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G7-Gipfel und Dekarbonisierung
"Aus Klimasicht hat Merkel wieder alles richtig gemacht"

Dass der Begriff der "Dekarbonisierung" zentral in der Abschlusserklärung des G7-Gipfels verankert ist, sei ein großer Erfolg der Bundesregierung, sagte Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, im DLF. Insgesamt käme es beim Klimawandel auf die politische Psychologie an: "Wer nicht will, findet Gründe; wer will, findet Wege."

Hans Joachim Schellnhuber im Gespräch mit Jasper Barenberg | 09.06.2015
    Hans Joachim Schellnhuber,Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)
    Hans Joachim Schellnhuber ist Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. (Ole Spata / dpa)
    Jasper Barenberg: Dekarbonisierung - ein für viele neues Stichwort im Kampf gegen den Klimawandel -, der vollständige Verzicht auf die Nutzung von Öl, Kohle und Gas. Wenige haben damit gerechnet, dass es Angela Merkel gelingen würde, dieses Ziel in den Beschlüssen des G7-Gipfels festzuschreiben. Nimmt man das Bekenntnis zum Zwei-Grad-Ziel noch hinzu und die Zusage, den ärmsten Ländern unter die Arme zu greifen, dann lautet die Botschaft wohl unmissverständlich, wir wollen einen Erfolg der Klimaverhandlungen im Dezember in Paris unbedingt.
    G7 Klimaergebnisse (Audio) Beitrag von Frank Capellan
    Am Telefon hat Hans Joachim Schellnhuber mitgehört, der Chef vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Guten Tag!
    Hans Joachim Schellnhuber: Guten Tag.
    Barenberg: Wir haben gerade auch berichtet über den Jubel, jedenfalls von einigen Umweltschutzorganisationen. Ist der berechtigt?
    Schellnhuber: Ja, er ist schon ein wenig beängstigend, aber zumindest aus Klimasicht hat Angela Merkel wieder alles richtig gemacht.
    Barenberg: Was ist gewonnen, vor allem mit diesem Bekenntnis der Dekarbonisierung, des Verzichts also auf Öl, Gas und Kohle?
    Schellnhuber: Na ja, es ist eben so aus Sicht der Wissenschaft jetzt, und viele behaupten, sie hätten wissenschaftliche Analysen durchgeführt, und haben das gar nicht getan. Aber aus der Sicht der Wissenschaft ist es so: Wer A sagt muss B sagen. A heißt zwei Grad. Das ist ja im Dokument entsprechend erwähnt worden. B hat die Wissenschaft nun ausführlich dargetan, dass wir ein sogenanntes Kohlenstoff-Budget noch zur Verfügung haben, etwa 1.000 Milliarden Tonnen CO2 für die ganze Menschheit bis Mitte des Jahrhunderts - gewissermaßen ein Kredit, den wir mit der Natur noch haben. Ansonsten würden wir die Zwei-Grad-Leitplanke durchbrechen. Und wenn ich jetzt mit diesem begrenzten Budget auskommen muss, dann muss ich einen Plan haben, wie ich etwa das Energiesystem transformiere, und das ist dieser Begriff der Dekarbonisierung, im Englischen Decarbonisation. Das ist eine Debatte, die seit vier, fünf Jahren schwelt. Aber das Entscheidende und Wichtige ist, dass dieser Begriff jetzt zentral verankert ist in der Abschlusserklärung, und das ist ganz sicher ein großer Erfolg der Bundesregierung.
    Umschwenken von China: "für die gesamte globale Emissionsentwicklung von allergrößter Bedeutung"
    Barenberg: Und das ist auch ein Erfolg, wenn man berücksichtigt, dass in vielen Ländern die Entwicklung in eine ganz andere Richtung läuft?
    Schellnhuber: Ja nicht wirklich. Ich denke, da wird oft ein Popanz aufgebaut, auf den man dann einschlagen kann. Auch diese Unkenrufe, zwei Grad sind nicht mehr zu schaffen, das ist wissenschaftlich überhaupt nicht begründet, eher politisch motiviert. Nehmen wir den wichtigsten Faktor in der ganzen Klimageschichte: der heißt China.
