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Friedrich Merz zu TTIP
"Europäer sind in Gefahr, in eine Zuschauerrolle hineinzurutschen"

Die Argumente gegen das Freihandelsabkommen TTIP müsse man ernst nehmen, findet Friedrich Merz, der Vorsitzende des Vereins "Atlantik-Brücke" und frühere CDU-Politiker. Dennoch hält er das Abkommen für unverzichtbar. "Gerade Deutschland ist abhängig von offenen Märkten", sagte Merz im DLF.

Friedrich Merz im Gespräch mit Bettina Klein | 04.05.2016
    Friedrich Merz, Vorstandsvorsitzender der Atlantik-Brücke
    Friedrich Merz, Vorstandsvorsitzender der Atlantik-Brücke (picture alliance/dpa/Bernd Von Jutrczenka)
    "Wir sind auf beiden Seiten des Atlantiks gut damit gefahren, die Märkte und auch die Arbeitsmärkte zu öffnen", sagte Friedrich Merz, der Vorsitzende des Vereins "Atlantik-Brücke", im Deutschlandfunk. Gerade Deutschland sei abhängig von offenen Märkten, betonte der frühere CDU-Politiker. Das gehe nun mal nicht ohne feste Regeln. Die Frage sei nur, wer diese Regeln aufstelle: "Die Europäer sind in Gefahr, in eine Zuschauerrolle hineinzurutschen, wenn sie sich diesem Prozess entziehen."
    Merz empfahl zudem, die jetzt veröffentlichten Verhandlungsdokumente nicht überzubewerten. Es sei völlig normal, dass harte Positionen vertreten würden. Er äußerte vielmehr die Hoffnung, dass auch die Europäer ihre Interessen energisch verteidigten.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Bettina Klein: Am Telefon ist Friedrich Merz, Vorsitzender der Atlantikbrücke, Rechtsanwalt und früherer Unions-Politiker. Guten Morgen, Herr Merz.
    Friedrich Merz: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Der Albtraum vieler Amerikaner, aber ganz besonders vieler Deutscher rückt jetzt näher. Manche werden das vielleicht verfolgt haben mit einem gewissen Entsetzen. Sie auch?
    Merz: Man verfolgt diesen amerikanischen Vorwahlkampf ja ohnehin aus einer Mischung von, ja wie soll ich sagen, Faszination und Fassungslosigkeit. Ich hätte, wenn wir beide vor einem Jahr miteinander gesprochen hätten, es nicht für möglich gehalten, dass Donald Trump überhaupt der Kandidat der Republikaner wird. Jetzt scheint es so weit zu sein. Amerika ist halt immer für Überraschungen gut.
    Klein: Und da sind Sie sicherlich in guter Gesellschaft, denn kaum jemand hat das ja vorhergesehen. Wie kann es eigentlich sein in einem Jahr mit 17 Bewerbern der republikanischen Partei und einem Feld, das viele ja für das vielversprechendste seit Langem gehalten haben, dass dieser Kandidat, dem fast keiner eine Chance eingeräumt hat, tatsächlich das Rennen macht?
    Merz: In Amerika ist vielleicht im Augenblick eine politische Entwicklung zu beobachten, die in Teilen ja auch in Europa stattfindet, nämlich ein zunehmender Verdruss der Bevölkerung, der Wählerinnen und Wähler, gegen das Establishment, gegen die Regierungen, gegen die Institutionen, die die letzten Jahrzehnte das Land verantwortet und geführt haben. Donald Trump wäre ja gar nicht denkbar, wenn er nicht diesen Wahlkampf ausgerichtet hätte gegen das gesamte Washingtoner Establishment, gegen seine eigene Partei und deren Repräsentanten. Da kommen viele Strömungen, viele Momente zusammen, die zu einer solchen Kandidatur führen. Das wird man wahrscheinlich erst wirklich analysieren können, wenn die Wahlen am 8. November dann auch stattgefunden haben. Möglicherweise wird es dann doch wieder eine Rückkehr zur "Normalität" geben. Aber noch einmal: Das was in Amerika stattfindet, erleben wir ja zum Teil auch in Europa.
    Klein: Danach wollte ich gerade noch mal fragen. Sie ziehen da Parallelen zwischen einem Phänomen Donald Trump und der AfD hier in Deutschland?
