Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


Gewerkschafter lobt Kompromiss in der EU

Der Europäische Gewerkschaftsbund ist mit dem Kompromiss zur EU-Dienstleistungsrichtlinie zufrieden. Der stellvertretende EGB-Generalsekretär Reiner Hoffmann sagte, die Sorge vor Sozialdumping sei von den EU-Parlamentariern berücksichtigt worden. Er hoffe, dass mit der überarbeiteten Richtlinie Arbeitsplätze mit hohen sozialen Standards geschaffen würden.

Moderation: Stefan Heinlein | 16.02.2006
    Stefan Heinlein: Guten Morgen!

    Reiner Hoffmann: Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Herr Hoffmann, heftige Proteste, zuletzt von ihrer Seite, große Demonstrationen. Sind Sie denn nun zufrieden mit dem gefundenen Kompromiss?

    Hoffmann: Ich denke, im Europäischen Parlament, zwischen den beiden großen Fraktionen, wurden riesige Fortschritte erzielt, die wir von Seiten des Europäischen Gewerkschaftsbundes unterstützen.

    Heinlein: Hat es denn ein deutscher Klempner nun einfacher, künftig seine Dienste auch in Österreich, Italien oder Frankreich anzubieten?

    Hoffmann: Das soll ja eines der Ziele sein der Richtlinie, wenn dabei die
    Sozial-, Umweltstandards in den jeweiligen Ländern, wo die Dienstleistung erbracht wird, berücksichtigt, beziehungsweise angewandt werden.

    Heinlein: Aber die grenzenlose, die unbürokratische Freiheit, Herr Hoffmann, haben sie, haben die Gewerkschaften, mit ihrem Protest verhindert. Für den deutschen Klempner, um bei diesem Beispiel zu bleiben, ist es künftig immer noch wichtig, die französischen, die belgischen et cetera Vorschriften zu kennen, um dort arbeiten zu können.

    Hoffmann: Das ist die Perspektive aus einer Seite. Wenn wir uns anschauen, kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland, die Dienstleistungen zukünftig auf dem europäischen Binnenmarkt einkaufen müssen, so müssten diese 25 unterschiedliche Rechtssysteme kennen lernen und sich damit auseinandersetzen. Aus dem Grunde waren wir eigentlich auch immer für eine Harmonisierung gewesen. Das sozusagen für beide, für die, die Dienstleitungen erbringen, aber auch für die, die die Dienstleistung abnehmen, gleiche Standards gelten. Das würde auch dann eine Dynamik in Gang setzen, die wir auch begrüßen würden im Sinne von mehr und besseren Arbeitsplätzen.

    Heinlein: Warum wurde dieses Ziel nicht erreicht?

    Hoffmann: Weil es hier einen ganz anderen Ansatz gegeben hat. Es wurde ja ursprünglich von Bolkestein (früherer EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein ) vorgesehen, dass das so genannte Herkunftslandsprinzip gelten soll, was es beispielsweise im Bereich der Liberalisierung der Märkte für Güter so nicht gibt. Sondern hier hat man sich auf den Weg der Harmonisierung gemacht. Das haben wir als Gewerkschaften auch deutlich unterstützt, weil, wir sind natürlich auch für die Freizügigkeit. Allerdings nicht zum Preis, dass wir damit unsere eigenen Sozialstandards und unsere eigenen Umweltstandards gefährden.

    Heinlein: Sind sie stolz als Gewerkschaft, dass sie dieses Herkunftslandsprinzip mehr oder weniger gekippt haben?

    Hoffmann: Na ja gut, wir sind zufrieden mit dem gefundenen Kompromiss. Es zeigt, dass Gewerkschaften durchaus mit richtigen Argumenten positive Einwirkungen haben können auf die Beratungen im Europäischen Parlament. Und in ihren Berichten ist ja deutlich geworden, dieses gilt nicht nur in Richtung einer Partei, sondern beider großer Volksparteien, auch bei den Liberalen gibt es Abgeordnete, die unsere Sorgen geteilt haben, unsere Argumente unterstützt haben. Und wir hoffen, dass es heute bei der endgültigen Abstimmung in der ersten Lesung eine große Mehrheit für diesen erreichten Kompromiss gibt.

    Heinlein: Rechnen Sie denn mit einer ausreichenden Mehrheit?

    Hoffmann: Wir gehen davon aus, nachdem auch gestern Abend die Fraktion der Europäischen Volkspartei sich dafür ausgesprochen hat, dass dieses heute dann in der Tat auch klappen sollte.

    Heinlein: Diese entschärfte Version der Dienstleistungsrichtlinie, ist damit ihre Sorge vor Sozialdumping, das war ja ihre größte Sorge, endgültig hinfällig geworden?

    Hoffmann: Es gibt noch kleinere Details, das muss man sich technisch genau angucken. Aber insgesamt sind unsere Sorgen damit berücksichtigt worden. Das gesamte Arbeitsrecht ist ausgeklammert, Zeitarbeitsagenturen sind ausgeklammert, der öffentliche Dienst, die öffentliche Daseinsvorsorge ist ausgeklammert. Das waren alles Bereiche, wo wir große Sorgen hatten und die sind endgültig berücksichtigt worden, so dass die Gefährdungen, die wir gesehen haben, deutlich eingegrenzt sind.

