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"Freihandel ist kein Naturgesetz"

Deutschland bringe Länder wie die USA, Irland und Griechenland mit seinen Exportüberschüssen in die Bredouille, warnt Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UNCTAD. Er bewertet es positiv, dass die USA erstmals eine globale Regel für die monetären Verhältnisse in der Welt fordern. Die Märkte seien fundamental unfähig, die richtigen Währungsverhältnissen zu finden.

Heiner Flassbeck im Gespräch mit Martin Zagatta | 13.11.2010
    Martin Zagatta: Heiner Flassbeck war nicht nur Staatssekretär unter dem damaligen Finanzminister Oskar Lafontaine, er ist auch der Chefvolkswirt der UNCTAD, also der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung. Guten Morgen, Herr Flassbeck!

    Heiner Flassbeck: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Flassbeck, Sie gelten ja als Verfechter einer nachfrageorientierten Politik, aber muss man Angela Merkel nicht dennoch dankbar sein, dass sie dem Drängen der USA auf eine Reduzierung deutscher Exportüberschüsse, dass sie dem jetzt widerstanden hat?

    Flassbeck: Das verstehe ich nicht ganz, warum man da dankbar sein sollte, denn es geht in der Tat um eine Ausbalancierung des Handels. Es geht ja nicht darum, dass irgendjemand den Deutschen ihre Exporte wegnehmen will, nur wer exportiert, muss auch importieren, weil sonst die anderen dauernd Schulden machen. Und das ist genau wieder in Europa jetzt das Problem, und das ist global das Problem. Das Problem der USA, das ist das Problem Irlands, Griechenlands und all dieser Länder. Und was wir jetzt gesehen haben, ist eine Vertagung - Sie sagten es - der Lösungen, und das ist problematisch, weil wir haben in Europa auch schon vertagt. Und Deutschland beteiligt sich immer besonders am Vertagen, weil es das zentrale Problem nicht ansprechen will, nämlich dass auch Deutschland mit seinen Exportüberschüssen diese Länder in die Bredouille bringt, das ist überhaupt keine Frage. Und wir sehen jetzt wieder, es lodert dauernd auf, weil Europa nicht in der Lage war zu sagen, wie wir dieses Problem, diese externen Defizite angehen werden. Die Haushaltsdefizite werden intensiv diskutiert, auch von Deutschland, weil die anderen da ja die Schuldigen sind, aber da, wo Deutschland mit eine Verpflichtung hat und eine Verpflichtung ganz sicherlich auch in Zukunft wird übernehmen müssen - man kann sich dem überhaupt nicht entziehen -, da wird nicht drüber geredet.

    Zagatta: Aber Frau Merkel argumentiert doch auch, Leistungsbilanzen sind auch Leistungszeugnisse - ist das so falsch?

    Flassbeck: Ja, das ist fundamental falsch. In Deutschland ist es kein Leistungszeugnis, sondern es ist eine Politik, bei der die Politik - und ich war ja da selbst mit beteiligt - zum Teil massiven Druck auf die Gewerkschaften ausgeübt hat, um die Löhne zu senken oder weniger steigen zu lassen. Und das hat man in einer Währungsunion getan, wo die anderen Länder sich nicht wehren können mit einer Abwertung ihrer Währung. Das war also nicht die tolle deutsche steigende Produktivität, die Deutschland so wettbewerbsfähig gemacht hat, sondern es waren zurückbleibende Löhne. Und das haben andere Länder nicht getan. Frankreich etwa hat seine Löhne ganz normal erhöht, und das ist auch in der Währungsunion sozusagen die Abmachung gewesen, dass man das tut, und folglich sind die anderen Länder in Schwierigkeiten.

    Zagatta: Aber diese Lohnzurückhaltung in Deutschland hat ja offenbar dazu geführt, dass hierzulande die Arbeitslosigkeit deutlich niedriger ist, dass sie sinkt. Soll man das jetzt gefährden?

