Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Forschungsprojekt "Tiere als Objekte"
Zusammenspiel von Handels-, Forschungs- und Kulturgeschichte

Lebende und tote Tiere ziehen in Berlin jedes Jahr Millionen von Besuchern an. Ein Forschungsverbund hat untersucht, wie Säugetiere, Vögel und Insekten zu Zoo-Attraktionen, Forschungsdatensätzen und musealen Exponaten mutieren. Aber Tiere sind auch Objekte der Diplomatie.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 20.02.2020
Die beiden Panda-Jungen krabbeln auf einem Handtuch, sie sind rosafarben und haben zartes weißes Fell. Einer von ihnen krabbelt auf die Hand einer Zoomitarbeiterin.
Der Berliner Zoo präsentiert am 2.9.2019 auf diesem Foto den ersten in Deutschland geborenen Panda-Nachwuchs. Es sind zwei Junge der Pandabärin Meng Meng. (Zoologischer Garten Berlin / dpa)
"In this room is housed a giant chinese paddlefish: Psephurus gladius."
In dem abgedunkelten Raum reihen sich hohe gläserne Behälter, in denen ausgeblichene Fische und Schlangen stecken. Darunter auch der chinesische Schwertstör, der seit Anfang des Jahres offiziell als ausgestorben gilt. Seine DNA bleibt in der Ethanol-Wasser-Mischung erhalten – solange diese Probe nicht verloren geht.
"Das Museum für Naturkunde beherbergt 30 Millionen Objekte, benannt und beschriftet. Museen, Sammlungen verkörpern einen akkumulativen Geist: Sie träumen von umfassenden Katalogen und vollständigen Inventaren der Natur. Ganze Welten sind hier versammelt."
Blick hinter die Kulissen
Als "Archiv des Lebens" bezeichnet Sybille Neumeyer das Berliner Naturkundemuseum. Die Künstlerin lässt die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Forschungsprojekts "Tiere als Objekte" sowie ihre internationalen Gäste bei einem Rundgang hinter die Kulissen des großen Hauses schauen: Im Keller regeln unzählige Rohre die Klimatisierung. Große Holzkisten erzählen vom Transport, die Gefrierkammer von der Kühlung angelieferter Tierkadaver.
"Tiere als Objekte" - darin stecke sowohl eine Provokation als auch eine Frage, sagt Mareike Vennen:
"Nämlich die Frage, der wir nachgehen ist die, wie eigentlich Tiere zu Objekten werden durch die Translokation, durch den Transfer in und durch verschiedene Institutionen, in dem Fall Sammlungsinstitutionen im weitesten Sinne."
Berliner Naturkundemuseum 1810 gegründet
Im Mittelpunkt steht Berlin mit seinen Zoologischen Gärten, zu denen Zoo, Tierpark und Aquarium gehören, dem Naturkundemuseum und der Zoologischen Lehrsammlung an der Humboldt-Universität. In den miteinander vernetzten Institutionen sind Tiere bis heute zu Objekten der Schaulust, der Forschung und Lehre geworden, sagt die Kulturwissenschaftlerin von der HU:
"Diese Frage untersuchen wir sowohl anhand von einzelnen Objektgeschichten. Also dass wir wirklich die Tiere verfolgen, wie kommen sie in den Zoo, wie kommen sie danach ins Naturkundemuseum oder andere Institutionen. Also wie gehen sie wieder raus? Und gleichzeitig wollen wir das in einer großen historischen Spanne untersuchen, von der Gründung des Museums 1810 über die Gründung des Zoos 1844, eigentlich bis jetzt, bis 2020 – und können daran natürlich auch historische Entwicklungen dann zeigen."
Der Forschungsverbund soll klären, wie die Institutionen ihre Tiere und Objekte erhielten oder weitergaben und welcher Logistiken sie sich bedienten. Wie und von wem wurden Tiere in den früheren Kolonien gefangen? Wer handelte mit ihnen? Wie wurden sie lebendig oder tot nach Deutschland transportiert, dort gehalten oder verwertet?
Besonders anschaulich lässt sich dies am Beispiel einzelner Stars erzählen, sagt Mareike Vennen:
"Damals doch sehr wichtig ist der Gorilla Bobby, der aus Kamerun, also ehemaliger deutscher Kolonie, 1928 über Marseille über einen Tierzwischenhändler – das kann man relativ genau nachverfolgen – in den Zoo kam, und 1935 dort starb, dann seziert wurde, und Teile natürlich entsorgt wurden und andere Teile ins Museum kamen und hier eine Dermoplastik hergestellt wurde, die auch bis heute im Museum steht. Die also Kriegsjahre und die ganz Zeit danach, wenn man so will, überlebt hat."
