Dienstag, 19. März 2024

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Gewalt im Stadion
"Wir sehen ein starkes Revival von Hooligans"

Den Gewaltforscher Robert Claus überrascht es nicht, dass Hooligans in größeren Gruppen zu einem Großevent wie der EM fahren. Das Aufeinandertreffen der Gruppen bei Großturnieren habe eine lange Tradition, sagte er im DLF. Es gebe eine starke Vernetzung in der europäischen Hooligan-Szene. Zurzeit könne man "eine Modernisierung und Professionalisierung von Hooliganismus" beobachten.

Robert Claus im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 13.06.2016
    Ordner in leuchtgelben Warnwesten versuchen, stehen vor einer Tribüne, die gefüllt mit Menschen ist.
    Russische Hooligans haben beim Spiel zwischen Russland und England am 1.6.2016 in Marseille (Frankreich) eine Tribüne mit englischen und anderen Fans gestürmt. (Nicolas Vallauri / dpa)
    Dirk-Oliver Heckmann: Drei Tage in Folge randalierten Hooligans in Marseille. Die Folge: zahlreiche Schwerverletzte, ein Mann schwebte in Lebensgefahr. Nach dem Spiel Russland gegen England dann weitere hässliche Szenen direkt im Stadion. Doch nicht nur in Marseille kam es zu heftiger Gewalt. In Lille, wo gestern die deutsche Mannschaft zum Einsatz kam, griffen deutsche Hooligans ukrainische Fans an. - Am Telefon ist jetzt dazu der Fankultur-Forscher Robert Claus von der Universität Leipzig. Guten Tag, Herr Claus.
    Robert Claus: Guten Tag! - Ein kleiner Unterschied: Leibnitz-Universität Hannover, nicht Universität Leipzig.
    "Ich bin sehr überrascht von der Brutalität"
    Heckmann: Gut, dass Sie das korrigieren. Da hatten wir offenbar eine falsche Angabe. - Herr Claus, in Frankreich herrschte bereits vor der Europameisterschaft Ausnahmezustand. Zehntausende schwerbewaffnete Polizisten und Soldaten sollen für Sicherheit sorgen. Dennoch gab es nur zehn Festnahmen in Marseille. Kein einziger russischer Hooligan konnte gefasst werden. Wie überrascht sind Sie von dem massiven Auftritt der Hooligans?
    Claus: Einerseits bin ich sehr überrascht von der Brutalität, die an den Tag gelegt wurde. Sie haben es ja gerade in der Anmoderation schon erwähnt, dass auf Leute eingetreten wurde, die schon halbtot am Boden lagen. Das ist eine Qualität, die gab es früher, aber sie überrascht dann doch immer wieder, wenn sie bei solchen Großevents stattfindet.
    Von der Tatsache, dass Hooligans in größeren Gruppen zu so einem Großevent fahren, bin ich allerdings nicht überrascht. Wir konnten das gerade im Social Media Bereich in den letzten Monaten beobachten, wie sich für Spiele verabredet wird, wie auch preisgegeben wurde, dass man Tickets hat. Wir wissen alle, dass das Aufeinandertreffen von Hooligan-Gruppen verschiedener Nationen im Umfeld von Großturnieren eine lange Tradition hat, gerade in einem Land wie Frankreich, was mitten in Europa liegt und keine WM ist wie in Südkorea zum Beispiel.
    Gleichzeitig muss man auch die europäische Großwetterlage mit in Betracht ziehen, wo wir ja sehen, dass in vielen Ländern der EU und EU-Anrainerstaaten nationalistische Strömungen immer stärker Oberwasser bekommen. In diesen Bewegungen, unter anderem auch bei Pegida in Deutschland, haben rechte Hooligans eine sehr starke Rolle gespielt. So ist es auch bei französischen Hooligans in Frankreich und auch bei russischen Hooligans in Russland, und das kulminiert jetzt alles in dem, was wir die letzten drei Tage gesehen haben.
    "Wir sehen eine Modernisierung und Professionalisierung von Hooliganismus"
    Heckmann: Jahrelang war es ja verhältnismäßig ruhig geblieben, bei Europameisterschaften, bei Weltmeisterschaften. Sehen Sie einen speziellen Grund, weshalb man sich jetzt die Europameisterschaft in Frankreich als Betätigungsfeld herausgesucht hat?
