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Getroffene Slowakei (4/5)
Wie man Korruption erkennt

Unsaubere Ausschreibungen, Subventionsbetrug, dubiose Geschäfte - damit soll Schluss sein in der Slowakei. Palo Lacko zeigt in Workshops im ganzen Land, wie man Korruption auf die Schliche kommen kann. Seit dem Mord an dem Investigativ-Journalisten Jan Kuciak ist das Interesse daran gestiegen.

Von Kilian Kirchgeßner | 13.09.2018
    Der Korruptionsexperte Palo Lacko von der Bürgerinitiative "Allianz Fair Play" aus Bratislava
    Der Korruptionsexperte Palo Lacko von der Bürgerinitiative "Allianz Fair Play" aus Bratislava (Deutschlandradio/ Kilian Kirchgeßner)
    Die ersten Gäste warten schon seit einer halben Stunde, jetzt setzen sie sich an die kleinen Tische. Ein Kulturzentrum in Nitra, gut eine Stunde entfernt von Bratislava. Früher war es einmal ein Umspannwerk für die Stromversorgung, heute treffen sich hier Vereine, Musiker oder Theatergruppen. Vorn im Raum steht Palo Lacko, er schaut auf die Uhr:
    "Können wir allmählich anfangen? Ich begrüße euch zum Workshop."
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Getroffene Slowakei - Ein Land kämpft für mehr Anstand" in der Sendung "Gesichter Europas".
    Palo Lacko ist Anfang 30, ein schlanker Mann mit Kurzhaarfrisur und legerer Jeans. Auf einem Tisch steht ein Computer, ein Beamer wirft Bilder zu seinem Vortrag an die Leinwand. Die "Allianz Fair Play" hat eingeladen, eine Bürgerinitiative aus Bratislava.
    Arbeiten mit öffentlich zugänglichen Quellen
    "Wenn einer von euch die Allianz nicht kennen sollte: Wir sind eine Art Watch Dog; wir versuchen, Machtmissbrauch und Verschleuderung von öffentlichen Geldern aufzudecken. Das meiste, was wir herausfinden, ist auf öffentlich zugängliche Quellen aufgebaut, nicht etwa auf Geheimnissen aus den Behörden oder vom Finanzamt, die uns jemand zutragen würde. Das heißt in der Praxis: Auch jeder von euch kann so arbeiten."
    Es geht informell zu, die meisten der gut ein Dutzend Teilnehmer sind zwischen 30 und 40 Jahre alt, sie haben sich aus dem Nebenraum ein Bier geholt. Man kennt sich; viele engagieren sich bei Vereinen hier in Nitra. Anderthalb Stunden dauert das Seminar, das Palo Lacko gibt – es geht darin um Handelsregister, öffentliche Ausschreibungen und Vergaberichtlinien. In der Pause winkt Palo Lacko, ihm ins Freie zu folgen.
    "Im Vergleich zu anderen Ländern ist die Slowakei geradezu vorbildlich in Sachen Transparenz. Es gibt zum Beispiel die Regel, dass Verträge, in denen es um Geld des Steuerzahlers geht, veröffentlicht werden müssen – erst danach gelten sie. Das ist ein unglaublich starkes Instrument, weil die Bürger so Geschäfte kontrollieren können, bevor sie sich abgespielt haben."
    Transparenz-Gesetz erleichtert Bürgern die Kontrolle
    Selbst Rechnungen, die jede Stadtverwaltung begleicht, müssen als Kopie im Internet dokumentiert sein – ob es um die Ausstattung eines neuen Kindergartens geht, um Straßenbauarbeiten oder um neuen Druckertoner für die Beamten. Palo Lacko gerät ins Schwärmen, wenn er von dem Gesetz erzählt, das eine fortschrittliche Regierung vor einigen Jahren eingeführt hat und das seither jenen das Leben schwer macht, die unlautere Geschäfte im Sinn haben.
