Dienstag, 16. April 2024

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Folgen des Unionsstreits
"Das macht die Wirtschaft nervös"

Da ginge mehr den Bach runter als die Koalition, sagte ifo-Präsident Clemens Fuest im Dlf über ein mögliches Auseinanderbrechen der Union. Es bestünde die Gefahr größerer Erschütterungen und möglicher Neuwahlen. Deutschlands Berechenbarkeit - auch international - sei dann in Gefahr.

Clemens Fuest im Gespräch mit Günther Hetzke | 02.07.2018
    Der Direktor des Institutes für Wirtschaftsforschung (ifo), Clemens Fuest
    Die Union sei "über Jahrzehnte ein Stabilitätsfaktor" gewesen, sagte Fuest im Dlf. (dpa)
    Günter Hetzke: Beginnen aber wollen wir mit einem Blick auf die Schnittstelle von Politik und Wirtschaft. Wir wollen auf den Asylstreit der Unionsparteien eingehen. Zur Stunde treffen sich, so zumindest die Planung, der Bundesinnenminister Seehofer und die Bundeskanzlerin Merkel, um nach einem Kompromiss in diesem Streit zu suchen - ein Streit, der zum einen die Anleger an der Börse verunsichert, zum anderen aber auch Wirtschaftsverbände, die teilweise entsetzt auf die Auseinandersetzung reagieren. Am Telefon begrüße ich jetzt den Präsidenten des Münchener ifo-Instituts, Clemens Fuest. Guten Tag, Herr Fuest!
    Clemens Fuest: Guten Tag, Herr Hetzke.
    Hetzke: Herr Fuest, warum reagieren Teile der Wirtschaft so entsetzt?
    Fuest: Na ja, Streit gehört zur Demokratie. Aber hier sieht es ja danach aus, als würden ausgerechnet die beiden Unionsparteien die Koalition sprengen, und da geht ja mehr den Bach runter als die Koalition. Die Union selbst spaltet sich, hat man den Eindruck, und das wäre schon gravierend. Die Union – das ist eine Partei, von der kann man halten was man will, aber sie war ein Stabilitätsfaktor über Jahrzehnte in Deutschland, und eine Spaltung wäre schon gravierend, würde die Unsicherheit sehr erhöhen, und die Wirtschaft mag Berechenbarkeit und die mag keine Unsicherheit.
    "Die deutsche Politik würde weniger berechenbar"
    Hetzke: Welche Unsicherheit löst sie denn aus? Wenn wir zum Beispiel mal aufs Detail gehen: Die treibende Kraft des Wirtschaftswachstums ist ja der Binnenkonsum. Wenn da jetzt eine Koalition kracht - ich meine, kein Verbraucher wird sich dadurch abhalten von der Beschaffung neuer Gegenstände.
    Fuest: Nein. Wenn die Koalition kracht, ist das im Prinzip nicht so schlimm. Das ist ja ein normaler Vorgang in der Demokratie. Aber hier spaltet sich eine Partei, die ja doch ein Stabilitätsfaktor über Jahrzehnte geblieben ist. Das hatten wir bislang noch nicht als Vorgang. Das gab es zwar schon mal in den 70er-Jahren, dass man quasi am Rand der Spaltung stand, aber man war eigentlich nie so nah wie heute. Und dann muss man ja fragen: Was bringt die nächste Regierung? Wenn die CDU und die CSU sich trennen? Dann haben wir ja Verhältnisse wie in den Niederlanden mit vielen kleinen Parteien. Nun geht es auch den Niederlanden nicht so schlecht, auch damit kann man leben. Aber die deutsche Politik würde weniger berechenbar. Die Unsicherheit würde wirklich deutlich zunehmen und das macht die Wirtschaft nervös.
    Hetzke: Wenn wir mal kurz, da Sie darauf angesprochen haben, das Gedankenspiel zu Ende machen: CDU und CSU trennen sich, gehen getrennte Wege. Da könnten ja beispielsweise die Grünen einspringen. Ist das eine gute Idee aus Ihrer Sicht?
    Fuest: Im Prinzip wäre das denkbar, dass die Grünen da einspringen. Nur muss man sich ja auch auf irgendetwas einigen, und die Frage ist, wäre die CDU überhaupt bereit und in der Lage, nach einer so gravierenden Veränderung jetzt einfach in eine neue Koalition zu gehen. Viele in der CDU sind ja ebenfalls sehr skeptisch, was den Kurs der Regierung angeht oder den Kurs von Angela Merkel angeht. Es ist nicht so klar, dass die CDU einfach zum Tagesgeschäft übergehen würde und sagen würde, na ja, dann bleiben wir jetzt bei der Bundeskanzlerin und gehen eine neue Koalition ein. Das würde wohl schon größere Erschütterung nach sich ziehen und vermutlich auch Neuwahlen.
