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Gedenkstätte
Bronzeskulptur für die Kriegsopfer

Heute vor 20 Jahren wurde die Neue Wache in Berlin als zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft eingeweiht. Für Kritik sorgte die Bronzeskulptur von Käthe Kollwitz.

Von Bernd Ulrich | 14.11.2013
    "Die Neue Wache in Berlin ist künftig der Ort der Erinnerung und des Gedenkens an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Die Bundesregierung hat für diese staatliche Gedenkstätte die Skulptur "Mutter mit totem Sohn" von Käthe Kollwitz auch deshalb ausgewählt, weil Werk und Schaffen dieser großen Künstlerin untrennbar mit einem Staatswesen verbunden sind, das sich diesen Grundlagen verpflichtet weiß."

    Die - schriftliche - Erklärung von Bundeskanzler Helmut Kohl zur Einweihung der Neuen Wache in Berlin am 14. November 1993. Es regnete in Strömen an diesem Volkstrauertag, als die Ehrengäste, darunter Bundespräsident Richard von Weizsäcker, den neuen Erinnerungsort als "zentrale Gedenkstätte" seiner Bestimmung übergaben - eine kleine, ansprachefreie Zeremonie, vor dem Gebäude begleitet von lautstarken Protesten. Es war die Rede von einer "Verhöhnung der Nazi-Opfer" und davon, dass "Deutsche Täter keine Opfer" sein können.

    Die Idee zu einer wie auch immer gestalteten "Stätte innerstaatlicher Achtungserweise" – so die offizielle Bezeichnung – entstand in der Bundesrepublik der frühen 1980er Jahre. Man wolle, so hieß es im Bericht des vom Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge einberufenen Kuratoriums, mit einem nationalen Mahnmal.

    "… der Geschichtslosigkeit unserer Zeit entgegenwirken und einen Beitrag für die Identität unseres Volkes erbringen."

    Nach der Wiedervereinigung bestimmte Helmut Kohl in einem einfachen Verwaltungsakt ohne Ausschreibung die 1937 entstandene, eigentlich nur 38 cm große, nun um mehr als ein Vierfaches aufgeblähte Bronzeskulptur von Käthe Kollwitz zum künstlerischen Zentrum einer nationalen Gedenkstätte in der Neuen Wache.

    Für das Gebäude war dies vorerst die letzte Umwidmung. Entstanden zwischen 1816 und 1818 nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel, hatte die "Haupt- und Königswache" seit 1931 als "Gedächtnisstätte der Preußischen Staatsregierung" für die Toten des Ersten Weltkriegs gedient. Nach 1933 nutzten die neuen Machthaber sie als "Ehrenmal" zur Verherrlichung von Krieg und Soldatentum. Im Jahr 1960 wieder errichtet und restauriert, wurde die Neue Wache in der DDR zum "Mahnmal für die Opfer des Faschismus und Militarismus".

    Die Hauptkritik entzündete sich indessen nicht am Ort. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Kollwitzplastik und die Inschrift auf deren Sockel: "Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft". In beiden Fällen war es vor allem der 2006 verstorbene Historiker Reinhart Koselleck, der sich als vehementer Kritiker zu Wort meldete:
    "Der Opferbegriff ist verlogen, weil er die Alternative - Opfer für etwas oder Opfer durch etwas - verschweigt. Und damit kommt natürlich die ganze Spannung hinein, dass diejenigen, die wirklich ermordet worden sind, jetzt plötzlich mit derselben Inschrift als Opfer bezeichnet werden wie die Soldaten, denen sie vielleicht als Mörder gegenüber gestanden haben."

    Vor allem aber Kosellecks Kritik an der Plastik, mit der Käthe Kollwitz die Tradition der Pietà, der trauernden Muttergottes mit ihrem vom Kreuz abgenommenen Sohn, aufgegriffen hatte, fand großen Zuspruch. Sie sei ungeeignet,

    "… weil damit ein spezifisch christliches Denkmal, jedenfalls in der Wahrnehmung der Betrachter, errichtet wird, das die Juden ausschließt. Denn den Juden kann man kaum zumuten, in diesem ermordeten Sohn den Erlöser zu sehen, wie es in der christlichen Tradition sich nun einmal eingebürgert hat. Also, weil die Frauen und die Juden und insgesamt die Zivilisten, die zu Millionen ermordet wurden, ausgeschlossen werden, kann diese Pietà nicht aufgestellt werden."

    Nicht zuletzt auf Drängen des Zentralrats der Juden brachte man am Eingang der Neuen Wache eine Metallplatte an, auf der einzelne Opfergruppen aufgezählt wurden. Und eine weitere, auf der eine kurze Geschichte der Neuen Wache studiert werden kann.

    Der Annahme durch das Publikum haben Kritik und Protest keinen Abbruch getan. Die einfache und allgemein verständliche Bildsprache der Kollwitz-Plastik spricht die Menschen bis heute an. Jahr für Jahr besuchen fast eine Million Touristen und Berliner die Gedenkstätte.

    Und auch die Erben von Käthe Kollwitz zeigten sich einverstanden mit der Gestaltung. Nicht zuletzt deshalb, weil, wie die Enkelin Julia Boncke-Kollwitz, in einem Zeitungsinterview betonte.

    "… es im Sinne von Käthe Kollwitz wäre, mit dem, was ihr im Leben das Wichtigste war, nämlich mit ihrer pazifistischen Überzeugung, an einer so sichtbaren Stelle präsent zu sein. Ihre Skulptur ist steingewordene Trauer und Verlust und Liebe und Nachsinnen über das, was geschehen ist."