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Friedrich Pollock vor 125 Jahren geboren
Vom Lederfabrikanten-Sohn zum Top-Ökonom

Friedrich Pollock war Mitbegründer des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, seine Kollegen waren unter anderem Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Pollock galt als bescheiden und zurückhaltend. Doch durch die Bündelung vieler Rollen war seine Bedeutung für das Institut jahrzehntelang enorm.

Von Rolf Wiggershaus |
    Großer Andrang zu Beginn des Sommerschlussverkaufs in den Geschäften in der Innenstadt von Nürnberg. Die Frauen stürzen sich ins Getümmel an den Ladentischen
    Friedrich Pollock forschte unter anderem zum Thema Freizeit und Konsumzwang (picture alliance / Erk Wirginings)
    Eines der berühmtesten philosophischen Werke des 20. Jahrhunderts ist die "Dialektik der Aufklärung" von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Gewidmet haben die Autoren das zuerst 1944 in kleiner Auflage in den USA erschienene Werk "Friedrich Pollock zum 50. Geburtstag". Wer war dieser Friedrich Pollock, dass ihm solch ein Jahrhundertwerk gewidmet wurde?
    Während Horkheimer und Adorno seit ihrer Rückkehr aus dem US-amerikanischen Exil in Funk und Fernsehen sehr präsent waren, war Pollocks Stimme nur 1963 einmal in einer Sendung des Deutschlandfunks über das "Institut für Sozialforschung an der Frankfurter Universität" zu vernehmen: "Getreu der Tradition der deutschen Universitäten verbindet das Institut Lehre und Forschung. Das heißt: dass eine gründliche theoretische Ausbildung verbunden wird mit der ebenso differenzierten Schulung in den fortgeschrittensten Methoden der empirischen Sozialforschung."
    Geleitet wurde das Institut von Horkheimer und Adorno, führende Vertreter der gesellschaftskritischen "Frankfurter Schule". Aber welche Rolle spielte Pollock? Eine knappe Antwort gab in seinen letzten Lebensjahren Horkheimer: "Die Forschungen bestimmen und leiten und die richtigen Leute auswählen, das war meine Sache. Aber alles, was mit Verwaltung zusammenhing, das hat Pollock gemacht. Ich hätte nichts durchführen können ohne ihn."
    Ein Leben in Erkenntnis
    Geboren wurde der Sohn eines Lederfabrikanten am 22. Mai 1894 in Freiburg. Nach dem Umzug der Familie nach Stuttgart begann dort in einer jüdischen Tanzschule Pollocks Freundschaft mit Max Horkheimer, dem ein Jahr jüngeren Sohn eines Textilfabrikanten. Nach gemeinsamen Auslandsreisen und dem Universitätsstudium in München und Frankfurt beschlossen der Ökonom Pollock und der Philosoph Horkheimer, ihr Leben der Erkenntnis statt wie ihre Väter dem Geschäft zu widmen.
    Sie wurden Freunde und Berater des einige Jahre jüngeren Felix Weil, Sohn des aus Argentinien nach Deutschland zurückgekehrten, vermögenden Getreidehändlers Hermann Weil. In der von politischen Krisen und gesellschaftlichen Umbrüchen gezeichneten Zeit nach dem Ersten Weltkrieg wollte Felix Weil ein der Universität angeschlossenes Institut stiften, in dem marxistische Forschung mit wissenschaftlichem Anspruch betrieben wurde. "Durch die Erfahrung der Niederlage, die Veränderung der politischen Struktur, die Ausbreitung des russischen Kommunismus, durch Inflation und soziale Kämpfe trat Gesellschaft als die Macht ins Bewusstsein, deren Struktur und Tendenzen zu erkennen für die Gestaltung der richtigen Zukunft entscheidend war", sagte Pollock.
    Als 1924 das Institut für Sozialforschung feierlich eröffnet wurde, fungierte Pollock als Assistent des ersten Leiters Carl Grünberg. Der bekannte sich zwar zum wissenschaftlichen Marxismus, war aber historisch orientiert und enthielt sich aktueller Gesellschafts- und Krisenanalyse. "Gegen Ende 1930 erfolgte die Berufung des jungen Philosophen Max Horkheimer zum Direktor. Das Institut begann nun seine Tätigkeit umzustellen", so Pollock. Umzustellen nämlich von Untersuchungen zur Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung zum Projekt einer gegenwartsbezogenen kritischen Sozialforschung.
    Größter publizistischer Erfolg: "Automation"
    Erste Eindrücke einer Untersuchung über die politische und kulturelle Mentalität von Arbeitern und Angestellten alarmierten Horkheimer und seine engsten Mitarbeiter. Auf die nationalsozialistische Machtübernahme reagierten sie mit einer Verlegung des Instituts zunächst in die Schweiz, dann in die USA. Dort konnte es in lockerer Anbindung an die New Yorker Columbia-Universität seine Arbeit fortsetzen.
    Nach dem Krieg kehrten Horkheimer, Pollock und Adorno nach Frankfurt zurück und setzten ihre Tätigkeit am wiedererrichteten Institut für Sozialforschung und an der Universität fort. In dieser Zeit erlebte Pollock seinen größten publizistischen Erfolg mit einer Pionierarbeit über "Automation" und deren ökonomische und soziale Folgen.
    Seinen Sinn für pointierte Formulierungen bewies er einmal in einer Rundfunksendung zum Thema "Freizeit und Konsumzwang", als er meinte: "Schließlich muss es scheinen, dass es die wichtigste Aufgabe des Konsumenten sei, die Bedürfnisse des Produktionsprozesses zu befriedigen, und nicht umgekehrt." Friedrich Pollock starb 1970 in Montagnola in der Schweiz, wo er seit den späten 1950er-Jahren Haus an Haus mit Horkheimer wohnte.