"Also für mich ist es ganz klar der letzte Strohhalm, den Beate Zschäpe jetzt ergreifen will", sagte die Gerichtsreporterin Annette Ramelsberger von der "Süddeutschen Zeitung" im DLF. "Es ist nicht das Mitleid mit den Opfern, es ist nicht die Einsicht, dass man jetzt zur Wahrheit beitragen sollte. Nein, es ist wirklich eine gewisse Verzweifelung." Zschäpe will am Mittwoch eine Erklärung durch ihren Anwalt verlesen lassen.
"Die Anklage wird bislang von allen Zeugen gestützt"
Die bisherigen Verhandlungstage hätten gezeigt, dass Zschäpe "nicht die nette Hausfrau" sei: "Sie ist eine sehr selbstbewusste und sehr überzeugte Rechtsradikale." Die Anklage von 480 Seiten sei bislang von allen Zeugen gestützt worden, sagte Ramelsberger. "Sie ist als Mörderin angeklagt, nicht nur als Helferin. Das heißt lebenslang und angesichts von zehn Morden auch besondere Schwere der Schuld. Wenn sie das jetzt noch abwenden will, dann muss sie wirklich eine sehr überzeugende Erklärung bringen und Fragen beantworten." Und dort liege das Problem. Zschäpe will nur schriftliche Fragen zulassen und diese auch nur schriftlich beantworten. "Ob sich das Gericht das gefallen lässt, das wage ich zu bezweifeln."
Zeigt Zschäpe Mitleid?
Sie sei gespannt, ob ein Wort des Mitleids in der Erklärung vorkomme. "Das wäre immerhin ein Zeichen", sagte Ramelsberger. Die Glaubwürdigkeit einer möglichen Mitleidsbekundung zieht sie jedoch in Zweifel. Ramelsberger berichtete, wie sich der Vater eines der NSU-Opfer auf den Boden warf, um zu zeigen, wie er seinen Sohn vorfand. Die Mutter hätte die Angeklagte angefleht, ihr die Wahrheit zu sagen - Zschäpe habe überhaupt nicht reagiert: "Wenn jemand fähig ist, seine Gesichtszüge so zu versteinern - dann ist das entweder hohe schauspielerische Kunst oder aber er hat kein Mitleid."
Angehörige hatten im Vorfeld wenig Hoffnung auf neue Erkenntnisse durch Zschäpes Erklärung geäußert.
Das Interview in voller Länge:
Peter Kapern: Wird dies ein Wendepunkt im NSU-Prozess? Heute jedenfalls will die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ihr Schweigen brechen und aussagen. Oder genauer gesagt: Sie will aussagen lassen. Einer ihrer Anwälte wird mutmaßlich mehrere Stunden lang eine Erklärung Zschäpes vorlesen, nachdem sie bislang 248 Verhandlungstage lang jede Aussage verweigert hat.
Peter Kapern: Wird dies ein Wendepunkt im NSU-Prozess? Heute jedenfalls will die Hauptangeklagte Beate Zschäpe ihr Schweigen brechen und aussagen. Oder genauer gesagt: Sie will aussagen lassen. Einer ihrer Anwälte wird mutmaßlich mehrere Stunden lang eine Erklärung Zschäpes vorlesen, nachdem sie bislang 248 Verhandlungstage lang jede Aussage verweigert hat.
Verbunden bin ich nun mit Annette Ramelsberger, die den NSU-Prozess für die "Süddeutsche Zeitung" seit dem ersten Tag verfolgt. Guten Tag, Frau Ramelsberger.
Annette Ramelsberger: Guten Tag, Herr Kapern.
Ramelsberger: Was erwarten Sie sich von der Aussage von Beate Zschäpe heute im Gerichtssaal?
Ramelsberger: Ja. Alle sind natürlich wahnsinnig gespannt. Ich frage mich nur, ob die Spannung wirklich gerechtfertigt ist, denn wir erwarten ja alle, dass sie die Wahrheit sagt, nichts als die Wahrheit, die reine Wahrheit. Bloß: Nützt ihr das? Und ist sie wirklich bereit, in eineinhalb Stunden - so lange soll es dauern - wirklich auf 13 Jahre im Untergrund, 10 Morde, 15 Banküberfälle und 2 Sprengstoffanschläge einzugehen? Das wäre eine kühne Leistung, wenn sie das da alles hinkriegen würde. Vielleicht ist es dann doch nur so ein Husch Husch, einmal kurz drüber und sich im besten Licht darstellen. Aber das wird dem Gericht sicher nicht reichen.
