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Flüchtlingspolitik
"Dublin III war ein Schönwetter-System"

Der CDU-Europapolitiker Detlef Seif begrüßt den Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière, Kontingente für Flüchtlinge einzuführen. Das europäische Asylsystem müsse auf völlig neue Füße gestellt werden, sagte er im DLF. So sollten beispielsweise Asylverfahren möglichst schon außerhalb der EU durchgeführt werden.

Detlef Seif im Gespräch mit Christoph Heinemann | 21.09.2015
    CDU-Politiker und MdB Detlef Seif spricht im Bundestag am Mikrofon
    Detlef Seif: "Wir müssen Kontingente einrichten, sonst überfordern wir nicht nur Deutschland, sondern auch Europa." (dpa/picture alliance/Michael Kappeler)
    Christoph Heinemann: Nach dem klaren Sieg der Linkspartei Syriza bei den Parlamentswahlen in Griechenland kann Alexis Tsipras wieder regieren. Tsipras möchte die Zusammenarbeit mit den bisherigen rechtspopulistischen Koalitionspartnern von der Partei der sogenannten unabhängigen Griechen fortsetzen.
    Unverständnis in der SPD über Thomas de Maizière. Der Bundesinnenminister hatte vorgeschlagen, Flüchtlinge bei Ausschöpfung bestimmter Kontingente in ihre Heimatregionen zurückzuschicken. Weder Martin Schulz hat das verstanden - haben wir eben gehört, wie der Präsident des Europäischen Parlaments heute Morgen im Deutschlandfunk sagte -, noch Sigmar Gabriel. Der Vizekanzler und SPD-Vorsitzende musste gleichzeitig seine eigenen Leute zur Ordnung rufen. Gabriels Stellvertreter Ralf Stegner hatte in der "Bild am Sonntag" erklärt, falls de Maizière die Probleme bei den stockenden Asylverfahren in Deutschland nicht in den Griff bekomme, solle er als verantwortlicher Minister seinen Hut nehmen. Dazu Gabriel: Rücktrittsforderungen an den Innenminister sind Quatsch. - Vielleicht auch deshalb, weil sich die Koalition auf Änderungen bei den Asylverfahren geeinigt hat.
    Am Telefon ist Detlef Seif (CDU), stellvertretendes Mitglied im Innenausschuss des Deutschen Bundestages und Obmann der Union im Europaausschuss. Guten Tag.
    Detlef Seif: Guten Tag!
    Heinemann: Befürworten Sie eine Kontingentlösung?
    Seif: Ich befürworte die. Man muss jetzt zunächst mal denjenigen, die nicht verstanden haben, was der Minister meint, insbesondere Martin Schulz und Sigmar Gabriel, das kurz erläutern. Wir haben es ja nicht mit einer luftleeren Idee des Ministers zu tun, sondern wir sehen, dass wir insbesondere in Deutschland an die Grenzen der Aufnahmekapazität und, wie Wolfgang Bosbach das auch gesagt hat, der Integrationskraft kommen. Das geht schneller als wir denken und irgendwann sind wir alle überfordert und dann gibt es kein Zurück mehr. Deshalb ist es gut, wenn man mittelfristig darüber nachdenkt, innerhalb Europas Kontingente vorzusehen, großzügige Kontingente. Das bedeutet nicht, um jetzt hier ein Wort von Martin Schulz aufzunehmen, dass man die Leute zurück in die Region schickt, wo sie durch ISIS mit Leib und Leben bedroht sind. Wir haben ja auch viele Flüchtlinge in den Regionen um Syrien zurzeit. Denken Sie an Libanon, an den Irak, Ägypten, Jordanien, die Türkei, und da stellt sich einfach die Frage, ob man sagt, das sind grundsätzlich Länder, wo man sich nicht vorstellen kann, dass Flüchtlinge sicher untergebracht werden, und jeder, der aus diesen Ländern zu uns kommt, denn die meisten, die jetzt zu uns kommen, kommen nicht mehr aus dem Kampfgebiet, sondern sind bereits in einem Anrainerstaat untergebracht gewesen, ...
    "Artikel 16a des Grundgesetzes anpassen"
    Heinemann: Was passiert denn genau, wenn die Kontingente ausgeschöpft sind, meinetwegen im September?
    Seif: Wir müssen in jedem Fall ein Verfahren entwickeln, dass der Asyl- und Flüchtlingsschutz und auch der subsidiäre Schutz, das heißt, wenn jemand in der Kampfzone ist, dass er auch Schutz genießt, dass man dies beibehält. Man wird also nicht rechtskräftig sagen können, da kommt jetzt jemand aus einem unsicheren Gebiet und wir haben jetzt das Kontingent übererfüllt und können den nicht aufnehmen.
    Heinemann: Was nutzen dann Kontingente, wenn das gerade nicht geht?