    Gerade gestern, vorgestern sind neue Studien herausgekommen von der London School of Economics, dass China, das erklärt hat, seinen Scheitelpunkt der Emissionen bis 2030 zu erreichen, das wahrscheinlich schon 2025 schaffen wird. Strukturell ist das bedingt durch den Energiemix, durch den Ausbau der Erneuerbaren, vielleicht sogar früher. Wenn der Gigant China umschwenkt, dann ist das für die gesamte globale Emissionsentwicklung von allergrößter Bedeutung, und so finden Sie das in vielen anderen Ländern auch. Man greift heraus die eine oder andere Entwicklung, dass Deutschland zwischendurch nach dem Atomausstieg ein wenig mehr Braunkohle genutzt hat, was aber schon wieder zurückgeht, oder dass dieses eine andere große Land, Indien in diesem Fall, aufgrund seiner inneren wirtschaftlichen Situation immer noch auf Kohle setzt. Aber genau das wurde in Elmau auch angesprochen: Die Transformation der Energiesysteme zur Nachhaltigkeit ist möglich.
    Nur dafür müssen die reichen Länder solidarisch mit den ärmeren sein, sprich man muss insbesondere für Indien erneuerbare Technologien in Gang bringen und implementieren, die dem großen Land, das ja die größte Bevölkerung auf Erden haben wird in 10 oder 20 Jahren, den Übergang zu sauberer Elektrizität zu verschaffen. Dafür gibt es Pläne, das ist kein hohles Gerede, da gibt es ganz klare Szenarien dafür. Was fehlt ist eigentlich nur noch hier die politische Überzeugungsarbeit.
    "Der Schritt von Kohle zu Gas bedeutet in einem Schlag eine Reduktion der globalen Erwärmung"
    Barenberg: Jetzt haben Sie über China gesprochen, Indien erwähnt. Jürgen Trittin, der Grünen-Politiker, hat bei uns hier gestern im Interview auf Australien gezeigt und darauf verwiesen, dass dieses Land beispielsweise seine Flüssiggas-Kapazitäten gerade enorm ausbaut, in Konkurrenz zu Katar und Russland große Mengen an Gas verkaufen will, dass die US-Regierung das Fracking weiter vorantreibt. Mit anderen Worten: Gibt es nicht doch Anzeichen dafür, dass manche Staaten und so wichtige wie die USA zumal doch das fossile Zeitalter noch weiter verlängern wollen?
    Schellnhuber: Verlängern sicherlich nicht. Sie wollen es noch nutzen ein wenig aufgrund ihrer Ressourcen. Ich meine, auch das ist wieder viel zu schwarzgemalt, und ich versuche, jetzt keinen Zweckoptimismus zu verbreiten. Es wird noch schwer genug in Paris. Aber schauen Sie doch, was vor zwei, drei Jahren noch war, wie der Ölpreis so hoch war. Da ging Kanada daran, massiv seine Teersände auszubeuten. Das allerschmutzigste Öl, die allerschmutzigste Kohle wurde aus der Erde gekratzt. Man wollte 6.000 Meter tief in den Ozean bohren, um Öl herauszuholen. All diese Dinge stehen nicht zur Debatte im Augenblick. Und Fracking, Shell-Gas, all diese Dinge, das ist eine Blase im wahrsten Sinne des Wortes, eine Gasblase. Wenn Sie genau analysieren die Dinge, wird dieser Boom wahrscheinlich auch in den USA in 10, 15 Jahren vorbei sein.
    Erstens - und das ist wichtig in diesem Zusammenhang - ist es ein Schritt nach vorne, wenn Australien statt Kohle Gas exportieren würde. Das müssen sie aber erst mal hinkriegen. Dafür hat Katar - das weiß ich ziemlich genau - eine gigantische Infrastruktur aufgebaut. Das kostet unheimlich viel Geld und unheimlich viel Zeit und unheimlich viel Material. Ob Australien damit gut beraten ist, weiß ich nicht. Aber der Schritt von Kohle zu Gas bedeutet in einem Schlag eine Reduktion der globalen Erwärmung, des Potenzials dazu um mindestens 50 Prozent, vielleicht sogar 60, 70 Prozent. Es ist aber nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zur völligen Dekarbonisierung.