Zahlreiche Funde nicht ausgestellt
Erscheint die naturkundliche Ausstellung mit der zentralen Dinosaurierhalle schon riesig, gibt es eine noch viel größere Forschungssammlung. Hier stehen 40.000 Vögel ausgestopft in Vitrinen und liegen Knochen von Antilopen und vielen anderen Tieren – für die Öffentlichkeit unsichtbar – in hunderten oder tausenden von Schachteln. Sybille Neumeyer:
"Die Knochen in den Kellern, die Hörner auf dem Dachboden, die Skelette in den oberen Stockwerken und die Häute eine Ebene tiefer. Diese Lagerungsanforderungen spiegeln eine wissenschaftliche Welt, die durch Trennung, Isolierung, Reinigung und Ablösung geprägt ist. Wie verstehen wir Tiere? Wie können wir sie zählen, wenn sie auseinander genommen wurden. Wie viele Tiere könnten diese 30 Millionen Objekte zusammensetzen und enthalten?"
Wie eng der Transport lebender Tiere nach Deutschland mit technologischer Entwicklung verbunden ist, berichten Wissenschaftler, die der Forschungsverbund zum Workshop ins Naturkundemuseum eingeladen hat.
"Generell ist die Erforschung von Tieren im Kolonialismus ein recht neues Unterfangen und auch die Idee, sich Infrastrukturen und vor allem das Zusammenspiel von Infrastruktur und Handel anzuschauen, recht unerforschte Gebiete der deutschen Kolonialherrschaft."
Der Weg von Zebras zum Tierhändler Hagenbeck
Der Historiker Andreas Greiner hat untersucht, wie Zebras aus der Kolonie Deutsch-Ostafrika zum Tierhändler Carl Hagenbeck nach Hamburg gelangten. Um 1900 wollte Fritz Bronsart von Schellendorf, der aus einer adligen Militärsfamilie stammte, in der Nähe des Kilimandscharo im heutigen Tansania eine Zebrafarm betreiben.
Als dieser Plan scheiterte, begann er, die Tiere nach Hamburg zu verkaufen. Greiner spricht von einem logistischen Unterfangen, waren bis dahin Tiere doch auf Expeditionen einzeln mit dem Lasso oder durch aufgestellte Fallen gefangen und in Karawanen zur Küste gebracht worden.
"Und Bronsart von Schellendorf war der erste, der Fangnetze aufgestellt hat und mit einer großen Menge an einheimischen Arbeitern ganze Herden in diese Fangnetze getrieben hat. Und was mich an dieser Geschichte interessiert, ist natürlich die lokale Arbeitskraft, die dafür verwendet wurde, weil ganz oft Tierhandel als europäisches Projekt verstanden wurde. Und was ich versuche zu zeigen, ist, dass vor allem das Wissen um das Herdenverhalten dieser wilden Tiere ein lokales Wissen war, das eben Massai in dieser Steppe am Kilimandscharo hatten und das sie Bronsat gegen Bezahlung zur Verfügung stellten."
Ein Asiatischer Elefant im Tierpark Hagenbeck wird von einem kleinen Jungen, den sein Vater über das Geländer hält, mit Obst gefüttert.
Die Asiatischen Elefanten im Tierpark Hagenbeck lassen sich auch gern mal mit Obst füttern. (imago images / Strussfoto)
Das Zusammenspiel von Wissenschafts-, Logistik- und Kulturgeschichte zeigt, dass Tiere früher gezähmt, manche beim langen Marsch an die Küste angeleint, andere in Kästen oder Käfigen verfrachtet wurden. Einige rissen sich unterwegs los, viele erkrankten oder verstarben beim Transport.
Dem Tierhändler Bronsart sei damals eine technologische Entwicklung zu Hilfe gekommen, sagt Andreas Greiner. Diese bewahrte ihn zwar nicht vor dem Bankrott, prägte aber fortan das Geschäft mit Tieren:
"Bronsart war der erste, der die Eisenbahn in Britisch-Ostafrika, also in der Nachbarkolonie, dem heutigen Kenia, ausnutzte, um die Tiere an die Küste zu transportieren. Vor ihm hatte man Monate gebraucht, um wilde Tiere mühselig in Tagesmärschen zur Küste zu bringen. Und durch die Eisenbahn wurde es möglich, das plötzlich in acht Stunden statt mehreren Monaten zu vollziehen."