    "Der Westen steht stark in der Kritik seiner Bevölkerung"
    Merz: Ich habe die AfD ja gar nicht genannt, sondern ich habe Europa genannt, und wir haben in Europa auch verschiedenste Ausschläge, nach ganz links und nach ganz rechts, und die etablierten Parteien der politischen Mitte geraten zunehmend unter Druck, so stark, dass sie teilweise gar nicht mehr in der Lage sind, Regierungen zu bilden. Sehen Sie nur einmal nach Spanien, wo jetzt seit vier Monaten alle Versuche erfolglos geblieben sind, eine Regierung zu bilden. Der Westen steht stark in der Kritik auch seiner Bevölkerung und dagegen muss man etwas tun.
    Klein: Da ist vielleicht auch die Diskussion um die Freihandelsabkommen ein ganz gutes Beispiel. Donald Trump hat heute Morgen auch noch mal gesagt, ich hole unsere Arbeitsplätze zurück, und wer Firmen auslagert, da drohen Konsequenzen. Mehr Anti-Freihandel ist ja eigentlich kaum denkbar und da sind viele Skeptiker hierzulande auch in, wenn man so will, guter oder weniger guter Gesellschaft.
    Merz: Na ja, in der Tat: Das ist eine etwas weniger gute Gesellschaft, wenn wir mal bei den Begriffen bleiben, denn wie würde Trump reagieren, wenn ihm die Europäer sagen, gut, dann holen wir unsere europäischen Arbeitsplätze aus Amerika auch zurück. Ich hoffe, dass es im Verlaufe dieses Wahlkampfes dann vielleicht doch etwas höhere Einsichten gibt in die gegenseitigen Abhängigkeiten Europas und Amerikas, und wir sind beide auf beiden Seiten des Atlantiks gut miteinander gefahren, die Märkte zu öffnen, auch die Arbeitsmärkte zu öffnen für gegenseitige Investitionen. Davon hat Amerika profitiert, davon hat Europa profitiert.
    Aber vielleicht, Frau Klein, auch der Hinweis: Anti-Handelssprüche hat es in Amerika in fast allen Wahlkämpfen gegeben und auch Hillary Clinton ist davon nicht ganz frei. Nach den Wahlen sehen die Dinge dann meistens doch etwas anders und vor allem etwas nüchterner aus.
    Klein: In der Tat. Sie ist ja auch etwas abgerückt von ihrer bisherigen Pro-Freihandelsabkommen-Haltung. Aber noch mal: Es ist ja schon interessant, wie groß diese Koalition der Gegner ist, der Gegner von Freihandelsabkommen, auch des ja noch auszuhandelnden TTIP-Abkommens. Wir sehen Donald Trump als ein Beispiel, andere Kandidaten dort auch, und hier gibt es eine Koalition dagegen, die reicht von der AfD über linke Sozialdemokraten bis hin zu den Grünen und der Linkspartei. Haben all die vollkommen Unrecht und sind realitätsfern, Ihrer Meinung nach?
    "Eine gewisse Hysterie"
    Merz: Nein. Natürlich muss man sich mit den Argumenten auseinandersetzen. Aber das muss auf eine etwas nüchternere Art passieren, als das in den letzten Wochen und Monaten auch bei uns in Deutschland passiert ist. Ich habe im Kopf noch den Kommentar, den Ihr Kollege Rolf-Dieter Krause von der ARD vorgestern Abend in den Tagesthemen gegeben hat, und er hat völlig recht. Das geht jetzt mittlerweile in eine gewisse Hysterie über. Ja dann werden halt mal ein paar Papiere veröffentlicht, rechtswidrig veröffentlicht. Ja und? Das sind Verhandlungspositionen der Amerikaner. Ich kann nur aus meiner Sicht sagen: Hoffentlich haben die Europäer genauso harte und eindeutige Verhandlungspositionen.
