deckelung bezüglich der Flüchtlinge gibt, die im Rahmen des Dublin-III-Nachzuges nach Deutschland reisen, antwortete die Pressestelle des Bundesinnenministeriums wie folgt:
    "Das Bundesministerium kann nicht bestätigen, dass die Aufnahme von Personen aus Griechenland, auch zum Zwecke der Familienzusammenführung, zahlenmäßig beschränkt sei."
    Der Brief des griechischen Migrationsministers bestätige lediglich die Vereinbarung nach einer engeren Abstimmung in Bezug auf die Dublin- und Umsiedlungsverfahren, so das Bundesinnenministerium. Auch eine Abstimmung einer Anzahl der zu überstellenden Personen! Also doch Deckelung? Nach Angaben der griechischen Asylbehörde wurden jedenfalls im März über 500 Flüchtlinge im Rahmen des Familiennachzuges nach Deutschland geschickt. Im April fiel die Zahl drastisch auf 74 und im Mai auf genau 70. Zumindest die Zahlen legen nahe, dass es eine Vereinbarung über eine Deckelung gibt.
    Jahrelanges Warten für die Familien
    Dabei warten im Moment rund 2.500 Flüchtlinge auf eine Ausreise, tausende Anträge werden noch bearbeitet. Es könnte also Jahre dauern, bis diese Menschen zu ihren Familien reisen können, befürchten nun Menschenrechtsorganisationen. Auch die Syrerin Ola Darouzi ist nun ziemlich hilflos. Immer wieder stellt sie sich vor, dass sie ihren ältesten Sohn Nadim wiedersieht. Doch niemand kann ihr sagen, wann es soweit sein wird:
    "Für mich ist es so, als würde ich an einer Bushaltestelle warten. Doch wann der Bus kommt, das weiß ich nicht!"