Migrationsdebatte
Merz' Problem mit dem "Stadtbild"

Seit Tagen wird über die „Stadtbild“-Äußerung von Bundeskanzler Friedrich Merz diskutiert. Jetzt hat Merz seine Aussagen präzisiert und betont, dass Migration wirtschaftlich notwendig sei.

    Passanten laufen durch die Fußgängerzone von München bei beginnender Abenddämmerung. Man sieht Straßenlaternen und Geschäfte, im Vordergrund ein Baum.
    "Wir haben im Stadtbild noch dieses Problem", sagte Bundeskanzler Friedrich Merz und verwob seine Aussagen mit Abschiebungen. (picture alliance / Wolfgang Maria Weber / R7172)
    In einer Pressekonferenz hatte Bundeskanzler Friedrich Merz „Probleme im Stadtbild“ mit Abschiebungen und Migrationsfragen in Zusammenhang gesetzt. Daraufhin hatte eine breit und kritisch geführte Debatte eingesetzt.
    Zunächst hatte Merz die Empörung über seine Stadtbild-Äußerungen zurückgewiesen. Nach anhaltender Kritik präzisierte er bei einem Besuch in London schließlich, was für ihn die „Probleme im Stadtbild“ sind. Gemeint seien Migranten ohne Aufenthaltsrecht und Arbeit, „die sich nicht an die in Deutschland geltenden Regeln halten“. Diese bestimmten teilweise das öffentliche Bild – etwa an Bahnhöfen, in U-Bahnen, Parkanlagen oder ganzen Stadtteilen, „die auch unserer Polizei große Probleme machen“.
    Zugleich betonte Merz, Deutschland brauche auch in Zukunft Einwanderung. „Vor allem für unsere Arbeitsmärkte.“ Menschen mit Migrationshintergrund seien ein „unverzichtbarer Bestandteil unseres Arbeitsmarktes“.

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    Merz' Aussage zu Migranten

    Die Klarstellung folgte auf massive Kritik an Äußerungen, die Merz wenige Tage zuvor bei seinem Antrittsbesuch in Potsdam gemacht hatte. Seit dem 14. Oktober kursiert in den sozialen Medien ein Video, in dem der Bundeskanzler und CDU-Parteivorsitzende sagt:
    „Bei der Migration sind wir sehr weit. Wir haben in dieser Bundesregierung die Zahlen August 24/August 25 im Vergleich um 60 Prozent nach unten gebracht. Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem. Und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.“
    Regierungssprecher Stefan Kornelius stellte später klar, Merz habe sich dabei nicht als Bundeskanzler, sondern als CDU-Chef geäußert – es handele sich also um eine parteipolitische Aussage.
    Die Empörung über seine Aussage ließ Merz zunächst kalt: „Ich habe gar nichts zurückzunehmen“, sagte er in einer Pressekonferenz Wer seine Töchter frage, bekomme vermutlich „eine ziemlich klare und deutliche Antwort“ darauf, was er gemeint habe.

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    Daraufhin protestierten Tausende Frauen vor der CDU-Parteizentrale unter dem Motto „Feministische Kundgebung: Wir sind die Töchter“, organisiert von „Zusammen gegen Rechts“. Bereits am Sonntag zuvor hatten Hunderte Menschen am Brandenburger Tor für Vielfalt und gegen Rassismus demonstriert. Mehrere Redner warfen Merz vor, sich nicht ausreichend von der AfD abzugrenzen.
    „Wir sind das Stadtbild“ steht auf einem Plakat, das ein Demonstrant vor dem Brandenburger Tor hält. Die Demonstration unter dem Motto «Brandmauer hoch! Wir sind das Stadtbild» bezieht sich auf eine Äußerung von Merz zur Migrationspolitik.
    In Berlin sind Tausende gegen die „Stadtbild“-Aussage von Bundeskanzler Friedrich Merz auf die Straße gegangen (picture alliance / dpa / Annette Riedl)

    Kritik aus Parteien und Institutionen

    Katharina Dröge, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, nannte seine „Stadtbild“-Aussage „diskriminierend“ und „unanständig“ und fragte den Bundeskanzler: „Wie sieht man denn dieses Problem, außer an der Hautfarbe der Menschen?“ Dröge forderte, Merz solle sich entschuldigen.
    Ähnlich äußerte sich die Linke. Auch vom Koalitionspartner SPD kam Kritik an Merz. Adis Ahmetović, der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, kritisierte aber auch Dietmar Woidke, da der SPD-Ministerpräsident beim Besuch von Friedrich Merz nichts zu dieser Äußerung gesagt habe.

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    Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hat die Äußerungen von Kanzler Friedrich Merz (CDU) kritisiert. „Herr Merz versucht, zu polarisieren, statt darüber zu reden, wie die Gesellschaft zu gestalten ist", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND)
    Marcel Fratzscher, Präsident des DIW, warnte vor den wirtschaftlichen Folgen der wiederholten Äußerungen von Kanzler Friedrich Merz (CDU) zur Migration. „Seine jüngsten Äußerungen verschärfen die gesellschaftliche Polarisierung und richten einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden an“, sagte Fratzscher dem Handelsblatt. Er betonte, dass Deutschlands Wohlstand und Arbeitsplätze davon abhingen, wieder attraktiver für hochqualifizierte Zuwanderer zu werden.