    Aber: Es muss eben auch tatsächlich jemand kontrollieren. Oft sind es engagierte Bürger, die sich in die Abermillionen von Dokumenten einarbeiten, die sich über die ganze Slowakei verteilt in den vergangenen Jahren angesammelt haben. Genau deshalb bietet Lacko die Seminare an:
    "Wir haben den Eindruck, dass die Zivilgesellschaft immer den Kürzeren zieht, wenn es Probleme gibt; die Gegenseite hat Quellen, Informationen, teure Rechtsanwälte. Deshalb möchten wir der Zivilgesellschaft einige Fähigkeiten an die Hand geben. Die Seminare bieten wir in größeren Städten überall in der Slowakei an."
    Nach und nach soll so ein Heer von Kontrolleuren nachwachsen, die in ihrer Region ganz genau hinschauen.
    "Ich will zeigen: Die Arbeit mit offenen Quellen kann jeder machen, es ist nichts Geheimes dabei. Man braucht nur die Erfahrung von jemandem, der schon lange damit arbeitet. Deshalb gehen wir im Seminar verschiedene Quellen durch, die es in der Slowakei gibt, wir besprechen, wo man welche Informationen suchen kann, wie sie zu bewerten sind, was man aus ihnen herauslesen kann. Und das Ganze tausendfach verteilt über die ganze Slowakei."
    Wendepunkt für die Slowakei?
    Seit mehr als einem Jahr gibt es die Seminare inzwischen; sie entstanden also weit vor dem Mord an Jan Kuciak. Nach dem Mord, sagt Palo Lacko, sei das Interesse aber deutlich gestiegen. Viele spürten, dass sich die Slowakei jetzt an einem Wendepunkt befinde.
    "Entweder die Situation kippt in die eine Richtung und wir entwickeln uns zu einer anständigen, modernen, offenen Demokratie nach westlichem Prinzip. Sie kippt in die andere Richtung und wir lassen zu, dass unsere Institutionen von Leuten durchsetzt werden, die öffentliche Macht für ihren persönlichen Gewinn missbrauchen. Der tragische Mord hat ein wenig mehr vom Eisberg enthüllt als die Spitze, die man schon immer gesehen hat: Er hat erahnen lassen, wie groß der Umfang der Probleme ist. Dadurch hat sich ein Fenster geöffnet, das die Zivilgesellschaft nutzen sollte, um die Slowakei in ein Land zu verwandeln, in dem die demokratischen Werte und Rechte geachtet werden."
    Demonstranten halten während einer Kundgebung gegen die Regierung und die Mafia unter dem Motto «Für eine anständige Slowakei» ein Plakat hoch. Zu sehen sind unter anderem die Gesichter von Ministerpräsident Fico (Mitte), Innenminister Kalinak (2.v.r) und Polizeichef Gaspar (rechts).  
    Eine Demonstration unter dem Motto "Für eine anständige Slowakei" gegen die Regierung und die Mafia nach dem Mord an dem Journalisten Kuciak in Bratislava (PA/AP/Ronald Zak)
    Kleine Schritte gegen Korruption
    Palo Lacko steht auf, er geht wieder rein in den Seminarraum. Jetzt, nach der Pause, will er mit den Teilnehmern beispielhaft konkrete Fälle recherchieren, um die neuen Fertigkeiten gleich auszuprobieren. Einer bringt das Thema einer städtischen Tochterfirma auf, von der er vermutet, dass sie getarnte Aufträge vergibt. Sie steigen in den Fall ein, vom Seminarraum aus, nur mit Hilfe einer Internetverbindung.
    Oft erweist sich ein solcher Anfangsverdacht als unbegründet, aber manchmal eben auch nicht. Natürlich sei der Kampf gegen die Korruption ein furchtbar langwieriger Prozess, sagt Palo Lacko am Schluss – aber so sei das nun einmal: Ohne die kleinen Schritte komme man nie ans Ziel.