Dienstag, 30. April 2024

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Frangi gibt Israel Schuld an Welle der Gewalt

Abdallah Frangi, Vorsitzender der Fatah im Gazastreifen, hat Israel für die Eskalation der Gewalt im Nahen Osten verantwortlich gemacht. "Wir haben in den letzten sechs Monaten mehr als 300 Palästinenser, die durch die israelische Armee ermordet worden sind", sagte er. Wenn die Israelis tatsächlich Frieden haben wollten, dann müssten sie mit den Palästinensern Verhandlungen aufnehmen.

Moderation: Doris Simon | 28.06.2006
    Doris Simon: Drei Tage ist es her, dass der israelische Soldat Gilad Schalit von radikalen Palästinensern auch der Hamas in den Gazastreifen verschleppt wurde. Bisher gibt es kein einziges Lebenszeichen des 19-Jährigen. Anscheinend ist nun auch ein israelischer Siedler aus dem Westjordanland entführt worden. Eine radikale Gruppierung drohte heute auch mit seiner Ermordung. Ein Albtraum für die Familien und für ganz Israel.

    Große Angst haben aber auch viele Bewohner von Gaza, denn die israelische Armee ist in der Nacht mit 5000 Soldaten und Panzern einmarschiert. Die Grenzen sind abgeriegelt. Niemand kann sich in Sicherheit bringen. Die Fatah-Bewegung von Präsident Mahmud Abbas hat die Entführer aufgefordert, Gilad Schalit sofort frei zu lassen, aber die Entführer vom militärischen Flügel der Hamas haben dies abgelehnt.

    Abdallah Frangi ist der Vorsitzende der Fatah in Gaza und jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Abdallah Frangi: Guten Morgen, Frau Simon!

    Simon: Herr Frangi, was tun Sie, um das Leben von Gilad Schalit zu retten?

    Frangi: Wir haben die ganze Nacht so viele Gespräche durchgeführt, und wir haben versucht, die Hamas-Leute, die ihn festhalten, zu überzeugen, dass es besser wäre, wenn wir ihn den Israelis überlassen und dass der junge Mann nach Hause zurückgeht.

    Simon: Das heißt, Sie wissen konkret, wer ihn festhält. Wissen Sie auch, wo er festgehalten wird?

    Frangi: Nein, man weiß es nicht. Sonst hätte man es vielleicht nicht so lange halten lassen. Wir haben weiterhin Kontakt. Die ägyptische Regierung oder die ägyptische Vertretung hier arbeitet mit und hilft mit. Wir arbeiten die ganze Zeit, aber auch Präsident Abbas und alle Sicherheitsorgane, die El Fatah gehören, arbeiten die ganze Zeit auch mit. Es ist natürlich eine schwierige, komplizierte Lage, denn das ist das erste Mal, dass Hamas eine militärische Operation durchgeführt hat in der Nähe des Gazastreifens, und wir wissen, dass die israelischen Vorbereitungen für die Besetzung oder für den Angriff auf den Gazastreifen ziemlich lange feststanden, bevor diese Militäroperation durch Hamas stattgefunden hat. Gestern haben wir gesehen, dass sie den Gazastreifen in drei Teile geteilt haben. Sie haben die zwei Brücken, die wir haben, die die nördlichen und südlichen Teile verbinden, bombardiert, und sie haben die Stromversorgung jetzt unterbrochen durch die Bombardierung des Elektrizitätswerks.

    Simon: Herr Frangi, nach dem Einmarsch der israelischen Armee: trifft das, was jetzt passiert, die Gewalt, noch vor den Entführern, bevor die noch gefunden werden, wenn überhaupt, die palästinensische Bevölkerung in Gaza wie so oft. Wieso gibt es eigentlich keine Proteste der Bevölkerung gegen diese Entführung?

    Frangi: Wissen Sie, die Flugzeuge sind die gesamte Nacht am Himmel, und die Leute haben Angst. Wir haben jetzt auch erfahren, dass die keine Rücksicht darauf nehmen, und die Menschen nehmen das so einfach hin bis jetzt.

    Simon: Sie meinen, die Israelis nehmen keine Rücksicht?

    Frangi: Nein, die nehmen keine Rücksicht auf die Bevölkerung. Wir haben ... (Anmerk. d. Red.: im Hörprotokoll unverständlich) 53 Zivilisten, die durch die Angriffe der Israelis getötet worden waren. Darunter waren elf Kinder, und das ist eben eine Erfahrung, die die Menschen hier haben, und sie haben einfach Angst.

    Simon: Das heißt also, das Gefühl, diese Menschen, dass sie leiden, ist stärker als zum Beispiel das Mitgefühl mit dem 19-jährigen entführten jungen Israeli?

    Frangi: Die Leiden der Palästinenser sind viel größer als die Leiden der Israelis. Natürlich tut es mir Leid für diesen jungen Mann, für seine Familie, aber wir haben Hunderte von Familien, die die ganze Zeit leiden und die sind betroffen. Man nimmt die Leiden der Palästinenser nicht zur Kenntnis. Man nimmt die Leiden der Palästinenser zur Kenntnis erst, wenn ein israelischer Soldat betroffen ist oder wenn ein israelischer Zivilist betroffen ist. Das ist leider das, was die Menschen hier zu mehr Radikalisierung bewegt, wenn sie glauben, dass die Menschen sie nicht zur Kenntnis nehmen, nur wenn den Israelis etwas passiert. Dann motiviert das den einen oder anderen zu militärischen Aktionen gegen die Israelis. Das ist natürlich eine schreckliche Entwicklung und diese Entwicklung kann nur beendet werden, wenn die Israelis uns als Partner betrachten, mit uns verhandeln und uns auch als Menschen akzeptieren, die die Nachbarn von Israel sind, ob die Israelis wollen oder nicht.

    Simon: Das heißt aber im Umkehrschluss auch, dass in Zukunft, wenn nicht die israelische Armee da entsprechende Vorkehrungen trifft, weiter solche Entführungen stattfinden können?

    Frangi: Ja, klar. Wer hat begonnen? Wer ist der erste Verantwortliche? Ich will auch nicht so weit gehen, aber ich glaube die israelische Armee durch die Besetzung der palästinensischen Gebiete, durch die Verfolgung der Palästinenser und die Ermordung der Palästinenser. Wir haben in den letzten sechs Monaten mehr als 300 Palästinenser, die durch die israelische Armee ermordet worden sind, gezielt ermordet worden sind. Das spielt natürlich auch eine große Rolle. Wenn die Israelis tatsächlich Frieden haben wollen, dann müssen sie mit uns, mit Abbas, mit den Palästinensern, die verhandeln wollen, reden, damit wir diesen Friedensprozess fortsetzen können. Ich glaube, die einzige Möglichkeit für Frieden in dieser Region ist, dass wir uns von den Israelis trennen, oder dass die Israelis uns einfach verlassen und unsere Gebiete verlassen und uns die Möglichkeit geben, dass wir unseren Staat so in Frieden gründen können. Dann werden wir mit Sicherheit auch dafür sorgen, dass der Frieden in den palästinensischen Gebieten sich ausweitet.

    Simon: Das war Abdallah Frangi, der Vertreter der Fatah in Gaza. Herr Frangi, danke und auf Wiederhören.

    Frangi: Vielen Dank. Schönen Tag noch.