Dienstag, 19. März 2024

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Gletscherstreit in Österreich
Wie viel Mensch verträgt die Natur?

Ein touristisches Megaprojekt in den Ötztaler Alpen hat Streit einfacht - weit über Tirol hinaus: Die Gemeinden Sölden im Ötztal und Sankt-Leonhard im Pitztal wollen ihre Gletscherskigebiete verbinden. Die Befürworter des Projekts sorgen sich um die Zukunft der Gemeinden, die Gegner um die Natur.

Von Andrea Beer | 08.12.2019
Blick auf einen Teil das Gletscherskigebiets Sölden
Blick auf einen Teil das Gletscherskigebiets Sölden und das umstrittene Projektgebiet rund um den Linken Fernerkogel (ard-wien.de/Jan Heier)
Benjamin Stern vom österreichischen Alpenverein steigt in die Seilbahngondel hoch zum Rettenbachjoch und unterhält sich.
"Aber geht oben der Wind…."
Der Alpenverein, sowie WWF und Naturfreunde sind strikt gegen eine geplante Verbindung zweier Gletscher-Skigebiete in Tirol. Rund um den Linken Fernerkogel, ein etwa 3.200 Meter hoher Berg in den Ötztaler Alpen.
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Höchstes Gebirge Europas, einer der größten Verkehrsknotenpunkte des Kontinents und einer der sensibelsten Lebensräume: Spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts war klar, dass etwas getan werden muss, um die Alpen zu schützen.
"Ich geh auf jeden Fall mal vor…."
Strahlend blauer Himmel, in der Sonne glitzernder Schnee. Oben tut sich ein Alpenpanorama auf und Benjamin Stern zeigt das sogenannte Projektgebiet. Die umstrittene geplante Verbindung der beiden Gletscherskigebiete Ötztal und Pitztal. Benjamin Stern hat auch Karten und Fotos dabei.
Naturschützer: Letzte alpine Freiräume bewahren
Geplant sind unter anderem 64 Hektar neue Pisten, fast alle auf Gletscher, sowie eine Mittelstation für die eine Bergspitze abgetragen werden würde, beziehungsweise gesprengt, je nach Lesart. Zudem drei Seilbahnen, ein 600 Meter langer Skitunnel ein Restaurant, eine Beschneiungsanlage samt Speicherteich.
"Also in unseren Augen ein Megaprojekt. Es würde massive Auswirkungen auf das Landschaftsbild haben, wenn auf den Gletscherflächen, die hier so wild zerklüftet sind noch Pisten erreichtet werden müssen, gebaggert werden muss, jedes Jahr gebaggert werden muss. Und auch dann auf den Flächen, die der Gletscher freigibt. Da wird ja wertvolle Urlandschaft freigelegt, wo wir alle noch nicht wissen, wie das dann ganz genau ausschaut."
Benjamin Stern vom Alpenverein zeigt die geplanten Skipisten auf dem bisher unberührten Gletscher unterhalb des Linken Fernerkogels
Benjamin Stern vom Alpenverein zeigt die geplanten Skipisten auf dem bisher unberührten Gletscher unterhalb des Linken Fernerkogels (ard-wien.de/Jan Heier)
Der Klimawandel gefährde die Gletscher ohnehin, findet Benjamin Stern. In Tirol gäbe es mehr als 90 Skigebiete, mehr als eintausend Liftanlagen und insgesamt rund 3000 Pistenkilometer, und das sei genug:
"Es muss nicht noch mehr ausgebaut werden, wir setzen uns dafür ein, dass die letzten alpinen Freiräume bewahrt werden. Das ist unser Ziel. Und in unseren Augen ist dieses Projekt ein Frontalangriff auf die letzten alpinen Freiräume. Das ist nämlich kein reiner Zusammenschluss, sondern das ist in unseren Augen ganz klar eine Neuerschließung von einem bisher naturbelassenen Bereich."