    Am Ende des Tages müssen Kompromisse gemacht werden. Aber wichtig ist, dass man der Bevölkerung erklärt, warum überhaupt über ein solches Abkommen verhandelt wird, warum solche Kompromisse notwendig sind, und da hilft ein Blick auf die Weltkarte und auf die Bedingungen, unter denen wir, auch wir in Deutschland, gerade wir in Deutschland, unseren Wohlstand verdienen. Wir sind abhängig von offenen Märkten. Wir brauchen offene Märkte. Wir wollen offene Märkte für unsere Produkte und für unsere Dienstleistungen haben. Und das geht nun mal nicht ohne feste Regeln. Die Frage ist nur, wer setzt die Regeln in Zukunft. Setzen wir Europäer mit den Amerikanern zusammen die Regeln, oder werden die Regeln etwa in Asien neu geschrieben. Die Amerikaner werden in jedem Falle dabei sein. Die Europäer sind in der Gefahr, in eine Zuschauerrolle hineinzurutschen, wenn sie sich diesem Prozess entziehen.
    Klein: Sie haben es angesprochen, die Verhandlungen laufen noch, und natürlich ist das Ziel von Verhandlungen, dass am Ende Kompromisse gefunden werden. Es gibt im Augenblick allerdings sehr große Skepsis, ob die Amerikaner sich in diesen Verhandlungen bewegen werden. Deswegen würde ich ganz gerne mal einen O-Ton einspielen von Bernd Lange. Er ist Vorsitzender vom Handelsausschuss im Europaparlament, gehört der SPD an und hat sich gestern im RBB geäußert.
    O-Ton Bernd Lange: "Die Amerikaner bewegen sich 0,0. Ich hatte ja gehofft, dass mit dem Besuch von Obama das Barometer etwas ansteigt und er etwas im Rucksack hat. Hat er aber nicht, nur fromme Worte. Und wie Goethe schon sagt: Der frommen Worte sind genug gewechselt, ich will Taten sehen."
    "Ich kann diesen Missmut sehr gut verstehen"
    !Klein:!! Nur fromme Worte, die Amerikaner bewegen sich überhaupt nicht. Und das führt jetzt zu einer großen Verstimmung und einem Missmut und großem Zweifel daran, dass das Abkommen überhaupt noch zustande kommt.
    Merz: Ich kann diesen Missmut sehr gut verstehen. In der Tat: Die Amerikaner verhandeln beinhart. Sie setzen natürlich auch ihre Interessen ein in diesen Verhandlungen. Und ich hoffe genauso und das will ich noch mal unterstreichen, dass auch wir Europäer in diesen Verhandlungen geschlossen unsere Interessen einsetzen. Ich will ein Beispiel sagen. Europa braucht Zugang zu den amerikanischen Beschaffungsmärkten, zu den öffentlichen und privaten Beschaffungsmärkten. Da muss Amerika seinen…
    Klein: Was meinen Sie konkret damit?
    Merz: Das sind die gesamten Märkte, die für das öffentliche Beschaffungswesen von der öffentlichen Infrastruktur, öffentliche Aufträge bis hin zum militärischen Beschaffungswesen. Denken Sie mal nur an den Kampf, den Airbus geführt hat um die Tankerflugzeuge. Da muss Europa Zugang haben zum amerikanischen Markt, und zwar gleichberechtigt mit amerikanischen Firmen. Das verträgt sich mit dem "Buy American Act" in den USA nicht. Da muss Europa klar und deutlich sagen: Wenn ihr Amerikaner in Europa euch an Ausschreibungen beteiligen wollt, und wir wollen, dass ihr euch beteiligt, dann müssen wir uns in Amerika ganz genauso gleichberechtigt mit euren Firmen auf den amerikanischen Beschaffungsmärkten an Aufträgen beteiligen dürfen. - Beinhart!
    Klein: Das ist eines von vielen Beispielen, die im Augenblick in der Diskussion sind. Sie haben gerade noch mal darauf hingewiesen, wie wichtig aus Ihrer Perspektive es ist, dass so ein Abkommen überhaupt zustande kommt, und zwar zwischen den über 500 Millionen Europäern und über 300 Millionen Amerikanern. Aber die Bundesregierung, auch die EU-Kommission haben noch mal gesagt, es gibt rote Linien. Soll man es denn dennoch in Kauf nehmen, wenn diese roten Linien überschritten sind, dass man das Abkommen platzen lässt, wonach es ja im Augenblick teilweise aussieht?
