Dienstag, 30. April 2024

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Israelischer Historiker hält Tötung von Hamas-Führern für möglich

Der israelische Historiker Moshe Zimmermann hält angesichts der Spannungen im Nahen Osten die Tötung von Anführern der radikalislamischen Hamas durch die israelische Armee für möglich. Es liege in der Tradition des Staates Israel, militärische Lösungen für Konflikte zu suchen, sagte Zimmermann. So sei es auf öffentlichen Druck hin zum Einmarsch der Armee in den Gazastreifen gekommen.

Moderation: Christine Heuer | 28.06.2006
    Christine Heuer: Am frühen Morgen haben die Israelis ihre Drohung wahr gemacht und sind in den Gazastreifen eingerückt. "Wir wollen unseren Jungen nach Hause bringen", so hat Infrastrukturminister Ben-Eliezer das Ziel der Aktion zusammengefasst. Es geht demnach allein um die Befreiung des entführten israelischen Soldaten. Dass im Westjordanland auch ein israelischer Siedler verschleppt worden ist, das hat die israelische Regierung noch nicht bestätigt.

    Es sind zwei verschiedene Dinge, die wir gerade im Nahen Osten erleben. Da ist einmal der Einmarsch des israelischen Militärs in den Gazastreifen, und da ist auf der anderen Seite, bei den Palästinensern also, die Einigung zwischen der gemäßigten Fatah und der radikalislamischen Hamas auf eine Zwei-Staaten-Lösung, darauf also, Israel wenigstens indirekt als Staat anzuerkennen. Über beides möchte ich jetzt mit dem israelischen Historiker Moshe Zimmermann sprechen. Guten Tag nach Jerusalem, Herr Zimmermann!

    Moshe Zimmermann: Guten Tag!

    Heuer: Ist dieser Einmarsch von heute Nacht ein notwendiger Schritt oder ein unnötiges Risiko, dass die Situation eskaliert?

    Zimmermann: Aus der Sicht der israelischen Politik war es notwendig. Man hat den israelischen Soldaten nicht frei bekommen. Da muss das Militär einschreiten. Man sucht immer nach einer militärischen Lösung. Das ist eine Tradition in Israel. Deswegen hat man es eben getan.
    Ich ging davon aus, dass man schon vorher eine Lösung findet. Eine Intervention der Amerikaner und Druck innerhalb des palästinensischen Lagers hätten das Problem lösen können. Es wurde nicht gelöst. Der Druck in der israelischen Bevölkerung ist zu groß geworden. Dann hat das israelische Militär diese Gelegenheit ausgenutzt, um auf diese Sachen zu reagieren: zum einen auf die Entführung des Soldaten und zum anderen die Kassam-Raketen, die von Gaza abgeschossen wurden. Auf beides versucht man jetzt eine Antwort zu geben, eine militärische Antwort.

    Heuer: Nun hat Ehud Olmert - wir haben es gerade im Beitrag gehört - extreme Mittel angekündigt zur Befreiung des Soldaten, um den es da geht. Was kann man sich darunter vorstellen?

    Zimmermann: Darunter kann man sich vorstellen die Entführung der politischen Elite der Hamas, also der Hamas-Regierung, und auch die Liquidierung. Die Leute, die hier von extremen Mitteln sprechen, versuchen auch den Eindruck zu vermitteln, dass extrem eben extrem sein kann. Das hat bisher nicht gewirkt. Das heißt, als Drohung hat es nicht gewirkt und hat nicht dazu geführt, dass man den Soldaten frei gelassen hat. Jetzt muss man sehen, wie das Militär mit diesem Problem zurechtkommt, wenn sie auf diese radikale Art reagieren. Wenn der Soldat aber nicht frei gelassen wird, wird die Kritik innerhalb der israelischen Regierung gegen das Militär groß sein und die Kritik innerhalb der israelischen Öffentlichkeit gegen die Regierung umso größer sein.

    Heuer: Herr Zimmermann, ich würde an dieser Stelle, nachdem ich Ihnen so zuhöre, gerne noch mal auf die Eingangsfrage zurückkommen, die ich Ihnen gestellt habe. Verstehe ich das richtig? Höre ich das bei Ihnen richtig heraus, dass Sie den Einmarsch für ein unnötiges Risiko halten?