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Klimawandel, Wachstum und die Suche nach dem Ausweg
Die Sommer sind heiß, die Gletscher schmelzen schneller als gedacht, eine Jugendbewegung treibt die Politiker vor sich her. In seinem dreiteiligen essayistischen Jahresrückblick stellt Mathias Greffrath fest, dass alles ungut mit allem zusammenhängt.
Etwa fünfzig Meter weiter steigen Silvan Veit und Mika Ramsbacher aus der Gondel. In voller Montur mit Sturzhelm und Skibrille stiefeln die beiden in Richtung Piste. Im Skigebiet Sölden findet traditionell der Auftakt zum Skiweltcup statt, und die beiden jungen Männer aus dem Allgäu trainieren hier für den Riesenslalom.
"Der Umlauf ist sehr gut. Man ist halt sehr schnell wieder oben am Start, und die Piste ist auch sehr gut. Sölden hat richtig viel mehr Schnee wie letztes Jahr zu der Zeit. Und die Pisten sind auch immer top präpariert von den Pistenwalzen."
Die beiden sind leidenschaftliche Skifahrer und auch sie haben von dem Streit gehört, um die geplante Zusammenlegung der beiden Gletscherskigebiete.
"Ja haben wir gehört, dass da so eine Verbindungsbahn geben soll, aber dass das irgendwie nicht möglich ist wegen den Naturschützern. Wir finden das schade, weil für das Pitztal, ich denke dem Pitztal wird es sehr helfen. Sölden braucht es glaube ich nicht, weil das ist so ein großes Skigebiet, aber gerade für das Pitztal wäre es sehr gut. Und dann wäre da eben noch ein größerer Umlauf. Und für die ganzen Urlauber, die hierherkommen, dass die eben auch länger hierbleiben können und auch verschiedene Pisten fahren können. Das ganze Skigebiet ausnutzen. Ja."
Gletscherskigebiet Sölden
Im Gletscherskigebiet von Sölden findet traditionell auch der Saisonauftakt des alpinen Skiwinters statt (ard-wien.de/Jan Heier )
Was die Debatte um den Klimawandel und schmelzende Gletscher angeht, sind die beiden jungen Skifahrer zwiegespalten:
"Skifahren macht halt Sauspaß. Also es ist nicht egal. Ich würde sagen, es passt, so wie es ist. Aber ich hätte jetzt auch nichts dagegen, wenn da jetzt noch eine Bahn dazukommt. Aber wenn ich jetzt einfach so ein Urlauber wäre und das nicht jeden Tag machen würde, dann wär auf jeden Fall das Klima vorne. Also uns ist das Klima schon wichtig, wir achten auch schon drauf. Aber es ist halt immer schwer zu sagen mit dem Klima. Macht zu viel Spaß."
Bürgermeister: Für den Tourismus attraktiv bleiben
Die hochalpine Landschaft um die es beim Streit um die beiden Gletscherskigebiete geht, gehört fast ganz der Gemeinde Sankt Leonhard im dünn besiedelten Pitztal, in dem rund 8.000 Menschen leben. Entlang dem Fluss Pitze verlaufen zahlreiche Wanderwege, doch im Winter fahren Touristen am liebsten hinauf ins Gletscherskigebiet. Der geplante Verbau des Gletschers wäre ein Eingriff in die Natur, das sagt auch der Bürgermeister von Sankt Leonhard Elmar Haid ganz offen:
"Das eine jede Investition in irgendeiner Art und Weise natürlich auch die Umwelt beeinflusst, ich glaube, das ist uns schon bewusst. Aber trotzdem: In Relation gesehen zu dem, was wir haben und was wir hergeben, sind wir einfach der Meinung, dass das schon irgendwo gerechtfertigt ist. Und was da jetzt für uns ganz wichtig ist, wenn wir schon über dieses Projekt reden: Wir haben ja momentan eine Zubringerbahn, eine Stollenbahn, die mittlerweile 37 Jahre alt ist. Die befördert 900 Personen in der Stunde, und das ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen einfach andere Möglichkeiten, um die Leute von oben nach unten zu bringen."
