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Franziskus in Peru
"Warum kommt der Papst eigentlich hierher?"

Im Amazonasgebiet herrscht Goldgräberstimmung, jedenfalls bei jenen, die vom illegalen Abbau profitieren. Die Kleinbauern jedoch fürchten um ihre Existenz. Auf Franziskus ruhen die Hoffnungen der Campesinos und der indigenen Bevölkerung, aber nicht jeder freut sich auf den Kapitalismuskritiker.

Von Victoria Eglau | 17.01.2018
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    Papst Franziskus wird in Peru erwartet (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    Nuestra Señora de Fátima, eine katholische Gemeinde in Perus Hauptstadt Lima, im bürgerlichen Stadtteil Miraflores. María Elena Tenorio hat gerade die Abendmesse besucht. Sie ist in den Fünfzigern und kann sich noch gut an den letzten Besuch eines Papstes in ihrem Land erinnern: Im Mai 1988, vor fast 30 Jahren, kam Johannes Paul II. - und jetzt freut sich die Peruanerin auf Franziskus:
    "Es noch einmal zu erleben, dass ein Papst Peru besucht, ist wirklich sehr bewegend für mich. Ich freue mich besonders für die Jugend. Viele junge Menschen identifizieren sich mit Franziskus und seiner Botschaft. Generell mögen wir Peruaner den Papst. Dass er unsere Sprache spricht, bringt ihn uns besonders nah."
    "Wir brauchen sozialen Frieden"
    Franziskus kommt inmitten einer schweren politischen Krise nach Peru. Der konservative Präsident Pedro Pablo Kuczynski wurde im Dezember beinahe abgesetzt, wegen seiner Verbindungen zum nachgewiesen korrupten brasilianischen Baukonzern Odebrecht. Zwei Tage, nachdem Kuczynski im Kongress der Amtsenthebung entgangen war, begnadigte er den früheren Amtsinhaber Alberto Fujimori, inhaftiert wegen eklatanter Menschenrechts-Verletzungen und Korruption. Das hat zu anhaltenden Protesten geführt: Ein Teil der Gesellschaft und vor allem Fujimoris Opfer fordern eine Rücknahme der Begnadigung und Kuczynskis Rücktritt. In diesem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima hofft Kirchgängerin María Elena Tenorio auf versöhnende Worte des Papstes:
    "Ich wünsche mir, dass er uns Peruaner dazu aufruft, uns einander anzunähern. Dass er von Frieden spricht. Wir brauchen sozialen Frieden, Einigkeit und Harmonie."
    Franziskus besucht auch die Stadt Trujillo im Norden Perus, sowie die Amazonasregion Madre de Dios, knapp neunhundert Kilometer östlich von Lima. Sie ist ein Paradies der Artenvielfalt, aber auch ein Brennpunkt ökologischer und sozialer Konflikte, die dem Papst am Herzen liegen. Das größte Problem in Madre de Dios: Der illegale Goldabbau, durch den bisher schätzungsweise 70-tausend Hektar Regenwald zerstört worden sind, der aber Zehntausenden von Peruanern Arbeit gibt. Sein Besuchsprogramm hat Franziskus schon 2015 aufgeschrieben, in seiner Umwelt- und Sozial-Enzyklika Laudato Sí. Darin bringt er seine Sorge um das "gemeinsame Haus" zum Ausdruck. Er meint damit nicht weniger als die gesamte Erde, theologisch gesprochen: die Schöpfung. Der Bischof von Madre de Dios, David Martínez, sieht den Papstbesuch in direktem Zusammenhang mit Punkt 139 der Enzyklika: Um die Armut zu bekämpfen und sich zugleich um die Natur zu kümmern, sei ein ganzheitlicher Zugang notwendig, heißt es da.
    Bischof David Martinez vor einem Poster von Papst Franziskus
    David Martínez, Bischof von Madre de Dias, freut sich auf Papst Franziskus (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    Der Bischof von Madre de Dios, David Martínez, sieht den Papstbesuch in direktem Zusammenhang mit Punkt 139 der Enzyklika: Um die Armut zu bekämpfen und sich zugleich um die Natur zu kümmern, sei ein ganzheitlicher Zugang notwendig, heißt es da.