"Diese Frau ist kein Hascherl"
Kapern: Warum glauben Sie, dass sie dieses Risiko einzugehen bereit wäre? Denn wie gesagt: Wenn sie nur einmal so kursorisch über ihre letzten 15 Lebensjahre blicken wollte, damit käme sie ja wohl kaum davon, oder?
Ramelsberger: Für mich ist es ganz klar der letzte Strohhalm, den Beate Zschäpe jetzt ergreifen will. Es ist nicht das Mitleid mit den Opfern. Es ist nicht die Einsicht darin, dass man jetzt bitte zur Wahrheit beitragen sollte. Nein, es ist wirklich, glaube ich, so eine gewisse Verzweiflung. Denn die Frau ist ja nicht dumm! Die hat jetzt 248 Tage erlebt. Sie hat Hunderte von Zeugen gehört, ehemalige Freunde, ehemalige Lebensgefährten, ganz viele, die auch über sie gesprochen haben, sehr private Dinge auch ausgebreitet haben und die sie nicht immer im besten Licht gezeigt haben.
Bei allen aber kam ganz deutlich heraus: Diese Frau ist kein Hascherl, diese Frau ist nicht etwa die nette Hausfrau, die ihren Jungs nur den Haushalt geführt hat, sondern das ist schon eine sehr selbstbewusste und auch sehr überzeugte Rechtsradikale. Bisher ist diese Anklage, 480 Seiten, fast von allen Zeugen gestützt worden.
Kapern: Das heißt, nach Ihrer Wahrnehmung dürfte Beate Zschäpe einer harten Verurteilung als Mitglied des NSU entgegensehen?
Ramelsberger: Sie ist ja als Mörderin angeklagt, nicht nur als Helferin, sondern wirklich als die Dritte, die Dritte im Bunde. Das heißt lebenslang und das heißt, angesichts von zehn Morden, auch besondere Schwere der Schuld. Und wenn sie das jetzt noch abwenden will, dann muss sie wirklich eine sehr überzeugende Erklärung bringen und sie muss dann auch in die Tiefe gehen.
Sie muss auch bereit sein, Fragen zu beantworten, Nachfragen, bohrende Fragen, und das ist bereits das Problem, denn sie hat gesagt, Fragen bitte nur schriftlich, auch die vom Gericht, und Antworten dann auch wieder nur schriftlich und verlesen von ihrem Anwalt. Ob sich das das Gericht gefallen lässt, das wage ich zu bezweifeln.
"Ein leicht dahingesagtes 'es tut mir leid' wäre nicht wirklich glaubwürdig"
Kapern: So betrachtet existiert ja dann der Strohhalm gar nicht, nach dem Beate Zschäpe Ihrer Meinung nach greifen will.
Ramelsberger: Ich bin gespannt, wie diese Erklärung aufgebaut ist. Ich bin gespannt, ob da auch ein Wort des Mitleids vorkommt, oder etwas wie "es tut mir leid", oder "ich habe Mitleid mit den Opfern". Das wäre ja immerhin schon mal ein Zeichen. Aber sie hätte das ja von vornherein haben können. Bei ihrer Verhaftung am 8. November vor vier Jahren, da hat man ihr beim Haftrichter in Karlsruhe angeboten, doch über die Kronzeugenregelung nachzudenken, und da hat sie sehr interessiert nachgefragt und hat gesagt, muss ich denn dann Namen nennen, muss ich Hintergründe erzählen, und man sagte ihr, ja, das sei schon nötig. Und dann hat sie nach kurzer Bedenkzeit gesagt, nein, das macht sie nicht.
Kapern: Sie erwarten - das möchte ich gern noch mal aufgreifen - mit Spannung Informationen darüber, ob Beate Zschäpe bereit ist, ihr Bedauern auszudrücken, zu sagen, dass es ihr um die Opfer, für die Opfer, für die Angehörigen leidtut. Wäre ein solches Zeichen glaubhaft nach all dem, was Sie bislang über diese Frau erfahren haben?