    Reaktionen aus der CDU und von der Polizeigewerkschaft

    In der CDU verteidigen viele jedoch die Äußerungen des Kanzlers. Union-Fraktionschef Jens Spahn etwa unterstützte gegenüber der "Bild-Zeitung" die Äußerung von Merz und konkretisierte sie: „Schauen Sie sich einen Hauptbahnhof an, in Duisburg, in Hamburg, in Frankfurt“, sagte Spahn. „Verwahrlosung, Drogendealer, junge Männer, meistens mit Migrationshintergrund, meistens Osteuropa oder arabisch-muslimischer Kulturraum. Das hat auch mit irregulärer Migration zu tun, wie es in unseren Innenstädten, auf den Marktplätzen ausschaut.“
    Auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer stellt sich im Gespräch mit dem "Spiegel" hinter den Kanzler: Seit 2014 habe sich viel verändert. Die Menschen beschäftige, ob Migranten zum Wohlstand Deutschlands beitrügen, und auch das Thema Kriminalität.
    Auch der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Heiko Teggatz, unterstützt in der so genannten Stadtbild-Debatte den Bundeskanzler. Merz liege mit seiner Aussage vollkommen richtig, sagte Teggatz im Deutschlandfunk. Deutschland habe sich in den vergangenen 15 Jahren in punkto Sicherheit nicht zum Positiven entwickelt. 
    Distanziert hat sich hingegen Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Auch andere in der CDU sehen die Äußerung des Kanzlers kritisch: So etwas helfe nur der AfD und ermöglichten ihr, die eigene Partei vor sich herzutreiben.
    Gefragt nach dem „Stadtbild“-Begriff, setzte auch der CDU-Politiker Ruprecht Polenz einen anderen Akzent als Merz, Söder und Spahn, sprach von Bausünden und gelungener Architektur statt von Migration und Abschiebungen.
    Polenz, früher CDU-Generalsekretär, betonte: „Wichtig ist, dass wir das richtige Bewusstsein vom Wir entwickeln.“ Darunter versteht er „das deutsche Volk, so wie es sich jetzt entwickelt hat. Und das ist eben bunt, vielfältig und, wenn Sie so wollen, multikulturell.“

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    Rhetorik bei Friedrich Merz und Angela Merkel

    Es ist nicht das erste Mal, dass sich Merz gegenüber Migranten oder Menschen mit Migrationshintergrund abfällig geäußert hat. Söhne von Migrantinnen und Migranten bezeichnete er bereits als „kleine Paschas“. Außerdem behauptete er fälschlicherweise, abgelehnte Asylbewerber nähmen Deutschen die Zahnarzttermine weg. Zum Zeitpunkt dieser Äußerungen war Merz allerdings noch nicht Bundeskanzler.

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    Seine Rhetorik unterscheidet sich damit auch deutlich von jener der ehemaligen CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel: Als nach der Bundestagswahl 2017 der damalige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen in einer Diskussion sagte: "Ich sehe zum Teil in den Innenstädten, in denen ich mich bewege, nur noch vereinzelt Deutsche. Das kann nicht Ziel unserer Politik sein", grenzte sich Merkel davon ab.
    Sie wisse nicht, "was Sie sehen, denn ich kann auf der Straße Menschen mit Migrationshintergrund, die deutsche Staatsbürger sind und solche, die die deutsche Staatsbürgerschaft nicht haben, nicht unterscheiden", antwortete die damalige Bundeskanzlerin.

    Wie und von wem der Begriff "Stadtbild" verwendet wird

    Merz ist nicht der erste, der den „Stadtbild“-Begriff nutzt. Der CSU-Chef Markus Söder hatte ihn im September bei einem Interview mit der Tageszeitung "Münchner Merkur" ebenfalls im Zusammenhang mit Abschiebungen verwendet. Auf die Frage, ob er dafür streiten werde, dass auch Afghanen und Syrer zurückkehren müssen, und zwar nicht nur Straftäter, hatte der bayerische Ministerpräsident geantwortet, das müsse zwingend passieren: „Das Stadtbild muss sich wieder verändern. Es braucht einfach mehr Rückführungen.“
    Es handelt sich beim „Stadtbild“ auch um einen bewährten Kampfbegriff der AfD. Im Wahlkampf in Gelsenkirchen beispielsweise warb die AfD für „eine saubere Heimat mit einem gepflegten Stadtbild“.
    Es gibt Experten, die ordnen die Rede vom „Stadtbild“ als klassisches „Dog Whistle“ ein: eine rassistische Aussage, die je nach Publikum unterschiedlich verstanden werden kann. Die Soziologin Nina Perkowski von der Universität Hamburg sagte gegenüber "tagesschau.de", es werde "ein kollektives Gefühl des Unwohlseins" konstruiert. So würden Maßnahmen wie Abschiebungen als notwendige Reaktion auf eine vermeintlich "gestörte Ordnung" legitimiert. Das erzeuge ein Klima, das rassistische Anfeindungen und Übergriffe befördere.
    jfr / dh