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Folgen der Ozeanversauerung
Meersbewohner im Stress-Test

Wenn der Kohlendioxid-Gehalt in der Luft steigt, ändert sich nicht nur das Klima. Auch die Ozeane werden saurer, denn ein großer Teil des CO2 löst sich im Meerwasser. Ozeanversauerung nennen Wissenschaftler dieses Phänomen. Seit ein paar Jahren untersucht ein Forscherteam des GEOMAR in Kiel, wie sich die Ozeanversauerung auf ganze Lebensgemeinschaften auswirkt.

Von Christine Westerhaus | 19.06.2015
    Ulf Riebesell startet den Motor der "Wassermann". Das Boot wird eine Gruppe Forscher zu den "Mesokosmen" bringen, den Versuchsanlagen, die in diesem Jahr im Fjord vor der Küste Bergens verankert sind. Die Wissenschaftler wollen darin Wasserproben entnehmen.
    "Da draußen sieht man schon direkt vor uns die Mesokosmen. Aufgereiht, Acht Stück an der Zahl, wie sie hier im Raunefjord liegen. Ganz nett im Hintergrund ein paar kleine hübsche Inseln, die uns auch noch mal ein bisschen Windschutz geben, wenn's mal tüchtig von Südwesten bläst."
    Etwa anderthalb Meter weit ragt der überdachte oberirdische Teil dieser durchsichtigen Plastikschläuche aus dem Wasser. Doch unter der Oberfläche geht es noch weitere 18 Meter in die Tiefe. In diese langen Schläuche haben die Forscher 55 Kubikmeter Meerwasser samt den darin lebenden Organismen eingesperrt. In die Hälfte der Mesokosmen haben die Forscher zusätzliches Kohlendioxid eingebracht. Damit simulieren sie die Ozeanversauerung.
    "Wir legen jetzt mal an einem der Mesokosmen an, da kann man ein bisschen erklären und zeigen."
    Experimentleiter Riebesell legt die „Wassermann" an den orangefarbenen Auftriebskörpern von Mesokosmos Nummer Acht an. Biologe Carsten Spisla bereitet den sogenannten integrierten Wasserschöpfer vor.
    Er löst ihn aus der Verankerung und lässt ihn an einem Seil in den Mesokosmos hinuntergleiten.
    "Wir lassen den jetzt ganz langsam auf Tiefe, weil da ein Drucksensor dran ist der merkt, auf welcher Tiefe er sich befindet."
    "Kann man schon was sehen? Ich sehe nichts. Copepoden, also kleine Krebse, die fangen wir häufiger mit."
    Flügelschnecken besonders gefährdet
    Silke Lischka zieht an diesem Morgen ein Planktonnetz durch das Fjordwasser. In der Wasserprobe sucht sie später direkt in der nahe gelegenen Forschungsstation nach winzigen Flügelschnecken, die eine wichtige Nahrungsquelle für andere Meeresbewohner sind. Flügelschnecken bilden ihre Schale aus Aragonit, einer leicht löslichen Form des Kalziumkarbonats. Daher gelten sie als besonders gefährdet, erklärt die Biologin die als Postdoc untersucht, wie Flügelschnecken mit der Ozeanversauerung zurechtkommen.
    "Das haben schon mehre Studien gezeigt, auch die letzte Studie in Bergen 2011 dass die Schale angegriffen wird. Dass man sieht, die korrodiert so. Die sehen auch angefressen aus, man kann auch teilweise Löcher sehen, je nachdem wie lange sie da drin sind. Das würde ich auf jeden Fall erwarten, dass das passiert."
    Schon 2011 haben die Forscher des GEOMAR im Raunefjord bei Bergen Mesokosmen verankert. Auch vor der Küste Schwedens, in Spitzbergen und Gran Canaria simulierten sie mit diesen Plastiksäcken die Ozeanversauerung, um ein möglichst umfassendes Bild davon zu erhalten, wie sich höhere CO2 Werte auf unterschiedliche Lebensgemeinschaften in den Weltmeeren auswirken. Immer wieder hat sich dabei gezeigt, dass Kalk bildende Organismen wie Schnecken oder Kalkalgen besonders unter der Ozeanversauerung leiden.
    Eine Frage, die unter den Forscher viel diskutiert wird ist, ob sich Organismen an niedrigere pH-Werte anpassen können. Deshalb haben Ulf Riebesell und sein Team eine Population der Kalkalge Emiliania huxleyi im Labor fünf Jahre lang unter höheren Co2 Konzentrationen gehalten und nur die schnell wachsenden Individuen weiter vermehrt. Unter Laborbedingungen kamen die so gezüchteten Individuen besser mit der Ozeanversauerung zurecht.
    "Jetzt ist halt die Frage: Hat sie sich in fünf Jahren im Labor so weit entfernt von den natürlichen Gemeinschaften, dass sie hier gar nicht mehr existieren kann oder hat der Vorteil der Anpassung an Ozeanversauerung ihr einen riesigen Vorschub verschafft und lässt sie in unseren Hoch CO2-Mesokosmen gut wachsen."
    Auslöser könnte Stress sein
    Die Forscher haben die an Ozeanversauerung gewöhnte Laborpopulation in den Mesokosmen ausgesetzt - zu der Population, die natürlicherweise im Raunefjord vor Bergen vorkommt. Das Ergebnis dieses Experiments konnten die Forscher schon wenige Wochen nach dem Start ablesen:
    "Also die Überraschung kam gestern: Wir haben völlig unerwartet jetzt gesehen, dass alle Emilianias, also wahrscheinlich auch die Hausgemeinschaft, hier plötzlich zusammenbrach in den Mesokosmen, die Zahlen rapide absanken und wir im Moment noch keine Ahnung haben, was die Ursache ist."
    Auslöser könnte der Stress sein, dem die Kalkalgen unter Ozeanversauerung ausgesetzt sind. Er könnte die Einzeller anfälliger für Krankheiten machen oder dafür sorgen, dass sie vermehrt gefressen werden. Das würde bedeuten, dass auch die vorherige Anpassung an Ozeanversauerung den Kalkalgen im Freiland keinen Vorteil verschafft.
    Die endgültige Auswertung der Experimente wird nun noch Monate dauern. Zwar werden auch die Mesokosmos-Experimente den Forschern nicht verraten können, wie die Ozeane in Zukunft aussehen werden, wenn der Mensch weiterhin so hohe Kohlendioxidmengen in die Luft pustet. Doch schon jetzt ist klar, dass die Meeresversauerung die Lebensgemeinschaften ziemlich auf den Kopf stellen wird, meint Ulf Riebesell.
    "Es wird weiterhin Leben im Ozean geben. Es wird aber eine andere Zusammensetzung in den Ökosystemen geben, es wird andere Spieler geben. Es scheinen sich auch hier und da auch mal toxische Algen besonders wohlzufühlen. Die Ozeane werden auch weiterhin Fisch produzieren. Ob die Bestände leiden werden ist momentan ganz schwer vorherzusagen. Die Muschelindustrie - da wird es höchstwahrscheinlich Einbußen geben."