    "Fast alles ist Psychologie am Schluss"
    Barenberg: Lassen Sie uns noch einen Blick vorauswerfen. Sie haben sie auch schon angesprochen, die Klimaverhandlungen, den Gipfel von Paris Ende des Jahres. Wie viel hilft jetzt der Beschluss, der ja unverbindlich in gewisser Weise ist, nicht mehr als ein Versprechen zunächst mal, wie weit hilft uns dieser Beschluss jetzt auf dem Weg zu einem Erfolg in Paris?
    Schellnhuber: Na ja, es ist, glaube ich, wie am Aktienmarkt. Fast alles ist Psychologie am Schluss. Die Wissenschaft hat etwa im IPCC-Bericht nachgewiesen, dass aus technisch-ökonomischer Sicht und so weiter wir die Zwei-Grad-Linie halten können. Das ist unwidersprochen. Es rätseln jetzt alle möglichen selbsternannten Experten darüber, ob das Ganze politisch umgesetzt werden kann, und da sind wir wieder bei der Psychologie.
    Barenberg: Und ist da denn schon klar, Herr Schellnhuber, dass das nächste Abkommen, wenn es denn eins geben wird in Paris, auf alle Fälle schlechter wird als was wir bisher hatten, insofern, als es nicht mehr verbindlich sein wird, sondern auf freiwilligen Zusagen beruhen wird?
    Schellnhuber: Ja, aber ich finde es gar nicht so schlimm. Wer nicht will, findet Gründe; wer will, findet Wege. So ist es nun mal. Mir ist relativ egal, ob wir auf unverbindlich freiwillige Weise, oder auf nun strikte Regeln gegründet am Schluss zu einem inklusiven Abkommen kommen, und da komme ich jetzt wieder zur Psychologie zurück. Natürlich hat man in Elmau gesagt, wir brauchen verbindliche Regeln. Wie verbindlich die sind, wissen wir nicht. Das wird ausgekaspert hinter verschlossenen Türen irgendwann in Paris in diesem Fall. Da werden manche Länder einfach nicht mitmachen. Aber die politische Psychologie ist jetzt so weltweit, dass ein Ende des fossilen Zeitalters in Sicht ist, und die klugen Analysten wissen, dass dieser Prozess unumkehrbar ist, und jetzt kommt es darauf an, vor Paris einen vielstimmigen Chor anzustimmen, und das hat Elmau auch getan. Nächste Woche wird der Papst sich mit seiner Enzyklika zum Klimawandel zu Wort melden, das wird eine gewichtige Stimme sein. Und es muss einfach das Gefühl entstehen, ja, wir können das Ruder herumreißen. Wenn das beschlossen wird, wenn diese Stimmung entsteht, dann wird es gehen. Und wissen Sie, da ist es mir relativ egal, ob in Paragraf 17 in der vierten Fußnote dann noch das und das steht, was die Ängste vielleicht von Indonesien berücksichtigt. Das Kyoto-Protokoll ist auch Geschichte, aber es war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Klimastabilisierung.
    "Deutschland war so ein bisschen das globale Versuchskaninchen"
    Barenberg: Zum Schluss noch die Frage: Wie viel trägt dazu bei, zu dieser politischen Psychologie, von der Sie sprechen, dass die Erneuerbaren jetzt auch in vielen Teilen der Welt zeigen, dass sie sich einfach ökonomisch tragen?
    Schellnhuber: Eine Milchmädchenrechnung wieder. Jeder, der sich mit Fotovoltaik oder Windenergie beschäftigt hat, vor 30 Jahren schon, weiß, dass es langfristig die bessere ökonomische Option ist. Aber es war von Deutschland, von Kalifornien, von China und einigen anderen Pionierländern natürlich der Beweis, der ökonomische, der industrielle Beweis, dass es möglich ist, dass eine große Volkswirtschaft auf den nachhaltigen Pfad einschwenken kann. Insofern haben Sie völlig recht: Die Probe aufs Exempel musste gemacht werden und Deutschland war so ein bisschen das globale Versuchskaninchen. Aber dafür wird uns wahrscheinlich irgendwann eine Goldmedaille umgehängt werden.
    Barenberg: Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung heute hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schellnhuber.
    Schellnhuber: Ja, gern geschehen. Auf Wiederhören.
    Barenberg: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.