Bei der Unterbringung von Geflüchteten können Städte und Kommunen vorerst nicht mit einer weiteren finanziellen Unterstützung durch den Bund rechnen. Beim Flüchtlingsgipfel in Berlin wurden Entscheidungen über die weitere Verteilung finanzieller Lasten vertagt. Darüber solle um Ostern in einem Spitzengespräch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder gesprochen werden, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Faeser betonte die enge Abstimmung zwischen den staatlichen Ebenen. "Wir stehen Seite an Seite" und "wir schultern gemeinsam den großen humanitären Kraftakt", sagte die Innenministerin. Sie verwies auf sehr unterschiedliche Belastungen in den Kommunen und Regionen, über die es einen engeren Austausch geben solle, auch über ein neues digitales "Dashboard", das künftig mit Daten zur Situation Geflüchteter für Transparenz sorgen soll.
Der Präsident des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, zeigte sich mit den Ergebnissen nicht zufrieden: "Wir brauchen in Deutschland jetzt dringend Entlastung für die, die kommunale Verantwortung tragen." Der für die Unterbringung von Geflüchteten erforderliche Wohnraum sei begrenzt. Dass der Bund nun angekündigt habe, Liegenschaften des Bundes auf eigene Kosten für die Unterbringung herzurichten, sei gut.
Wie viele Flüchtlinge kommen aktuell nach Deutschland - und woher?
Die Anzahl Geflüchteter, die derzeit nach Deutschland kommen, steigt wieder. Im vergangenen Jahr haben hierzulande so viele Menschen Asyl beantragt wie seit 2016 nicht mehr: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF) registrierte 217.774 Erstanträge. Eine Zahl, die in diesem Jahr noch einmal deutlich steigen könnte. Denn allein im Januar wurden rund 29.000 Erstanträge gestellt.
Die meisten Flüchtenden, die in den vergangenen Jahren nach Deutschland einreisten, um Asyl zu beantragen, stammen aus vier Ländern:
- Syrien (2022: knapp 71.000)
- Afghanistan (2022: mehr als 36.000)
- Türkei (2022: fast 24.000)
- Irak (2022: mehr als 15.000)
Dazu kamen im vergangenen Jahr mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine. Sie verfügen über einen Sonderstatus, müssen somit kein Asyl beantragen, benötigen aber ebenfalls Unterbringung, Sozialleistungen und weitere Versorgung. Von allen EU-Mitgliedsstaaten hat nur Polen mehr Geflüchtete aus der Ukraine (rund 1,5 Millionen) aufgenommen als Deutschland.
In Folge des Erdbebens in der Türkei und in Syrien dürfte es zu weiteren Fluchtbewegungen kommen. Die Bundesregierung hat angekündigt, die Aufnahme von Erdbeben-Betroffenen aus der türkisch-syrischen Grenzregion unbürokratisch zu gestalten. Diese sollen schnell reguläre Visa mit dreimonatiger Gültigkeit erhalten. Das Verfahren soll für Menschen gelten, die in Deutschland lebende Verwandte ersten und zweiten Grades haben.
Insgesamt waren in Deutschland Ende 2021 rund 1,94 Millionen Schutzsuchende im Ausländerzahlenregister (AZR) registriert, die sich unter Berufung auf humanitäre Gründe in Deutschland aufhalten.
Wie hat sich die Situation in den vergangenen Jahren entwickelt?
Insgesamt haben laut BaMF rund 6,5 Millionen Menschen seit 1953 einen Asylantrag in Deutschland gestellt - die große Mehrheit davon (rund 5,6 Millionen) nach 1990, unter anderem aufgrund der Kriege auf dem Gebiet des früheren Jugoslawiens.
In den Jahren 2015 und 2016 kam es zu einer außergewöhnlich hohen Zuwanderung: Millionen von Menschen flohen vor Krieg, politischer Verfolgung und wirtschaftlicher Notlage nach Europa und auch nach Deutschland - insbesondere aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Deutschland akzeptierte Hunderttausende von Asylanträgen.
Ab 2017 kamen deutlich weniger Geflüchtete in Deutschland an, unter anderem aufgrund der Schließung der sogenannten Balkanroute und eines Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Dies führte zu einem starken Rückgang der Anträge auf Asyl.
Im vergangenen Jahr erreichte die Zahl registrierter Flüchtlinge dann wieder ein ähnliches Niveau wie 2015 und 2016 - unter anderem aufgrund des Zuzugs von Ukrainerinnen und Ukrainern in Folge des russischen Angriffskriegs.
Zugleich stieg aber 2022 auch die Zahl der Asylanträge an, im Vergleich zum Jahr 2021 um 27,9 Prozent. Dieser Trend scheint sich in diesem Jahr fortzusetzen. Im Januar 2023 wurden doppelt so viele Asylanträge gestellt wie im Vorjahreszeitraum.
Wie reagiert die Politik?
Der außergewöhnlich hohe Flüchtlingszuzug im Jahr 2015 löste eine breite politische und gesellschaftliche Debatte über die deutsche und europäische Einwanderungspolitik aus. Insbesondere rechten Kräften nutzten die Situation, um nationalistische und fremdenfeindliche Positionen zu verbreiten. Forderungen nach der Begrenzung der Zuwanderung und konsequenterer Abschiebung abgelehnter Asylbewerber kommen auch aus der politischen Mitte.