Elmar Haid, Bürgermeister der Gemeinde St. Leonhard im Pitztal (Tirol, Österreich)
Elmar Haid, Bürgermeister der Gemeinde St. Leonhard, fühlt sich zu unrecht als Umweltzerstörer angegriffen (ard-wien.de/Jan Heier)
Um die 550.000 Übernachtungen gibt es jährlich im Pitztal - etwa dreiviertel davon im Winter, so Bürgermeister Elmar Haid. Doch die Zahlen seien leicht rückläufig, und das Tal kämpfe mit Abwanderung. Mit einem größeren Skigebiet hoffe man einigermaßen konkurrenzfähig zu bleiben.
"Das große Problem momentan ist, dass wir einfach in eine Zeit fallen, wo einfach das Thema Klima, Klimaerwärmung eine Riesenrolle spielt. Ich sage, egal was du momentan für Maßnahmen setzt, es heißt immer Klima, Klima, Klima. Ganz klar, das beschäftigt uns auch. Aber ich möchte nochmal sagen: Wir sind der Betroffene aber nicht der Verursacher, egal was da oben passiert oder unten passiert. Weil das wird das Klima nicht großartig verändern, was da am Pitztaler Gletscher passieren wird."
"Gletscher wird nicht schlechter"
Elmar Haid verweist zudem auf den bestehenden Naturpark und den sanften Tourismus im Tal, den auch Jasmin Walter hervorhebt. Die 37-jährige betreibt in Mandarfen ein Hotel:
"Rundherum um den Ort Mandarfen dreißig 3.000er - das ist einfach megaviel unberührte Natur. Hier bei uns im Pitztal haben wir keine Walt-Disney-Szene-Parks wie vielleicht in manch anderen Gebieten. Das passt zu uns nicht. So naturverbunden sind wir einfach. Das wollen wir auch nicht in einem gewissen Maße. Was es aber schon braucht, ist eine Weiterentwicklung am Berg im Skigebiet."
Jasmin Walter, Hotelbetreiberin aus Mandarfen im Pitztal (Tirol, Österreich)
Hotelbetreiberin Jasmin Walter aus Mandarfen im Pitztal unterstützt den Zusammenschluss der Skigebiete (ard-wien.de/Jan Heier)
Die zweifache Mutter hat die "Next Generation" mitgründet, in dem junge Unternehmerinnen und Unternehmer Ideen für Tourismus im Pitztal entwickeln; Gletscher inbegriffen.
"Das ist einfach im Verhältnis von dem Naturanteil im Tal einfach so ein kleiner Teil. Und dass das jetzt Gletscher ist, ist ja auch kein Schuss ins Knie, sondern meiner Meinung nach ja gut. Das ist ja unsere Versicherung. Also wenn es irgendwo zum Skifahren geht in zwanzig Jahren oder fünfzehn Jahren, ja dann wohl hoffentlich bei uns, oberhalb von 2.500 Meter. Das ist absolut sauberer Tourismus, was wir da oben dann machen. Wir nutzen den Gletscher für unsere Ressourcen im Tal und der wird ja nicht schlechter, nur weil man auf ihm Ski fahrt."
Onlinepetition gegen die Pläne am Gletscher
"Man hat den Eindruck, dass jetzt eine Art Torschlusspanik stattfindet. Man spürt den Klimawandel, man merkt, dass es immer enger wird, und es wird investiert, es wird versucht noch das letzte rauszuholen. Das ist der falsche Weg", findet Gerd Estermann von der Bürgerinitiative Feldring.