    Seif: Die Kontingente nutzen insoweit etwas, wenn wir innerhalb der Europäischen Union zunächst mal uns darauf verständigen, dass diese Kontingente es gibt, und uns dann mit den Anrainerstaaten auch vertraglich binden, die finanziell unterstützen, dass die Flüchtlinge dort vor Ort sicher untergebracht sind und sicher untergebracht bleiben. Dann kann man das umsetzen. Das heißt, wir haben hier verschiedene Regelungen, die umgesetzt werden müssen. Herr de Maizière hat das zwar nicht angesprochen, aber ich bin schon der Meinung, dass wir auch den Artikel 16a des Grundgesetzes zumindest anpassen müssen, was die Frage der sicheren Drittstaaten angeht. Denn Sie können jemanden nur dann dorthin zurückschicken, wo er herkommt, wenn es sich um einen sicheren Drittstaat handelt.
    Heinemann: Herr Seif, noch mal ganz kurz zur praktischen Ausführung. Dann müsste man eigentlich jedem Flüchtling sagen, der zum Beispiel nach Deutschland kommen will, mach Dich ja im Januar auf den Weg, dann ist das Kontingent noch relativ unausgeschöpft, in der zweiten Jahreshälfte vor Weihnachten wird es dann gefährlich.
    Seif: Das Jahr beginnt im Januar, aber die Flüchtlinge kommen das ganze Jahr über zu uns. Deshalb: Das wird weder einen Pull-Effekt haben, noch sonst Auswirkungen haben.
    Heinemann: Sind Sie sicher?
    Seif: Ich bin mir da relativ sicher. Wir müssen Kontingente einrichten, sonst überfordern wir nicht nur Deutschland, sondern auch Europa.
    "Die Debatte über ein einheitliches europäisches Asylsystem neu führen"
    Heinemann: Vielleicht auch die CDU. Ist Angela Merkels Flüchtlingspolitik vielleicht für die auch gerade in Baden-Württemberg jetzt wahlkämpfenden Unionsfreunde eine Belastung inzwischen?
    Seif: Ich sage mal so: Es ist schwierig, den Menschen zu vermitteln, dass Angela Merkel vor anderthalb, zwei Wochen in einer schwierigen Situation war, als sie zu entscheiden hatte aus humanitären Gründen, ob circa 20.000 Flüchtlinge, die in ganz miserablen schlechten Bedingungen an der ungarischen Grenze festsaßen, nach Deutschland kommen dürfen. Das ist aber dann fehlinterpretiert worden, meiner Meinung nach, dass es heißt, jeder, der kommen will, jeder, der nach Europa, nach Deutschland kommen will, kann das auch und ist herzlich willkommen, nach der Devise, wir sind eine Willkommenskultur, wir sind unbegrenzt nach oben. So hat die Kanzlerin das nicht gemeint. Sie hat gesagt, wir haben ein Asylrecht, was nicht kontingentiert werden kann. Das heißt, jeder Mensch hat einen Schutzanspruch, der verfolgt wird, und so soll es auch bleiben, auch bei der Kontingentlösung von de Maizière. Das wird jetzt schwierig sein, natürlich im Wahlkampf durch die Baden-Württemberger Kollegen das zu vermitteln, weil die Medien einen ganz anderen Eindruck entwickelt haben, was hinter der Aussage steht, das Asylrecht ist nicht kontingentierbar.
    Heinemann: Was ist daran so schwer für eine Partei, die das C als Titel im Schilde führt?
    Seif: Das ist nicht schwierig für die Partei, die das C hat, weil wir auch aus christlicher Verantwortung gerade dieses Asylrecht, den Flüchtlingsschutz und auch den subsidiären Schutz sehr hochhalten. Aber wir müssen natürlich auch die Interessen unseres Landes und die Interessen Europas in Gleichklang mit diesem Asylrecht setzen, weil wir sonst nämlich denjenigen, die verfolgt sind, auch die Kapazitäten nehmen, um hier hinzukommen. Denn wir haben unter den Bewerbern und unter den Antragstellern zurzeit bis zu 60 Prozent Personen, die keinen Schutzanspruch haben, und da ist eine der größten Herausforderungen, diejenigen herauszufiltern und denen auch möglichst schnell durch einen vollziehbaren Bescheid deutlich zu machen, dass sie hier kein Bleiberecht haben. Damit erhöhen wir die Kapazitäten derjenigen, die verfolgt sind. Und nochmals: Das C in der CDU steht gerade dafür, dass wir hinter dem Asyl- und Flüchtlingsschutz auch stehen.
    Heinemann: Herr Seif, Sie sind einer der Unions-Abgeordneten, die der letzten Griechenland-Hilfe nicht zugestimmt haben. Die Integration der Menschen - wir haben ja gerade darüber gesprochen -, die jetzt zu uns kommen, das wird kurzfristig einiges kosten. Muss vor diesem Hintergrund die Debatte über diese ständigen Griechenland-Hilfen noch mal neu oder anders geführt werden?