    Flassbeck: Nein, das ist auch nicht richtig. Wir hätten ja eine ausgeglichene Bilanz zwischen Binnenmarkt und Export, so haben wir nur Exporte. Das ganze deutsche Wachstum und damit der Beschäftigungsaufwachs der letzten Jahre beruht nur auf Export. Schauen Sie wiederum Frankreich an, da haben wir halbe-halbe sozusagen, da haben wir halb Export, halb Binnennachfrage, also da ist auch der Konsum gestiegen. Dort ist die Beschäftigungsentwicklung insgesamt genauso gut oder sogar besser, auch die Investitionsentwicklung in Frankreich besser, das Wachstum in Frankreich besser, alles über die letzten zehn Jahre gesehen. Also das ist einfach nicht richtig, das ist eine sehr verkürzte einseitige deutsche Sichtweise, und es ist wirklich an der Zeit, dass man das beendet. Weil wenn man das jetzt nicht beendet, dann wird es wirklich nicht zum Krieg kommen, aber es wird zum Protektionismus kommen. Das Nächste, was kommt, ist Protektionismus, ist keine ... Freihandel ist kein Naturgesetz. Man kann nicht in Deutschland den Freihandel auf der Welt vor irgendeinem Gericht einklagen, das wird nicht funktionieren. Selbst in den Regeln der Welthandelsorganisationen steht, dass dann Länder, wenn sie in Schwierigkeiten kommen, wenn sie in makroökonomische Ungleichgewichte kommen, dass sie dann Notmaßnahmen ergreifen können. Also man muss sich jetzt hüten, hier den Freihandelsapostel bis zum Exzess zu spielen, denn man wird sehen, es wird nicht gehen.

    Zagatta: Sie blicken da jetzt mit Befürchtungen auch Richtung USA, denn das war ja eine schon seltsame Konstellation, da jetzt bei dem Weltwirtschaftsgipfel. Die USA, die sonst immer für Freihandel und Marktwirtschaft eintreten, die fordern jetzt Reglementierungen, und Deutschland steht an der Seite der Chinesen, die sich dagegen mit gewehrt haben. Ist das nicht eine merkwürdige Konstellation?

    Flassbeck: Nein, ich finde es eine sehr positive Konstellation. Zum ersten Mal haben die USA gesagt, wir brauchen eine globale Regel für die monetären Verhältnisse in dieser Welt, zum ersten Mal seit dem Ende von Bretton Woods, also dem Währungssystem, was Anfang der 70er-Jahre endete. Und das hat nichts mit Reglementierung zu tun, sondern es hat damit zu tun, dass die Märkte fundamental unfähig sind, den richtigen Wechselkurs, die richtigen Währungsverhältnissen zu finden. Wir sehen das ja, das Wort Währungskrieg wurde vom brasilianischen Finanzminister in die Runde geworfen, weil die haben einen flexiblen Wechselkurs, aber der geht dauernd in die falsche Richtung. Und da kann man nicht sagen, jetzt machen wir Reglementierung, das ist ... Wenn ein Markt dauernd das Gegenteil dessen produziert, was man von ihm erwartet, dann ist es absolut notwendig, das zu beseitigen und dafür zu sorgen, dass sich die Wettbewerbsverhältnisse der Länder angleichen und nicht dauernd auseinanderlaufen. Insofern ist der amerikanische Vorstoß extrem gut. Und er ist ja genau das, was wir in Europa gemacht haben, nämlich eine monetäre Ordnung zu schaffen, damit der Handel funktionieren kann. Und wenn jetzt Deutschland sagt, aber die USA wollen reglementieren, wir wollen das nicht, zeigen sie nur, dass sie nicht verstanden haben, warum wir in Europa überhaupt eine Währungsunion haben und jemals gemacht haben.

    Zagatta: Wirkt diese Währungsunion nicht auch ausgleichend, oder anders gefragt: Spielt denn die Stärke der deutschen Wirtschaft im Moment überhaupt eine so wichtige Rolle? Wenn man da auf die Schwäche von EU-Staaten wie Griechenland oder Irland jetzt blickt, dann schwächt doch das auch wieder den Euro.

    Flassbeck: Die Stärke? Nein. Die Stärke Deutschlands schwächt den Euro ganz unmittelbar, weil das ist ja das zentrale innere Problem der europäischen Währungsunion, dass Deutschland extrem stark ist, die anderen unheimlich schwach und im Moment keine Möglichkeit haben, sich aus ihrer Schwäche zu befreien, weil sie ja eben keine Währung mehr haben und nicht mehr abwerten können und deswegen über einen langwierigen Deflationsprozess die Löhne senken müssen, um Deutschland einzuholen. Und wenn Deutschland das verhindert, dann wird es überhaupt keine Lösung geben, dann muss diese Währungsunion auseinanderbrechen. Also zu sagen, das macht die europäische Währungsunion stark oder verhindert ihre Schwäche, das ist genau das Gegenteil des Richtigen.

    Zagatta: Für wie gefährlich halten Sie es denn jetzt, wenn nach Griechenland auch noch Irland riesige Finanzhilfen der EU benötigt, wie das im Moment jetzt im Gespräch ist?