Der pensionierte Lehrer lebt außerhalb des Tals in Mötz. Gerd Estermann hat eine Onlinepetition gegen die Pläne am Gletscher gestartet. Bisher haben rund 150.000 Menschen unterschrieben:
"Ja, es ist eine Frage der Dosis. Wir brauchen den Tourismus natürlich, das ist eines der wirtschaftlich wichtigsten Standbeine. Aber es gibt halt wie in allen Dingen Grenzen. Es ist leider Gottes so, dass die am meisten verdienen, die am meisten Natur zerstören, und da muss sich grundlegend was ändern. Es müsste einen Ausgleich geben zwischen jenen, die viel Natur verbrauchen und jenen, die Natur bewahren. Im vorliegenden Fall müsste es wohl so sein, dass auch finanzielle Unterstützung von den Tourismushochburgen kommt und jenen hilft, die versuchen, einen nachhaltigen und ökologisch verträglichen Tourismus zu betreiben."
Gerd Estermann, Bürgerinitiative Feldring 
Gerd Estermann aus Mötz von der Bürgerinitiative Feldring ist für die Projektbefürworter eine Reizfigur (ard-wien.de/Jan Heier)
Im Zusammenhang mit dem Tourismus vermisst Gerd Estermann auch durchdachte Verkehrskonzepte, zum Beispiel im Ötztal. Auch der Ort Oetz liegt im Ötztal und wer hier über die Straße möchte, muss unter Umständen länger warten. Denn zu bestimmten Zeiten reihen sich hier Autos und LKW fast lückenlos aneinander. Auch Gero Parth ächzt unter dem Verkehr durch seinen Ort. Der 54-Jährige betreibt ein Modegeschäft, das direkt an der Hauptstraße liegt:
"Das bekommen wir eins zu eins mit im Geschäft. Wir haben sogar diese Situation, dass so viel Verkehr ist, dass einheimische Stammkundschaft sagt: ‚Ja ich wäre gerne gekommen, aber aufgrund des Verkehrs hätte ich gar nicht zufahren können, beziehungsweise es ist kein Platz zum Parken da.‘ Das war eigentlich früher unvorstellbar so eine Situation."
Gegner fordern alternative Konzepte für die Region
Touristen fahren durch Oetz weiter in das Ötztal hinein. Sie bleiben viel kürzer als früher, und der An- und Abreiseverkehr ist damit deutlich mehr geworden. Doch auch Arbeitspendler aus dem Ötztal kommen durch - Richtung Bahnstation oder Richtung Innsbruck und auch Schwerverkehr brettert die Straße entlang, etwa Baufahrzeuge oder Lebensmittelzulieferer. Auch die Bewohner von Oetz fahren häufiger mit dem Auto als früher, erzählt Gero Parth:
"Früher hat man im Ort mehrere Einkäufe tätigen können, es waren Geschäfte da. Ob das Schrauben oder Nägel waren, das hat man in Oetz bekommen. Wenn man Farbe gebraucht hat, hat es ein Geschäft gegeben. So, die gibt es jetzt nicht mehr und was tut man jetzt? Wenn ich was wirklich brauch, muss ich ins Auto steigen und etliche Kilometer Tal auswärts oder sogar nach Imst fahren. Und jeder, der in einer ähnlichen Situation ist, fährt auch oder lässt es sich bringen. Oder man bestellt das, und dann kommt der Paketdienst, und das erzeugt alles Verkehr, zusätzlich."
Gero Parth, Besitzer eines Modegeschäfts in Oetz im Ötztal (Tirol, Österreich)
Das Modegeschäft von Gero Parth liegt direkt an der Hauptstraße (ard-wien.de/Jan Heier)
Rund 30 Kilometer weiter hinten im Tal liegt die Gemeinde Sölden, die ihr Gletscherskigebiet mit dem Pitztal verbinden will. Das könnte noch mehr Verkehr bedeuten, befürchtet auch Adi Meierkord, der in Oetz wohnt und vom Tourismus lebt:
"So geht es nicht mehr weiter. Wir können hier nicht uns in dem Verkehr erstarren lassen und an anderer Stelle noch mehr Touristenhochburgen aufbauen, um noch mehr Verkehr heranzulocken. Man muss erst das Thema Verkehr in Oetz in irgendeiner Weise, es sei dahingestellt wie, versuchen, zu lösen. Und dann kann man darüber nachdenken, ob ich andere Anziehungspunkte noch schaffe."
