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Flüge nach Tel Aviv
"Kein Verständnis dafür, dass man jetzt die Flüge wieder aufnimmt"

Solange Raketen in Richtung des Flughafens Tel Aviv geschickt werden und die Kampfhandlungen weitergehen, dürfe kein Pilot gezwungen werden, den Airport anzufliegen, forderte Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit, im DLF. Sicherheitsaspekte müssten wichtiger sein als eine politische Wertung.

Jörg Handwerg im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit.
    Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit. (picture alliance / dpa / Boris Roessler)
    Mario Dobovisek: Die Lufthansa und ihre Tochtergesellschaften German Wings, Austrian Airlines, Swiss und Brussels Airlines fliegen ab heute wieder nach Tel Aviv. Zu der Entscheidung sei man auch nach eigener Risikoanalyse gekommen, heißt es. Auch Air Berlin will die Flüge wieder aufnehmen. Am Telefon begrüße ich Jörg Handwerg, er ist selbst Pilot bei der Lufthansa und Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit - guten Tag, Herr Handwerg!
    Jörg Handwerg: Schönen guten Tag!
    Dobovisek: Die Lufthansa fliegt also wieder nach Tel Aviv. Hat sich dort denn die Sicherheitslage gegenüber den vergangenen Tagen deutlich geändert?
    Handwerg: Unseren Informationen nach hat sich die Sicherheitslage nicht geändert, und deswegen haben wir auch eigentlich kein Verständnis dafür, dass man jetzt die Flüge wieder aufnimmt.
    Dobovisek: Was ist das für eine Entscheidung? Eine wirtschaftliche? Eine politische?
    Handwerg: Da spielt wohl vieles eine Rolle in diesem Fall. Natürlich gibt es einen politischen Druck, es gibt eine Art Lemming-Effekt - wenn einer anfängt, hin zu fliegen, dann fühlen sich alle anderen auch gezwungen, nachzuziehen. Es gibt natürlich wirtschaftliche Auswirkungen, es gibt sicherlich auch Befürchtungen, dass es unter Umständen das Verhältnis zu Israel belasten können, also was dann eben später mal Anflugrechte, Überflugrechte und so weiter angeht. Es gab ja sehr schnell einen ziemlich vehementen Aufschrei, als man gesagt hat, Tel Aviv wird eine Zeit lang nicht angeflogen. Man "fühlt sich verraten" und solche Worte sind da gefallen. Hier gibt es eine primär politische Wertung dieses Vorgangs, und eigentlich sollte man das Ganze aber unter Sicherheitsaspekten betrachten aus unserer Warte.
    "Ich selber würde zurzeit nicht nach Tel Aviv fliegen"
    Dobovisek: Wer trifft denn am Ende solche Entscheidungen?
    Handwerg: Solche Entscheidungen treffen die Airlines für sich. Aber natürlich sind Sie nicht frei von Einflüssen von außen. Aber letzten Endes, die Airlines treffen die Entscheidung, ob geflogen wird oder nicht.
    Dobovisek: Die israelische Fluggesellschaft EL AL schützt ihre eigenen Flugzeuge mit installierten Abwehrsystemen, mit Täuschkörpern zum Beispiel, die ausgestoßen werden können, wenn sich Raketen nähern sollten. Die Lufthansa-Maschinen verfügen über derlei Ausstattung nicht. Würden Sie sich sicher fühlen, wenn Sie als Pilot zum Landeanflug auf Tel Aviv ansetzen?
    Handwerg: Also ich selber würde zurzeit nicht nach Tel Aviv fliegen, muss ich ganz offen sagen.
    Dobovisek: Haben Sie denn die Möglichkeit, das abzulehnen?
    Handwerg: Das ist das Problem. Wir haben eigentlich nur die Möglichkeit, wenn es eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes gibt, als Angestellte das abzulehnen. Lufthansa hat zwar zurzeit gesagt, bis Sonntag sind sie auch bereit, ohne die Verpflichtung anzuerkennen, es zu akzeptieren, wenn sich Besatzungsmitglieder wehren und nicht fliegen möchten. Aber wir fordern ganz klar, dass, solange dort Kampfhandlungen stattfinden und Raketen Richtung Flughafen geschickt werden, dann muss diese Regelung gelten. Wir verlangen, dass keiner gezwungen wird, dorthin zu fliegen.
    Dobovisek: Blicken wir in eine weitere Krisenregion, den Osten der Ukraine. Dort stürzte Flug MH17 der Malaysia Airlines ab, fast 300 Menschen starben. Höchstwahrscheinlich wurde das Flugzeug abgeschossen. Wer entscheidet über Flugrouten, etwa über Krisengebieten?
    Handwerg: Primär entscheiden natürlich die Airlines, insofern der Luftraum offen ist. Wenn der Luftraum geschlossen wird, das können die Länder selber veranlassen, dann darf natürlich keiner drüber fliegen, aber wenn der Luftraum geöffnet ist, dann entscheiden weitgehend die Airlines ...
    Dobovisek: Da haben wir offenbar die Verbindung verloren. Herr Handwerg, hören Sie mich noch?
    Handwerg: Ich höre Sie, ja.
    "Hier herrscht auch seitens der Arbeitgeber ein Druck auf den Piloten"
    Dobovisek: Wunderbar. Also die Airlines entscheiden. Wer hat dann das letzte Wort? Kann der Pilot mitentscheiden, zum Beispiel?
    Handwerg: Der Pilot kann, wenn er einen sehr guten Grund hat, im Einzelfall natürlich von der aktuellen Flugroute abweichen, aber wir hatten jetzt gerade wieder einen Fall, dass ein Kollege vom Flug abgesetzt wurde, weil er nicht über den Irak fliegen wollte. Also hier herrscht auch seitens der Arbeitgeber ein Druck auf den Piloten, und es gibt eben auch Konsequenzen für das Individuum, wenn er sagt, ich habe da kein gutes Gefühl, dort und dort lang zu fliegen. Insofern ist unsere Möglichkeit, solche Routen abzulehnen, sehr, sehr begrenzt.
    Dobovisek: Haben wir als Passagiere denn vor einem Flug die Möglichkeit, zu erfahren, auf welcher Route der Flug dann tatsächlich durchgeführt wird?
    Handwerg: Nein, die Möglichkeit gibt es im Prinzip nicht. Man kann natürlich schauen, da die Routen in der Regel immer relativ ähnlich über längere Zeiträume laufen, kann man auf diversen Internetseiten ja heute ziemlich genau verfolgen, wo Flugzeuge lang fliegen und kann sich ein Bild machen. Generell wird ungefähr auf dem Großkreis, also auf der direktesten Verbindung geflogen, dann weiß man schon so, ob eine Route über ein gewisses Gebiet führen könnte oder nicht. Aber en détail kann sich das natürlich mit der Wetterlage und mit Überflugrechten und so weiter täglich ändern.
    Dobovisek: Jörg Handwerg, Sprecher der Pilotenvereinigung Cockpit. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.