Frankfurter Flughafen als Drehkreuz für Tiertransporte
Ein ähnlich wichtiger Einschnitt war später die Möglichkeit, Tiere mit dem Flugzeug zu transportieren. Nils Güttler, Wissenschaftshistoriker an der ETH Zürich, erforscht die Geschichte des Frankfurter Flughafens, der nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele Zoos zerstört waren und einen Bedarf nach exotischen Tieren hatten, zum Drehkreuz etwa für Säugetiere und Vögel wurde. Als treibende Kraft erwies sich ausgerechnet der Tierschützer und langjährige Frankfurter Zoodirektor Bernhard Grzimek:
"Grzimek hat sich ganz konkret auch sehr damit auseinandergesetzt, also mit dem natürlichen Lebensraum auch von Tieren in künstlichen Umwelten – also nicht nur im Zoo, sondern auch während des Transports. Das ist so eine Schizophrenie, die für diese Art von Verhaltensbiologie ganz typisch ist in der Zeit. Es hat ja auch so eine Art neokolonialen Blick auf Afrika, dass man sagt, die dortige Wildnis soll erhalten bleiben, und wir retten die jetzt."
Mit Grzimeks Engagement wurde der Zoo quasi Teil des Flughafens. Stellte der Zoo doch seine Kenntnisse über Tierhaltung zur Verfügung, um die Transporte effizienter zu gestalten. Der Frankfurter Zoo sei durch den Flughafen groß geworden – und umgekehrt wuchs dieser durch den Zoo. Seitdem sind Tiertransporte billiger, schneller und dadurch weniger riskant.
"In den 50er Jahren war das alles noch relativ provisorisch. Da wurden die Tiere eigentlich so, wie sie reinkamen, ganz normal als Cargo behandelt und da sind Tierärzte aus der Stadt an den Flughafen gekommen, um das dann zu managen. In den frühen 60er Jahren wird dann der erste Tierraum eingerichtet im Cargo-Building. Wo dann erstmals Tierhändler arbeiten, die diese Tiertransporte leiten und dann mit dem Washingtoner Artenschutzabkommen und der Tierrechts-Bewegung wird das dann institutionalisiert. Seit den frühen 80ern gibt es eine tierärztliche Grenzkontrollstelle, in der Veterinäre überwachen, dass diese Tiertransporte auch artgerecht ablaufen."
Heute landen und starten am Frankfurter Flughafen jährlich mit 80 Millionen Haus-, Zoo- und Labortieren mehr Tiere als Menschen, erzählt Nils Güttler. Das habe neues Wissen über den Transport und die Haltung unterschiedlicher Arten hervorgebracht. Tierpfleger sind an Bord und besprühen Delphine und Wale mit Wasser. Handbücher regeln Käfiggröße, Futter und Belüftung während der Reise.
Tiere im diplomatischen Gepäck
Tiere unterliegen außer einem ökonomischen aber auch einem politischen Nutzen, betont Clemens Maier-Wolthausen. Der Autor des Buches "Hauptstadt der Tiere" über den Berliner Zoologischen Garten stellt fest, dass sie immer schon als diplomatische Geschenke gebraucht oder missbraucht wurden:
"Aber im Laufe der Entwicklung von Zoos und Naturkundemuseen hin zu Einrichtungen wirklich naturkundlicher Bildung hat das abgenommen. Die systematische Sammlung von Tieren stand da im Vordergrund, es gab sozusagen Sammlungspläne. Und dieses Geschenk von einem anderen Herrscher geriet in den Hintergrund. Das heißt aber nicht, dass es verschwand. Der Westberliner Zoo zum Beispiel hat vom Suharto-Regime in Indonesien Komodowarane bekommen, der Tierpark wurde von Ho-Chi-Minh in Vietnam mit Elefanten und Warzenschweinen versorgt, und die Amerikaner haben direkt nach dem Mauerbau Robert Kennedy nach Berlin geschickt. Und der brachte einen Weißkopf-Seeadler mit. Der dann Willy getauft wurde nach Willy Brandt, dem Berliner Oberbürgermeister."
Der Berliner (Ost-Berlin) Tierpark-Direktor Heinrich Dathe und die Rundfunkreporterin Karin Rohn (Maria Rückert) bei einem Tierpark-Gespräch im Herbst 1990.
Politische Zoologie - Der Wettbewerb der Tierparks auf beiden Seiten der Mauer
Mit dem Fall der Mauer endete auch das jahrzehntelange Aufrüsten in den Zoos in Ost und West – ein politisch aufgeladener Wettbewerb um Exoten und Attraktionen. Jan Mohnhaupt: "Der Zoo der Anderen".