"Der Weg ist lang, ist hart und man braucht Solidarität. Man kann nicht gegeneinander, man sollte miteinander arbeiten. Das wäre mal das erste", ergänzt Gero Parth. Er wünscht sich nicht nur eine Umgehungsstraße, sondern ganz andere alternative Konzepte für das ganze Ötztal. Gero Parth und Adi Meierkord sind unter anderem wegen des Verkehrs gegen die geplante Gletscherverbindung zwischen Ötztal und Pitztal. Bei diesen und ähnlichen Projekten im Tal fühlen sie sich nicht ausreichend gehört:
"Wir möchten einfach, dass wenn man einen Ausbau macht, dass man für die etwas entfernteren Gemeinden dazu eine Parteistellung gibt. Oetz hat jetzt einen Verkehr, hat schon sehr viel Verkehr und befürchtet jetzt durch einen massiven weiteren Ausbau der Skigebietsflächen noch viel, viel mehr Verkehr. Hat aber überhaupt keinen regulären Einfluss darauf, was dort passiert, weil sie nicht gefragt werden. Es ist tatsächlich ein Wohndorf und Oetz war einmal ein Luftkurort. Man kann sich das schon gar nicht mehr vorstellen."
Adi Meierkord aus Oetz im Ötztal (Tirol, Österreich)
Adi Meierkord lebt selbst vom Tourismus, lehnt das Projekt aber aus ökologischen Gründen ab (ard-wien.de/Jan Heier)
Gemeinden wollen sich touristisch Weiterentwickeln
70 Prozent des Verkehrs durch das Ötztal seien hausgemacht, sagt Josef Falkner, Präsident der Tiroler Tourismusvereinigung in Sölden. Der 63-Jährige ist seit Jahrzehnten im Tourismusgeschäft und hat den Aufstieg der Gemeinde Sölden miterlebt, vom armen Tal zur wohlhabenden Skigemeinde. Er ist auch Hotelier in Sölden und plädiert für die Verbindung der beiden Gletscherskigebiete:
"Man muss eine Entwicklung immer erlauben. Eine Entwicklung ist immer zukunftsorientiert und anders geht es nicht. Es geht nicht nur um den Gletscherzusammenschluss alleine, sondern um eine Weiterentwicklung einer Region, eines Landes einer politischen wie gesellschaftlichen Ebene. Weil man darf das so alleine nicht sehen. Wir leben nicht alleine von dem, dass alles nicht angetastet wird, dass alles in Ruhe gelassen wird."
Josef Falkner aus Sölden im Ötztal, Präsident der Tiroler Tourismus Vereinigung
Für Josef Falkner von der Tiroler Tourismus Vereinigung ist das geplante Projekt eine logische Weiterentwicklung am Berg (ard-wien.de/Jan Heier)
Auch Eberhard Schultes setzt auf den Ausbau am Berg. Wir treffen den Geschäftsführer der Pitztaler Gletscherbahn in Mandarfen im Pitztal:
"Dieser Alternativtourismus da tun wir uns schon schwer. Wir glauben einfach, dass wir die einzige Chance hier im Pitztal in einem Wintertourismus haben und wir sehen gerade in den letzten Jahren – und bitte nochmal – als einzige Region in ganz Tirol haben wir stagnierende Zahlen. Alle anderen Tourismusverbände in ganz Tirol haben sich positiv entwickelt, und da sehen wir einfach die Notwendigkeit, dass wir uns im Angebot weiterentwickeln. Wir können mit unserem Angebot, mit unserer Größe des Skigebietes einfach nicht mehr konkurrieren."