    "Der Papst sagt: Man muss den Schrei der Erde, aber auch den Schrei der Armen hören. Das tut man in unserer Region zweifellos. Franziskus kommt, um uns Hoffnung zu machen."
    ... glaubt Bischof Martínez.
    "Es ist sensationell, dass der Papst uns besucht. Sicher wird er vor allem über die Umweltzerstörung sprechen, über die Vernichtung des Regenwalds und den Klimawandel, unter dem fast die ganze Welt leidet."
    Die Hälfte der Bevölkerung ist mit Quecksilber belastet
    Bernardo Huanca Quispe hat hohe Erwartungen an Franziskus. Er ist Vorsitzender einer Gemeinschaft von Campesinos, von Kleinbauern, die mit der lukrativen Goldgewinnung nichts zu tun haben wollen. Sie bauen seit Jahren Kakao, Ananas, Bananen und Maniok an und haben die Goldsucher erfolgreich von ihrem Land vertrieben.
    "Für uns Bauern ist die umweltschädliche Goldgräberei eine Bedrohung. Das ist keine nachhaltige Aktivität - dagegen wollen wir von unserer Landwirtschaft auf Dauer leben."
    Die Campesinos der Gemeinschaft El Progreso haben etwas gemeinsam mit den meisten der rund 60 000 Goldsucher: Sie stammen aus der kargen, armen Andenregion Perus und sind auf der Suche nach einem besseren Leben in das Amazonasgebiet gekommen. Vor 40 Jahren begann der Hochland-Peruaner Ermitaño Inca Huamani, Gold aus Flüssen und Erdreich zu schürfen. Er erwartet den Papstbesuch mit einiger Skepsis:
    "Warum kommt der Papst eigentlich hierher, nach Madre de Dios? Ich fürchte, er wird sagen, dass der Goldabbau schlecht ist, dass er der Umwelt schadet. Aber wovon sollen wir denn sonst leben? Wie sollen wir die Ausbildung unserer Kinder bezahlen?"
    Goldgräber am Madre de Dios Fluss in Peru
    Goldgräber am Madre de Dios Fluss in Peru (Imago / Mint Images)
    Der ungebremste Goldrausch sei eigentlich kein Problem der Region Madre de Dios, sondern des ganzen Landes, betont Bischof David Martínez - und spielt auf die große soziale Ungerechtigkeit in Peru an:
    "Es geht um eine Menge Leute, denen der Staat keine Chancen bietet, und die irgendwie versuchen, zu überleben."
    Doch dabei leidet die Umwelt, etwa durch den Einsatz von Quecksilber. Jahrzehntelang verwendete Ermitaño Inca Huamani das giftige Schwermetall, um die Goldpartikel aus Sand und Geröll zu lösen. Doch künftig will er mit einer Gruppe anderer Goldsucher umweltschonend arbeiten - ohne Quecksilber. Er hofft auf einen besseren Preis für "sauberes Gold". Doch die Initiative ist eine Ausnahme. Die Hälfte der Bevölkerung von Madre de Dios ist inzwischen mit Quecksilber belastet. Das Schwermetall verdunstet und gelangt über den Regen in die Flüsse, wo es von einigen Fischarten aufgenommen wird. Der Forscher César Ascorra Guanira:
    "Am stärksten betroffen sind die indigenen Gemeinschaften unserer Region. Sie haben eine besonders hohe Quecksilber-Belastung, weil sie traditionell sehr viel Fisch essen."