    Zimmermann: Insgesamt ist es ein Risiko, weil man nicht weiß, was am Ende dabei herauskommt. Kann das dazu führen, dass man den Soldaten befreit, ja oder nein? Wenn er nicht befreit wird, war es ein Risiko, und zwar sehr unnötig. Wenn am Ende die palästinensische Seite noch weiter radikalisiert wird, wenn die palästinensische Seite sich eher mit den radikalsten Palästinensern identifiziert, war das Risiko selbstverständlich auch unnötig. Eher sollte man solche militärischen Aktionen ein Risiko halten als für eine Lösung des Problems. Klar: Die Palästinenser sind auch nicht besonders gescheit, wenn sie es zulassen, dass solche Provokationen unbestraft bleiben, aber im Endeffekt ist es vor allem die Verantwortung der israelischen Regierung, hier für eine Lösung zu arbeiten, und eher für eine friedliche Lösung als für eine Lösung, die auf der anderen Seite zu einer weiteren Radikalisierung führt.

    Heuer: Der Einmarsch heute Nacht kommt ja zu einem Zeitpunkt, wenige Stunden nur nach einem Signal der Mäßigung von Seiten der Palästinenser, denn die Hamas und die Fatah haben sich ja auf eine Zwei-Staaten-Lösung geeinigt. Glauben Sie, dass diese Einigung möglich war unter dem Eindruck der militärischen Drohung Israels? Hat das eine mit dem anderen unmittelbar also zu tun?

    Zimmermann: Das hat damit zu tun, aber nicht mit der unmittelbaren Drohung der letzten zwei Tage, wo man den Aufmarsch des israelischen Militärs gesehen hat. Die Drohung besteht die ganze Zeit, und so ist wahrscheinlich auch diese Vereinbarung zu Stande gekommen. Ich nehme aber an, dass es nicht nur die israelische Position war, sondern auch der Druck aus Europa und vor allem der Druck aus Amerika, der dazu geführt hat. Die Palästinenser wissen ja Bescheid. Sie befinden sich in einer Sackgasse und müssen irgendwo einen Umweg finden. Aber trotzdem muss man sagen, bewirkt das im Moment kaum etwas auf der israelischen Seite, weil die Israelis sich einzig und allein mit der Frage befassen, wie reagieren wir auf Terrorismus, mit Anführungszeichen oder ohne Anführungszeichen?

    Heuer: Ist das ein Fehler, Herr Zimmermann, sich auf diese Frage zu konzentrieren? Ich möchte gerne an dieser Stelle erwähnen, dass der israelische Botschafter in Berlin, Shimon Stein, heute früh hier im Deutschlandfunk gesagt hat, eine indirekte Anerkennung der Palästinenser reiche dem Staat Israel nicht aus. Wie bewerten Sie dieses palästinensische Abkommen, dieses Angebot?

    Zimmermann: Die offizielle Haltung der israelischen Regierung muss selbstverständlich darauf bestehen, dass man Israel anerkennt. Ich als Kommentator kann nur sagen in dem Moment, wo schon diese Anerkennung indirekt zum Vorschein kommt, hat man einen Schritt nach vorne gemacht. Aber man muss hier zwischen beidem trennen. Es gibt einen Prozess, der zu dieser Vereinbarung innerhalb des palästinensischen Lagers geführt hat, und die Entführung und die Kassam-Raketen, die auf Sderot fliegen. Die israelische Regierung geriet unter Druck von Seiten der israelischen Öffentlichkeit, und sie reagiert darauf und riskiert deswegen auch eine Eskalierung. Das war ja Ihre Ausgangsfrage.

    Heuer: Ein Angebot gibt es von den Palästinensern. Es gibt auch von dieser Seite Gewalt. Was kann daraus politisch werden? Halten Sie eine Spaltung der Hamas bei den Palästinensern vielleicht für eine mögliche und wenn ja für eine gute Option?

    Zimmermann: Eine Spaltung gibt es schon bereits zwischen den Hamas-Führern in Syrien und in Palästina, in Palästina zwischen der so genannten militärischen Verwaltung oder Führung und der politischen Führung. Das scheint für die israelische Seite vorteilhaft zu sein. Im Endeffekt ist es eben ein Nachteil, weil Israel auf der anderen Seite einen Gesprächspartner suchen muss, und dieser Gesprächspartner muss ja repräsentativ sein für die gesamte palästinensische Bevölkerung. Wenn Israel daran interessiert ist, dass am Ende doch ein Gesprächspartner gefunden sein wird, dann ist die Spaltung im Endeffekt nicht sehr nützlich.

    Heuer: Moshe Zimmermann, Historiker an der Universität in Jerusalem. Herr Zimmermann, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Zimmermann: Ich bedanke mich.