    "Historisches Zeitfenster"
    Merz: Mit roten Linien ist das so eine Sache. Die muss man da ziehen, wo man wirklich sagt, hier ist dann auch Schluss mit weiteren Verhandlungen. Obama ist das im Syrien-Konflikt nicht gut bekommen, solche roten Linien zu ziehen und sie dann trotzdem zu überschreiten. Wichtig ist, dass man in den Verhandlungen Kompromisse erzielt und dass man nicht endlos lange verhandelt. Das Jahr 2016 ist ein Zeitfenster, vielleicht sogar ein historisches Zeitfenster für die nächsten Jahre, und insofern bleibe ich zuversichtlich, dass es so kommt, wie es immer kommt, dass nämlich am Ende der Verhandlungen die Sache hektisch wird, dass die Kompromisse gemacht werden und dass man erst am Ende der Verhandlungen alle Kompromisse auf dem Tisch liegen hat und dann zu einem Ergebnis kommt.
    Klein: Ist es denn Ihrer Meinung nach legitim, da eine Verbindung herzustellen, wie sich das jetzt las, zwischen der Forderung, dass mehr Produkte gekauft werden sollen und mehr Landwirtschaftsprodukte aus Amerika auf den europäischen Markt kommen, und dann die Zölle dafür auf europäische Autos gesenkt werden?
    Merz: Frau Klein, das ist nicht nur legitim; das ist Gegenstand der Verhandlungen. Das ist der Kern dieses Abkommens, nicht nur Zölle zu senken, sondern gegenseitige Investitionen zu ermöglichen, und gegenseitige Investitionen können Sie natürlich nur durch Zugang zu den Märkten ermöglichen. Das ist nicht illegitim. Im Gegenteil: Das ist Kernbestandteil dieses Abkommens, und insofern müssen sich beide Seiten bewegen. Aber noch einmal: Auch mit harten Verhandlungspositionen in der Wahrnehmung eigener Interessen. Und diese eigenen Interessen sind nur zum Teil deckungsgleich.
    Klein: Wir haben angesprochen: es gibt eine relativ breite Koalition gegen solche Art von Abkommen im Allgemeinen und gegen dieses Abkommen im Speziellen. Dennoch muss man wohl feststellen, dass der Widerstand in der Öffentlichkeit auch in Deutschland dagegen besonders groß ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten. Was ist Ihre Erklärung dafür?
    Merz: Ja, der Widerstand ist im deutschsprachigen Raum in Europa relativ groß und zum Beispiel in Frankreich, in Großbritannien, in den meisten anderen europäischen Ländern praktisch nicht vorhanden. Dieses Phänomen kann ich mir auch noch nicht so ganz richtig erklären. Aber vielleicht sind die Deutschen besonders sensibel, was internationale Verträge mit Amerika betrifft. Vielleicht gibt es da auch eine unterschwellige Abneigung gegen Amerika und Amerika liefert ja auch das eine oder andere Argument für eine solche Abneigung. Am Ende des Tages kommt es auf die Texte an und kommt es auf den Inhalt der Verträge an und nicht so sehr auf die Spekulation, was denn in solchen Verträgen stehen könnte, und insofern wird es dann auch vielleicht eine etwas sachlichere Debatte geben.
    Klein: Vielleicht noch ganz kurz, wir gehen auf die Nachrichten im Deutschlandfunk zu. Wäre es eine gute Idee, diese Dokumente auch zwischendurch öffentlich zu machen und nicht darauf zu warten, dass Greenpeace etwas rausgibt?
    Merz: Nein, das ist keine gute Idee. Verhandlungen müssen auch hinter verschlossenen Türen geführt werden und Verhandlungspositionen dürfen nicht auf dem offenen Markt ausgetragen werden. Das tun die Amerikaner nicht und das dürfen die Europäer auch nicht tun. Jeder, der solche Dokumente veröffentlicht, schwächt die eigene Position und stärkt sie nicht.
    Klein: Friedrich Merz, der Vorsitzende der Atlantikbrücke, zum gegenwärtigen Stand der Verhandlungen beim Freihandelsabkommen TTIP und zu den Entwicklungen im US-Vorwahlkampf. Danke, Herr Merz, für das Interview heute Morgen.
    Merz: Ich bedanke mich bei Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.