    Claus: Ich weiß gar nicht, ob man sich die EM in Frankreich in der Form rausgesucht hat. Ich würde eher sagen, dass wir in den letzten drei, vier Jahren ein starkes Revival von Hooligans sehen. Wir sehen quasi eine neue Hooligan-Generation, die in Deutschland auch in den letzten Jahren dadurch präsent geworden ist, dass sie in einigen Stadien Angriffe auf linke Ultraszenen verübt haben. Wir sehen, dass der ganze Bereich des professionellen Mixed-Martial-Arts, des Kampfsports, des Freefight enorm wächst. Das ist ein Markt, der enorm boomt, an dem viele Hooligans professionell trainieren, professionelle Veranstaltungen durchführen, sich professionelle Strukturen und Finanzen aufgebaut haben. Insofern sehen wir eine Modernisierung und Professionalisierung von Hooliganismus. Ich würde nicht sagen, dass sie sich Frankreich als solches ausgesucht haben, sondern Frankreich kam einfach sehr gelegen, wie gesagt liegt mitten in Europa und auch die politische Großwetterlage hat das Ganze begünstigt.
    "Grundsätzlich ist die Hooligan-Szene bestens vernetzt"
    Heckmann: Wie vernetzt ist diese internationale Hooligan-Szene eigentlich? Spricht man sich da ab, verabredet man sich?
    Claus: Grundsätzlich ist die Hooligan-Szene bestens vernetzt. Allerdings muss man differenzieren zwischen den Orten. Hooligans nutzen sowohl verschlüsselte Kommunikationskanäle, verschlüsselte Nachrichtendienste auf ihren Smartphones als auch per E-Mail, um sich zu Matches zu verabreden. Viel von dem, was Hooligans tun, nämlich sich auf Ackern, Wald und Wiesen zu Matches treffen, wird niemals bekannt und geht auch tatsächlich an der Polizei vorbei, weil es einfach klandestin organisiert wird.
    Es gibt zumindest auch im rechtsextremen Netzwerk eine starke Vernetzung aus französischen, deutschen, russischen und ungarischen, teilweise auch italienischen Neonazi-Hooligans. Es existieren Netzwerke, die sich auch gemeinsam verabreden. In Deutschland konnten wir so ein Netzwerk zuletzt beobachten im Januar, als in Leipzig-Connewitz über 200 deutsche Hooligans durch Leipzig-Connewitz randaliert sind. Das waren auch Hoolligans unterschiedlicher Vereine, die sich aber klandestin geschafft hatten zu verabreden für diesen Streifzug durch Leipzig.
    "Man hätte im Vorfeld jahrelang Dinge tun können"
    Heckmann: Und diese Bilder, die haben wir noch im Kopf, Herr Claus. - Weshalb gelingt es den Behörden eigentlich nicht, die entsprechende Personengruppe schon an der Aus- beziehungsweise Einreise nach Frankreich jetzt in diesem Fall zu hindern? Sind das Leute, die nicht bekannt sind?
    Claus: Es sind teilweise Leute, die nicht bekannt sind. Das ist in der Tat so, weil wir dort nicht von bekannten rechtsextremen Kadern reden, sondern wir reden teilweise von Leuten, die wirklich auf der Oberfläche selten auftauchen, die ihre Kämpfe in ihren Kampfsport-Gyms als auch auf dem Acker betreiben. Nur ein Bruchteil der Leute ist bekannt. Eine andere wichtige Frage in dem Feld finde ich aber auch die Frage der Prävention. Was haben Vereine, Verbände vor allem in dem Bereich als auch die französische Polizei im Vorfeld der Europameisterschaft getan, um präventiv zu wirken? Das heißt, die Kommunikation auch mit dem positiven Teil der Fan-Szene zu suchen und eben nicht nur auf Gewalt und Repression zu setzen? Jetzt gerade haben wir eine Situation, wo auf der einen Seite viele Hooligans stehen, auf der anderen Seite wird mit Tränengas-Granaten geschossen. Jetzt ist das Kind etwas in den Brunnen gefallen. Man hätte im Vorfeld jahrelang Dinge tun können und da muss sich zum Beispiel auch der russische Verband an die Nase fassen und sich fragen lassen, was er denn im Bereich der Gewaltprävention in den letzten 30 Jahren getan hat, und da können wir feststellen, das ist sehr dünn.
    Heckmann: Robert Claus war das, Fankultur-Forscher an der Universität Hannover. Danke Ihnen, Herr Claus, für das Gespräch.
    Claus: Ich bedanke mich ebenfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.