    Seif: Nein. Wir müssen grundsätzlich die Debatte über ein einheitliches europäisches Asylsystem neu führen. Jeder der jetzt sagt, wir haben erst mal Dublin III, also die Vorschrift, die sagt, ein Flüchtling ist dort aufzunehmen und dessen Asylverfahren ist dort zu bearbeiten, wo er erstmalig in das Gebiet der Europäischen Union kommt, dieses System war von vornherein ein Schönwetter-System. Das war nur auf ganz wenige Flüchtlinge ausgerichtet. Das würde beispielsweise eins zu eins umgesetzt dazu führen, dass Deutschland pro Jahr für 3.000 Flüchtlinge zuständig wäre, die mit dem Flugzeug einreisend über die Nord- und Ostsee kommen, während Griechenland bei den anlaufenden Zahlen für über eine Million zuständig wäre.
    Neue Regierung in Griechenland: "Nicht besonders zuversichtlich"
    Heinemann: Hieße unterm Strich, dass die Kosten für die Flüchtlingshilfe jetzt keine Auswirkung haben auf die weiteren Hilfspakete für Griechenland, drei, vier, fünf oder wie viele dann noch kommen?
    Seif: Die sind völlig unabhängig davon zu sehen, weil wir das europäische Asylsystem auf völlig neue Füße stellen müssen. Wir müssen das vereinheitlichen und vor allen Dingen müssen wir auch ein System schaffen, wo möglichst die Verfahren schon im Bereich der Außengrenzen im Bereich der Europäischen Union durchgeführt werden. Das ist nur machbar, wenn wir ein einheitliches europäisches System haben bei einer angemessenen Lasten- und Kostenteilung. Aber das kommt uns auch in den nördlichen europäischen Ländern zugute, insbesondere auch Deutschland. Jedes Verfahren, was wir im Bereich der europäischen Außengrenzen im Osten durchführen und abschließen, kommt uns einerseits hinsichtlich der Kapazitäten zugute, aber andererseits auch hinsichtlich der Kosten, und auch da müssen wir gucken, dass wir unseren Staat nicht überfordern.
    Heinemann: Was erwarten Sie von der neuen alten griechischen Regierung?
    Seif: Zunächst mal muss ich sagen, dass die Regierung mich in einem nicht enttäuscht hat. Ich habe ja immer gesagt, die griechischen Regierungen waren zuverlässig in ihrer Unzuverlässigkeit. Syriza, zumindest einige Politiker, die unmittelbar jetzt hinter Alexis Tsipras stehen, haben ja schon angekündigt, dass man jetzt neu verhandeln solle über Schuldenerleichterungen, das wäre ein deutlicher Sieg, und genau das ist etwas, was nicht geschehen darf, dieses abgespeckte Paket, diese abgespeckten Bedingungen, die wir mit Griechenland ausgehandelt haben, jetzt noch weiter zu relativieren. Ich bin sehr gespannt, wie sich das weiter entwickeln wird. Ich bin aber angesichts der ersten Äußerungen da nicht besonders zuversichtlich.
    Gegen die Fraktion stimmen: "Würde das jederzeit wieder tun"
    Heinemann: Herr Seif, Volker Kauder hatte ja allen Funktionsträgern in der Bundestagsfraktion der Union gedroht. Ihr Nein hat Ihr Amt ja als Obmann im Europaausschuss bisher nicht gefährdet, oder?
    Seif: Das hat das nicht gefährdet. Aber machen wir uns nichts vor: Es ist natürlich so, dass man in einer Fraktion darauf achten muss, dass auch die Kollegen den mehrheitlich beschlossenen Maßnahmen auch folgen, und da habe ich auch in einem gewissen Maße Verständnis für. Nur es gibt eben auch Entscheidungen für mich, wo ich sage, nein, das war grundsätzlich falsch, und deshalb habe ich auch anders abgestimmt. Ich sehe das auch nicht so dramatisch. Ich hoffe, dass meine Arbeit im Übrigen so bewertet wird, dass ich nach der nächsten Bundestagswahl dieses Amt vielleicht auch weiter bekleiden darf. Wenn nicht, okay, dann hat die Abwägung zugunsten des freien Mandats sich gegen mich ausgewirkt, aber ich würde das jederzeit wieder tun, wenn ich der Meinung bin, dass eine Entscheidung nicht richtig ist, auch mal gegen die Fraktion zu stimmen, wenn es ganz wichtige Entscheidungen sind, Gewissensentscheidungen, die sich für uns alle und Europa auch direkt auswirken.
    Heinemann: Darüber sprechen wir dann vor 2017 noch mal.
    Seif: Das machen wir gerne.
    Heinemann: Detlef Seif, der CDU-Bundestagsabgeordnete. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Seif: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.