    "Das ist eine wichtige Minderheit"
    Ascorra Guanira berichtet von besorgniserregenden Fällen von Mikrozephalie: Schädelfehlbildungen bei Neugeborenen. Aber diese seien in Madre de Dios ein Tabu-Thema, und das läge an Macht und Einfluss der Gold-Unternehmer. Der Biologe ist Direktor eines Forschungszentrums und untersucht die Auswirkungen des Quecksilber-Einsatzes auf Mensch und Umwelt. Früher tat er das als Leiter der örtlichen Caritas. Die katholische Kirche in Madre de Dios hat sich lange vor dem Staat um die verheerenden ökologischen und gesundheitlichen Folgen des Goldrausches gesorgt. Dass die Ureinwohner diesen besonders schutzlos ausgeliefert sind, weiß auch der Papst. Bischof David Martínez:
    "Im Mittelpunkt des Papstbesuchs hier im Amazonasgebiet steht die Begegnung mit den indigenen Völkern. Diese machen etwa zehn Prozent der lokalen Bevölkerung aus, aber Franziskus sagt: Das ist nicht irgendeine Minderheit, das ist eine wichtige Minderheit."
    Eusebio Rios, der Vizepräsident des Indigenenverbands FENAMAD, der die sieben indigenen Völker der Amazonasregion Madre de Dios vertritt. Er trägt T-Shirt und eine traditionelle Kopfbedeckung
    Eusebio Rios ist Vizepräsident von FENAMAD - der Verband vertritt die Rechte der sieben indigenen Völker von Madre de Dios (Deutschlandradio / Victoria Eglau)
    Mehr als 3.000 Indigenen-Vertreter aus Peru und den angrenzenden Ländern Brasilien und Bolivien werden am Freitag zum Treffen mit dem Papst erwartet. Einer von ihnen ist Eusebio Ríos vom Volk Harakbut. Er ist Vize-Präsident des Verbands, der die sieben indigenen Ethnien von Madre de Dios repräsentiert.
    "Das Treffen mit dem Papst wird uns zu mehr Sichtbarkeit verhelfen. Der peruanische Staat tut oft so, als würden wir nicht existieren. Wir wollen Franziskus sagen, dass wir indigene Völker nach der Bekehrung zum katholischen Glauben eine soziale Katastrophe erlebt haben. Heute muss der Papst uns dabei helfen, zu erreichen, dass der Staat unsere Rechte anerkennt."
    Die indigenen Völker Amazoniens leben traditionell von Landwirtschaft, Fischfang und dem Sammeln von Früchten. Ein Teil ist in die Gesellschaft integriert, aber manche leben in freiwilliger Selbstisolierung im Wald. Das Hauptproblem der Ureinwohner sei ihr schrumpfendes Territorium, sagt Eusebio Ríos.
    "Unsere Vorfahren lebten frei, ohne Begrenzung. Doch neue Gesetze haben unser Territorium beschränkt, manchmal dürfen wir nicht einmal mehr unsere traditionellen Ressourcen nutzen. Und der Staat erteilt auf einem Teil unseres angestammten Gebietes Konzessionen für Goldgewinnung, Holzwirtschaft oder Tourismus."
    Regenwald am Amazonas in Peru, aufgenommen am 05.10.2005
    Der Regenwald am Amazonas in Peru war einst unbeschränkter Lebensraum für die indigenen Völker (Jose Alvarez/dpa)
    Eusebio Ríos beklagt auch die Quecksilber-Verseuchung und den Mangel an Gesundheitszentren für die indigene Bevölkerung. Um die ökologischen und sozialen Probleme der Völker im Amazonasgebiet wird es auch bei einer außerordentlichen Synode gehen, die der Papst für kommenden Oktober einberufen hat. Teilnehmen werden Bischöfe unter anderem aus Peru, Bolivien, Brasilien, Ecuador und Kolumbien. Als Ziel hat Franziskus die Suche nach "neuen Wegen der Evangelisierung" vorgegeben. David Martínez, Bischof von Madre de Dios:
    "Dem Papst ist bewusst, dass Amazonien eine Weltregion ist, die besonders viele Interessen weckt, vor allem wirtschaftliche: die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Ich glaube, Franziskus will den Netzwerken des Kapitalismus andere Netzwerke entgegensetzen: Netzwerke der Solidarität mit den Armen. Und die Indigenen sollen nicht Empfänger, sondern Akteure der Evangelisierung sein."
    Die Autorin recherchierte für diesen Beitrag unter anderem während einer Pressereise ins Amazonasgebiet mit dem katholischen Hilfswerk Caritas international.