    Flassbeck: Ja, das ist unheimlich gefährlich, und vor allem muss man aufhören, dauernd darüber zu reden. Die Iren sagen das ja inzwischen auch: Man muss aufhören, dauernd über die Staatsbankrotte zu reden, weil sie sonst eintreten, weil man darüber redet. Man muss dafür sorgen, dass diese Länder eine solide und günstige Finanzierung auch bekommen. Das ist leider in diesem Rettungsschirm nicht gelungen. Dieser Rettungsschirm ist wieder die allerletzte Notmaßnahme und dann auch zu extrem schlechten Bedingungen, also hohen Zinsen, können sich die Länder da verschulden. Jean-Claude Juncker, der Vorsitzende der Eurogruppe, hat den absolut richtigen Vorschlag gemacht, er hat gesagt, man muss eine Euroanleihe einführen, worüber sich die Länder finanzieren können. Das war schon vor zwei Jahren richtig, wurde damals schon unsinnigerweise von Deutschland abgelehnt. Das kostet auch Deutschland keinen Cent, weil man darüber die gleichen Konditionen für ganz Euroland bekommt wie für Deutschland. Und das ist der Weg, aber nicht dieser Rettungsschirm, zu dem nur in allerletzter Not gegriffen werden kann und der wie gesagt extrem teuer ist.

    Zagatta: Aber wenn Irland nun tatsächlich auf eine Neuverschuldung von mehr als 30 Prozent seiner Wirtschaftskraft kommen könnte, das lässt sich doch auch mit höheren Löhnen in Deutschland oder Konsum in Deutschland oder irgendwelchen anderen Regelungen nicht mehr abfangen, da muss es doch irgendwelche Bremsen, da muss es doch irgendwelche Sanktionen geben, oder sind Sie da anderer Meinung?

    Flassbeck: Nein, nein, diese 30 Prozent ist ja nur für ein Jahr, das ist nur eine einmalige Aktion, weil sie eine Bank gerettet haben, das wird im nächsten Jahr wieder deutlich runtergehen. Das bleibt nicht bei 30 Prozent, das wäre in der Tat völlig untragbar. Nein, nein, die 30 Prozent bleiben nicht, aber Irland wie Griechenland wie andere südeuropäische Länder, sie haben mit Ausnahme Spaniens zum Beispiel, die haben überhaupt keine hohe Staatsverschuldung, aber sind auch in der Bredouille, sie haben aber alle externe Verschuldungen, das ist das Problem. Die externe Verschuldung über die Leistungsbilanzdefizite, das ist das zentrale Problem, weil sie müssen sich dann extern verschulden, und dafür gibt es keine Lösung. Und da ist die Lösung in der Tat die deutsche Lohnpolitik, weil es gibt gar nichts anderes. Wenn es keine Währung mehr gibt, keinen Wechselkurs mehr gibt, den man abwerten kann, gibt es nur Löhne im Verhältnis zur Produktivität - also Lohnstückkosten sagen die Ökonomen -, die dafür sorgen können, dass sich die Wettbewerbsverhältnisse angleichen. Auch nicht schnell, nicht über Nacht, aber man muss wenigstens eine Strategie vorlegen für die nächsten zehn, 15 Jahre, dass man bereit ist, das zu tun. Man muss sagen, dass man bereit ist, das zu tun. Und wenn Deutschland sich verweigert, das zu sagen, dann wird das Ganze in der Tat gewaltig in die Hose gehen.

    Zagatta: Herr Flassbeck, zum Schluss vielleicht: Jetzt ist ja in dieser ganzen Finanzdiskussion, und das war auch bei dem G20-Gipfel so, da war auch diese Veranstaltung von Spekulationen über einen möglichen Rücktritt von Finanzminister Schäuble überschattet. Schadet so etwas der deutschen Position oder spielt das keine so große Rolle?

    Flassbeck: Na ja, es ist natürlich sehr ungünstig, wenn der Finanzminister in einer so entscheidenden Phase infrage gestellt wird. Ich habe das ja selbst mal miterleben dürfen, in Anführungsstrichen, mit Herrn Lafontaine damals, und das ist extrem ungünstig, und auch, wenn die Medien sich da tagelang verbreiten über nichts anderes - das ist ja ihr Lieblingsthema überhaupt, Personaldebatten. Also da muss man wirklich energisch dagegentreten. Wenn man nicht energisch dagegentritt, an der Stelle der Kanzlerin, dann bedeutet das in der Tat, dass man hier die eigene Position dramatisch schwächt.

    Zagatta: Heiner Flassbeck, der frühere Staatssekretär im Finanzministerium und derzeit Chefvolkswirt der UNCTAD, also der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Flassbeck, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Flassbeck: Ja, bitte sehr!