Gerade in Berlin zeigt sich, dass die Zoologischen Gärten selbst zum Mittel politischer Propaganda wurden. So eröffnete die SED-Regierung in Ostberlin 1955 einen eigenen Tierpark, obwohl die Bevölkerung den alten Zoo im Westteil der Stadt zu diesem Zeitpunkt noch frei besuchen durfte. Clemens Maier-Wolthausen:
"Das SED-Regime war gewillt, einen großen Tierpark zu finanzieren. Denn so viele Ostberliner sollten nicht nach Westberlin an den Kudamm kommen, um in den Zoo zu gehen, sondern sie sollten in der Hauptstadt der DDR ihre eigene Tiersammlung vorfinden. Ich würde also das Tierpark-Projekt absolut unter der Prämisse der Konkurrenz im Kalten Krieg sehen."
Blinde Passagiere
Außer den Vorzeigeobjekten im Zoo und im Museum nimmt das Forschungsporjekt auch die blinden Passagiere unter die Lupe. Diese reisten mit derselben Transportinfrastruktur nach Europa – oder wurden eingeschleppt. Die sogenannten invasive Arten siedelten sich als Wildtiere in den Städten an und drangen in deren Institutionen.
Als frühes Beispiel nennt Mareike Vennen die Schiffsbohrmuschel. Diese fraß sich in hölzerne Schiffe und beschädigte auch die Kaianlagen. Weil sie das Interesse der Forscher weckte, fand auch sie einen prominenten Platz im Naturkundemuseum und in der Lehrsammlung der Humboldt-Universität.
"Ein weiteres, was im 20. Jahrhundert massiv aufgetreten ist und noch heute ein Problem ist, ist zum Beispiel die chinesische Wollhandkrabbe, die in der Elbe und Aller 1912 das erste Mal auftrat und wahrscheinlich auch durch Handelsschiffe im Ballastwasser mit transportiert wurde – also das Ballastwasser, was mit der Stahl-Schifffahrt aufkam und tatsächlich dadurch neue Möglichkeiten geschaffen hat, Tiere zu transportieren - die wir auch hier in den Sammlungen finden. Ich habe eine Quelle gefunden, wo sie auch tatsächlich 1930 im Zoo-Aquarium ausgestellt wurde, gelabelt als blinder Passagier."
Heute sind der Fang von Wildtieren und ihr Handel stark eingeschränkt. Zoos, Museen und Forscher gewinnen ihre "Objekte" aus Zucht und Tauschgeschäften. Dass aus Vögeln und Säugetieren, Insekten und selbst Schädlingen immer mehr auch Wissensobjekte werden, mit dieser Frage beschäftigt sich die Wissenschaftssoziologin Tahani Nadim in ihrem Projekt "Die Sprache der Datentiere". Das umfasst etwa das Wiegen und Füttern, aber auch...
"...was für Vitamine benötigen die Tiere, wieviel Milligramm jeweils. Das dehnt sich dann natürlich auch aus auf die veterinärmedizinischen Praktiken um die Tiere, wieviel Milligramm eines spezifischen Medikaments benötigen die Tiere. Hier im Museum sind die Datenpraktiken vor allem rund um die Museumsobjekte zu verstehen als Dinge wie die Etiketten, die Katalogisierung, die Inventarlisten, der ganze Schriftverkehr rund um Aquise, Handel von Tieren."
Digitale Datenbanken machen Transportströme sichtbarer
An die Stelle früherer Transportdokumente sind längst internationale Datenbanken getreten. Diese machen Herkunft und Handel transparent, geben Auskunft über Forschungsergebnisse, melden Tiere, die zur Paarung zur Verfügung stehen. Noch fallen zu viele Daten unter den Tisch, betont Tahani Nadim.
"Interessant ist auch die Frage, wie spezifische Tiere oder Tierobjekte, wie die global relevant gemacht werden können für die Forschung zum Beispiel. Und da ist es unabdingbar, dass die Datenumwelten, in denen diese Tiere repräsentiert oder mit denen diese Tiere mobil gemacht werden, dass die Datenumwelten globalen Standards entsprechen."
Eine Zukunftsvision, sind doch in Naturkundemuseen noch nicht alle Schachteln ausgepackt, erzählt Sybille Neumeyer - und übt Kritik an der kolonialen Sammelwut (*):
"Hunderte, Tausende, Millionen von Tieren der gleichen Art wurden gesammelt - oder besser gesagt, gefangen, gejagt, getötet, gehortet und für die Reise vorbereitet. Die weniger schönen Extra-Exemplare wurden in die Lager, Keller und Dachböden von Museen gelagert oder als Währung für den Austausch von Exemplaren verwendet. Und einige Kisten sind noch immer ungeöffnet."
(*) Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle wurde eine Falschinterpretation der Gesprächspartnerin korrigiert.