Um den Druck zu verringern, mehren sich auch Forderungen, die Abschiebung ausreisepflichtiger Menschen stärker voranzutreiben und sogenannte irreguläre Migration zu begrenzen. Dafür soll sich der neue Sonderbevollmächtigte der Regierung, Joachim Stamp (FDP), einsetzen. Unter anderem soll er Rücknahmevereinbarungen mit den Herkunftsländern von Ausreisepflichtigen aushandeln.
Die Bundesregierung hat schon jetzt eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Länder und Kommunen bei der Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge zu helfen. So sollen zum Beispiel bundeseigener Immobilien als Flüchtlingsunterkünfte bereitgestellt werden.
Außerdem hatte Berlin für 2022 Ländern und Kommunen zunächst pauschal zwei Milliarden Euro zusätzlich zur Versorgung der Menschen aus der Ukraine zugesichert. Im Oktober erhöhte die Regierung die finanzielle Unterstützung für flüchtlingsbedingte Kosten noch einmal um je 1,5 Milliarden Euro zusätzlich für 2022 und 2023. Auch gab es eine Zusage für Zahlungen von weiteren 1,25 Milliarden Euro ab 2023, sodass sich für das laufende Jahr eine Summe von 2,75 Milliarden Euro ergibt.
Zu weitergehenden Forderungen verwies Bundesfinanzminister Lindner wiederholt auf begrenzte finanzielle Möglichkeiten des Bundes. Innenministerin Faeser argumentiert zudem, dass der Bund bereits 68.000 Plätze für Geflüchtete in 330 bundeseigenen Liegenschaften zur Verfügung gestellt habe. Davon sind offenbar etwa zwei Drittel belegt.
Was sind die drängendsten Probleme?
Eine der größten Herausforderung ist die Finanzierung und die Unterbringung der Geflüchteten. Seit Monaten klagen vor allem die kommunalen Spitzenverbände, aber auch die Bundesländer über erheblich Lasten durch die hohe Zahl von Einreisen. Dies gelte sowohl finanziell als auch organisatorisch, da es kaum noch Unterbringungskapazitäten gebe und auch Schul- und Kitaplätze knapp würden.
Viele Bürgermeister und Landräte wissen nicht mehr, wie sie Geflüchtete langfristig unterbringen und versorgen sollen - insbesondere in Zeiten knapper öffentlicher Ressourcen und hoher Inflation. Gewarnt wird vor einem erneuten Rückgriff auf Notunterkünfte wie Sporthallen, in denen nach der Corona-Pandemie endlich wieder Schul- und Vereinssport betrieben werden könne. Und die vom Bund zur Verfügung gestellten Gebäude sind nicht alle für eine zeitnahe Nutzung geeignet.
Viele Kommunen fordern Planungs- und Finanzierungszusagen für 2024, damit sie mit weiteren Bauvorhaben beginnen können.
Zusätzliche Probleme entstehen für alle Beteiligten durch den komplexen und oft langwierigen Asylantragsprozess. Dieser führt dazu, dass viele Antragstellerinnen und Antragsteller lange auf eine Entscheidung warten müssen.
Auch die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt und die Gesellschaft werden immer wieder als schwierig beschrieben. Hinzu kommen zum Teil Vorbehalte gegen die Flüchtlingsaufnahme in manchen Gemeinden, bis hin zur offenen Ablehnung von Flüchtlingsunterkünften.
Welche Vorschläge gibt es, um die Probleme zu lösen?
Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds, fordert einen langfristigen und vor allem nachhaltigen "Masterplan Unterbringung, Integration, faire Verteilung und Finanzierung". Konkret nennt Landsberg mehr Plätze in den Erstaufnahmeeinrichtungen, Neubauten, die später als Sozialwohnungen genutzt werden könnten, sowie mehr Schul- und Kitaplätze, um der Familie die Integration zu erleichtern.
Länder und Kommunen dringen zudem auf eine komplette Übernahme der Wohn- und Gesundheitskosten durch den Bund. Dies wären etwa zwei Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich. Genannt werden aber auch deutlich höhere Zahlen. Zudem solle der Bund noch mehr eigene Immobilien bereitstellen.
Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), fordert neben zusätzlichen Unterbringungskapazitäten vom Bund auch schnellere Verfahren: "Dass klar ist, wer kann bleiben und wer kann nicht bleiben."
Diskutiert wird auch darüber, Hindernisse für die Arbeitsaufnahme Geflüchteter - auch solcher, die nur über eine Duldung verfügen - abzubauen, um deren Integration in den Arbeitsmarkt weg von staatlichen Sozialleistungen zu beschleunigen.
Zugleich gibt es Forderungen nach einer noch stärkeren Abschottung der EU und einer weiteren Verstärkung der EU-Außengrenzen - ebenso wie nach einer besonneneren und gerechteren Verteilung von Geflüchteten innerhalb Deutschlands und der Europäischen Union.
(Quellen: Statistisches Bundesamt, Statista, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dpa, og, scr)