Dienstag, 19. März 2024

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Gedenken an Liu Xiaobo
"Immer andere Meinungen hören, die Gesellschaft braucht das"

Vor einem Jahr starb der Dissident und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Das Gedenken an den Schriftsteller wird von Chinas Staats- und Parteiführung durch Zensur systematisch verhindert. Nur in Hongkong erinnert dieser Tage eine engagierte Zivilgesellschaft an Liu Xiaobo.

Von Steffen Wurzel | 11.07.2018
    Der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo (Bild von 2005)
    Der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo (Bild von 2005) (afp / LIU FAMILY)
    Der kleine Buchladen im Hongkonger Stadtteil Kowloon ist rappelvoll. Rund 50 Menschen sind gekommen, um Liu Xiaobo (刘晓波) zu gedenken. 13 Autoren, Demokratie-Aktivisten und Literaten lesen kurze Texte des vor einem Jahr in chinesischer Gefangenschaft gestorben Friedensnobelpreisträgers, oder Texte, die sie mit ihm in Verbindung bringen.
    Dung Kai-Cheung (董啟章) liest eine Passage aus "Men in Dark Times" ("Menschen in finsteren Zeiten") von Hannah Ahrendt. Die deutsch-amerikanische Publizistin beschrieb in dem Essayband die Biografien bedeutender Intellektueller wie Walter Benjamin, Rosa Luxemburg und Karl Jaspers und für den Hongkonger Schriftsteller gehört Liu Xiaobo in genau diese Reihe bedeutender Kämpfer für die Menschlichkeit.
    Vom Studentenprotest bis zum Tod im Staatsgefängnis
    Zum ersten Mal angelegt mit der chinesischen Staats- und Parteiführung hatte sich Liu Xiaobo schon Ende der 80er-Jahre, als er sich an den friedlichen Studentenprotesten auf dem Pekinger Tian’anmen-Platz beteiligte.
    Zum Staatsfeind wurde er 2008, nachdem er gemeinsam mit weiteren kritischen Denkern die "Charta 08" veröffentlichte: einen offenen Aufruf für mehr Demokratie, politische Teilhabe und Menschenrechte in China. Diese eigentlich selbstverständlichen Forderungen brachten ihn ins Gefängnis, das er bis zu seinem Tod im Alter von 61 Jahren nicht mehr als freier Mensch verlassen konnte. Lian-Hee Wee (黃良喜), Linguistik-Professor an der Hong Kong Baptist University:
    "Liu Xiaobo war einer der Menschen, die für die entscheidenden Grundwerte kämpfen. Dafür hat er den ultimativen Preis gezahlt. Er ist definitiv nicht der einzige Held in diesem Kampf. Ihm zu gedenken bedeutet, auch anderen zu gedenken."
    Supermachtentwicklung und Meinungsverengung
    Das autonom regierte Hongkong ist der einzige Ort in China, an dem offen an den Friedensnobelpreisträger von 2010 erinnert werden kann. In Festlandchina sorgen Zensur und staatliche Komplettüberwachung dafür, dass Liu Xiaobo und seine Gedanken totgeschwiegen und langfristig ausgelöscht werden.
    Er sei sich ziemlich sicher, dass die meisten Menschen in China noch nie Liu Xiaobos Namen gehört hätten, sagt Linguistik-Professor Lian-Hee Wee. Das gelte sogar für seine gebildeten Freunde in China.
    "In einer Zeit, in der sich China zu einer Supermacht entwickelt, verengt sich gleichzeitig die chinesische Gesellschaft, wenn es um Meinungen und Politik angeht", sagt die Studentin Selin Lau. "Liu Xiaobo erinnert uns daran, immer auch anderen Meinungen zu hören, denn die Gesellschaft braucht das."
    Solidarität auch für die Witwe Liu Xia
    Erinnert wird an diesem Abend in Hongkong auch an Liu Xia (刘霞), die 57-jährige Witwe Liu Xiaobos. Chinas Staats- und Parteiführung hält sie seit Jahren unter Hausarrest, ohne Begründung, ohne offizielle Anklage.
    William Nee, China-Experte von Amnesty International. Für ihn ist das Gedenken der Hongkonger Zivilgesellschaft an Liu Xiaobo und seine eingesperrte Frau etwas Besonderes.
    "Nach seinem Tod haben viele Menschen in China versucht, Liu Xiaobo zu gedenken, in dem sie ans Meer gefahren sind, in das seine Asche gestreut wurde. Einige dieser Menschen wurden später eingesperrt. In Hongkong können wir noch problemlos gedenken. Dieses Recht sollten wir würdigen, solange wir es noch haben."