    Heinlein: Sozialdemokraten, wie der Europaabgeordnete Martin Schulz, sind ja ganz stolz auf diesen gefundenen Kompromiss und feiern ihn als Schritt zur Erhaltung des europäischen Sozialmodells. Teilen Sie diese Euphorie von Martin Schulz?

    Hoffmann: Na ja, ich kann sie auf jeden Fall nachvollziehen, wenn man sich die Beratung im Parlament von vor sechs Wochen anschaut. Da waren wir noch lange nicht so weit, wie wir heute sind und da hat, denke ich, Martin Schulz, aber auch viele andere, Evelyne Gebhardt, wirklich großes Engagement gezeigt. In beiden Volksparteien gab es enge Abstimmungen und Diskussionen mit den Gewerkschaften, mit dem Europäischen Gewerkschaftsbund. Da haben sich alle Seiten deutlich bewegt und bemüht und im Sinne der Erhaltung und auch der Weiterentwicklung des europäischen Sozialmodells wird damit ein deutliches Zeichen gesetzt. Wir müssen die Sorgen und Ängste der Menschen ernst nehmen und Europa hat gerade nicht einen besonders guten Ruf. Wir müssen dazu beitragen, dass diese Ängste überwunden werden, dass wir eine Politik machen, die den Interessen der Bürgerinnen dient, nicht nur, wie Herr Lambsdorff sagt, dass wir ausschließlich wirtschaftliche Interessen verfolgen sollten, auch die müssen wir berücksichtigen, aber das Ganze muss sozusagen in einem ausgewogene Gleichgewicht geschehen. Dann werden wir es schaffen, den Bürgerinnen und Bürgern Europa näher zu bringen und auch Fortschritte zu machen, die wir wollen. Auch wir sind als Gewerkschaften für einen europäischen Binnenmarkt für Dienstleistungen.

    Heinlein: Zu den wirtschaftlichen Interessen zählt ja unter anderem, so will es die Kommission im Vorfeld, so wollte es die Kommission, war die Schaffung von Arbeitsplätzen. Barroso (EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso) hat gesagt , Zehntausende Arbeitsplätze werden geschaffen durch diese neue Dienstleistungsrichtlinie. Glauben Sie, dass diese Einschätzung nun auch mit dieser entschärften Version richtig ist?

    Hoffmann: Na ja, ich hoffe, dass damit auf jeden Fall Arbeitsplätze geschaffen werden auf der Basis von hohen Standards und einem hohem Niveau. Unsere Kritik war immer gewesen, dass die Kommission keine wirkliche Folgenabschätzung gemacht hat, was die Auswirkungen dieser Dienstleistungsrichtlinie wären. Es gab ursprünglich mal Studien, die haben prognostiziert, dass damit zwei bis drei Millionen Arbeitsplätze geschaffen wurden. Das ist deutlich relativiert worden. Die jüngste Studie von einem dänischen Wirtschaftsforschungsinstitut geht noch von 600.000 Arbeitsplätzen aus. Auch hier kann man ein Fragezeichen machen. Aber insgesamt ist es auch unser Interesse, damit neue Arbeitsplätze zu schaffen, allerdings auf der Basis von soliden Standards. Und wir hätten uns gewünscht, dass hier die Kommission von ihrem eigenen Anspruch nach einer besseren Gesetzgebung auch in dem Bereich Gebrauch gemacht hätte.

    Man hätte hier schon vor eineinhalb Jahren sich auf den Weg machen können, einen neuen Entwurf vorzulegen, so wie wir dieses gefordert haben, um auch den Prozess ein Stück weit zu beschleunigen. Wir haben wichtige Zeit verloren und ich hoffe, dass das jetzt mit dem Kompromiss im Europäischen Parlament, es auch zu einer Einigung im Rat kommt, um dann einen Beitrag zu leisten in Richtung europäischer Dienstleitungsmarkt mit mehr und besseren Arbeitsplätzen.

    Heinlein: Kurze Frage zum Schluss, Herr Hoffmann, der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert als Konsequenz aus dieser Dienstleistungsrichtlinie die Einführung von Mindestlöhnen. Teilen Sie diese Forderung?

    Hoffmann: Wir müssen über Mindestlöhne sprechen. In 18 von 25 Mitgliedstaaten der Europäischen Union gibt es Mindestlöhne und wir haben da ein riesiges Problem. Wir haben tarifvertragsfreie Zonen, hier arbeiten die Menschen zum Teil zu Hungerlöhnen. Dies können wir nicht weiter akzeptieren. Und die Einführung von Mindestlöhnen kann ein Instrument sein, dem wirksam zu begegnen.

    Heinlein: Heute morgen hier im Deutschlandfunk der stellvertretende Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann. Ich danke Ihnen für das Gespräch und auf Wiederhören nach Brüssel.

    Hoffmann: Auf Wiederhören.