    Befürchtungen, dass Parteienlandschaft weiter zersplittert
    Hetzke: Sie sprechen immer wieder die Stabilität an, die für die Wirtschaft wichtig ist. Wir haben monatelang mit einer Ersatzregierung gelebt, während der Koalitionsverhandlungen der Unionsparteien mit der SPD. Da hat sich doch die Wirtschaft unbeeindruckt gezeigt. Warum ist das jetzt aus Ihrer Sicht was anderes?
    Fuest: Ja. Koalitionsverhandlungen, die nicht vorangehen, das ist nicht so schlimm. Wenn die Politik mal nichts tut, dann macht man auch keinen Unsinn und keine wirtschaftspolitischen Fehler. Das ist gar nicht so schlecht. Aber hier geht es ja um etwas sehr Grundlegendes, nämlich die Frage, ob wir auch in Zukunft in Deutschland stabile Regierungen haben werden, und eine weitere Zersplitterung der Parteienlandschaft würde ja langfristig etwas ändern. Da geht es gar nicht um die Frage, was ist die nächste Koalition, sondern da geht es wirklich um die Zusammensetzung des Parlaments, um die Parteienlandschaft in Deutschland. Und wenn sich das so grundlegend ändern würde, dann müsste man auch damit rechnen, dass bei uns die Regierungen instabiler werden, und das ist die Frage, die dann auch Auswirkungen hätte auf die weitere Wirtschaftsentwicklung - nicht nur auf die Unternehmen, sondern auch auf die Bevölkerung, auf die Arbeitsplätze und auch auf die Berechenbarkeit Deutschlands als Partner in Europa und international. Das dürfen wir ja nicht vergessen. Auch das ist eine wichtige Frage, dass Deutschland ein berechenbarer Partner ist und bleibt, und all das steht jetzt auf dem Spiel.
    Hetzke: Aber bei den weltweiten Handelsbeziehungen oder vor allem dem Handelskonflikt mit den USA, kann sich da Deutschland es nicht auch erlauben, sich eine Zeit lang zurückzuziehen? Das ist doch eine Sache der EU; die hat das doch eigentlich zu verhandeln.
    Wirtschaft warnt vor einem "handlungsunfähigen Deutschland"
    Fuest: Ja, aber Deutschland ist natürlich die größte Volkswirtschaft in der EU und ein sehr wichtiger Stabilitätspfeiler der EU. Insofern wäre es schon wichtig, dass auch Deutschland hier präsent ist. Deutschland steht ja auch sehr stark im Fokus, wenn wir jetzt über Autozölle reden und die EU - das sind die Mitgliedsstaaten -, auch über den Europäischen Rat. Es kann ja auch im Rat nichts beschlossen werden oder, ich sage mal, wenig beschlossen werden, ohne dass Deutschland sich beteiligt. Wir reden über Reformen in der EU, beim Grenzschutz, bei der Stabilisierung des Euro. Da ist sehr viel zu tun. Und all das wird nicht vorangehen, wenn Deutschland nicht handlungsfähig ist.
    Hetzke: Wenn ich da mal kurz widersprechen darf? Heute hat doch die Europäische Union erst ein Schreiben an das US-Handelsministerium gerichtet und hat ganz klar gedroht mit massiven Gegenmaßnahmen, sollte es Schutzzölle auf Autos geben. Deutschland war ja schon mit sich selber beschäftigt. Es scheint irgendwie doch zu gehen.
    Fuest: Ja. In der Handelspolitik hat ja auch die Europäische Union die Kompetenz. Aber schon wenn es darum gehen würde, vielleicht mit den USA ein neues Handelsabkommen abzuschließen, dass man Trump überredet, lasst uns doch lieber die Zölle senken, als sie zu erhöhen, schon das ginge nicht mehr ohne die Mitwirkung der Bundesregierung. Die EU mit einem handlungsunfähigen Deutschland funktioniert auf Dauer nicht.
    Hetzke: Das war eine klare deutliche Ansage - der ifo-Präsident Clemens Fuest war das über den Asylstreit der Unionsparteien und die Verunsicherung der Wirtschaft. Herr Fuest, vielen Dank für dieses Gespräch.
    Fuest: Vielen Dank, Herr Hetzke.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.