Ramelsberger: Ich muss sagen, ich habe sie ja jetzt wirklich seit Mai 2013, seit 248 Verhandlungstagen gesehen, beobachtet. Man gewinnt ja schon einen Eindruck von so einem Menschen. Und ich habe immer noch diese Situationen vor Augen. Wenn zum Beispiel der Vater von Halit Yozgat aus Kassel, ein junger Mann, der ermordet worden ist, und der Vater hat ihn gefunden in seinem Blut und er warf sich vor Beate Zschäpe im Gerichtssaal auf den Boden und zeigte ihr, wie er ihn gefunden hat, und sagte dann "mein Lämmchen, mein Lämmchen", und die Mutter von diesem Halit Yozgat hat sie angefleht, "Sie als Dame, haben Sie doch Verständnis; ich kann nicht mehr schlafen seitdem; sagen Sie mir die Wahrheit", und sie hat nicht reagiert, überhaupt nicht.
Das kam immer wieder und wenn jemand fähig ist, seine Gesichtszüge so zu versteinern, so unberührt zu wirken, dann ist das entweder hohe schauspielerische Kunst, oder aber er hat kein Mitleid. Und dann wäre natürlich jetzt ein leicht dahingesagtes "es tut mir leid" nicht wirklich glaubwürdig.
"In jedem Angehörigen steckt dieser Funke Hoffnung"
Kapern: Dann aber noch mal nachgefragt. Wenn das Psychogramm Beate Zschäpes so ist, wie Sie das gerade zeichnen, gibt es diesen Strohhalm ja in Wahrheit mutmaßlich gar nicht, weil sie gar nicht glaubwürdig zu einer Aufklärung, zu einer Distanzierung von den Taten beitragen kann.
Ramelsberger: Deswegen haben ihr ja ihre bisherigen Anwälte Heer, Stahl und Sturm ja immer geraten zu schweigen. Sie haben vor allem dieses eine Problem gesehen: Wenn sie nicht alles sagt und wenn sie es nicht mit der nötigen Glaubwürdigkeit sagt, dann kann ihr das zu ihrem Nachteil ausgelegt werden. Dann ist es das, was man Teilschweigen nennt, und Teilschweigen heißt ja nur, ich rede über die Dinge, die mir passen, und über die anderen, die mir nicht passen, schweige ich. Das heißt, ich will sie verdecken, und das wird einer Angeklagten immer sehr negativ ausgelegt.
Kapern: Nun wird dieser Prozess ja auch sehr genau von den Angehörigen der Opfer verfolgt. Sie haben das ja gerade schon erläutert in einer Ihrer Antworten, als Sie über die Zeugenaussage der Eltern eines Ermordeten gesprochen haben. Was denken Sie, mit welchen Gefühlen die Angehörigen der Opfer heute in den Gerichtssaal gehen werden?
Ramelsberger: Ich glaube nicht, dass sie sich jegliche Hoffnung verbieten können. Es gibt ja bereits eine, die heißt Gamze Kubasik. Das ist die Tochter eines in Dortmund ermordeten Kioskbesitzers. Die sagte: Nein, ich erwarte von ihr nicht die Wahrheit. Ja, das ist sicher sachlich richtig und man muss dazu wissen, ein Angeklagter darf lügen. Er darf zu seiner Verteidigung lügen.
Aber ich glaube, dass trotzdem in jedem Angehörigen dieser Funke Hoffnung steckt, der da heißt, vielleicht erfahre ich mehr, vielleicht erfahre ich doch noch, warum es ausgerechnet meinen Bruder, meinen Vater, meinen Ehemann getroffen hat. Diese Suche nach Erkenntnis, nach Wahrheit, das treibt sie ja alle an. Sie sind ja immer wieder im Gerichtssaal. Sie kommen immer, immer wieder, obwohl es ihnen natürlich wehtut. Und ich glaube, die Hoffnung ist da.
Kapern: Annette Ramelsberger, Berichterstatterin der "Süddeutschen Zeitung" im NSU-Prozess in München. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.