Eberhard Schultes, Geschäftsführer der Pitztaler Bergbahnen
Eberhard Schultes, Geschäftsführer der Pitztaler Bergbahnen. ist ebenfalls für die Verbindung der Gletscherskigebiete (ard-wien.de/Jan Heier)
Finanzierung von Wintersportprojekten wird schwieriger
Sollte das Projekt genehmigt werden, wollen die Gletscherbahnbetreiber in Ötztal und Pitztal mehr als 130 Millionen Euro investieren. Kredite dafür werden künftig schwieriger zu bekommen sein, so die Einschätzung des Umwelthistorikers Robert Groß von der Universität für Bodenkultur in Wien:
"Die Skigebietsbetreiber brauchen Kapital, um Infrastrukturprojekte zu errichten. Und es hat sich nicht sehr viel geändert seit den 50er-Jahren, das Kapital kommt vor allem von Banken. Und Banken geben kein Geld für Risikogeschäfte her, beziehungsweise wenn, dann nur unter bestimmten Konditionen. Und der Wintertourismus ist mittlerweile zu einem Risikogeschäft geworden, eben weil sich das Klima nicht beherrschen lässt, auch mit der besten Technologie nicht.
Der Winter ist leider ein sehr schlechter Partner für die Ökonomie. Weil er ist nicht errechenbar. Das heißt, es gilt einerseits jetzt, solange es noch möglich ist, Geld zu kriegen. Später wird’s schwierig. Dann sind wir angewiesen auf global agierende Großinvestoren. Da gibt es jetzt Beispiele von einem chinesischen Investor, der, glaube ich, in der Flachau ein Skigebiet übernommen hat. Das steht jetzt seit Jahren still, weil eigentlich hat er kein Interesse dran. Es gibt viele solche Beispiele. Die Frage ist halt. Wo kommt das Geld in der Zukunft her? Wir haben jetzt noch recht stabile Bedingungen. Das kann sich sehr schnell ändern und man versucht, jetzt halt rauszuholen, was halt geht."
Die gleichen Argumente seit den 1930er-Jahren
Rund sechs Jahre lang hat er sich mit Bewilligungsakten für verschiedenste Skitliftprojekte beschäftigt.
"Und etwas ist ganz klar: Seit den 30er-Jahren wird das Argument, ‚Wir brauchen diesen Skilift, weil unsere Existenz steht auf dem Spiel‘, dieses Argument wird seit den 30er-Jahren verwendet."
Am lukrativen Ausbau von Skigebieten seien viele Player beteiligt, sagt Robert Groß: "Man hat tatsächlich ein sehr dicht gewobenes Netzwerk von verschiedenen ökonomischen Akteuren, das in diesen Peripherien dann geknüpft wird."
Robert Groß, Umwelthistoriker an der Universität für Bodenkultur in Wien
Robert Groß, Umwelthistoriker an der Universität für Bodenkultur in Wien (ard-wien.de/Andrea Beer)
Darunter: Hotel- und Berghüttenbetreiber, die Seilbahn- und Beschneiungsanlagenindustrie, Düngemittel und Saatgutindustrie, diverse Beraterfirmen und Projektplaner, sowie Lobbyisten in PR und Journalismus. Kritik am Skitourismus gäbe es in Österreich schon seit den 20er-Jahren, sagt Wissenschaftler Groß. Diese sei aber erst seit den 60er-Jahren ökologisch motiviert:
"In den 60er/70er-Jahren gab es zwar Naturschutzkritik, es gab Kritik des Alpenvereins, aber ich kann mich nicht erinnern aus meinen Quellen heraus, dass ich jemals gesehen hätte, dass es jetzt zu derartigen Naturschutzkonflikten um Infrastrukturprojekte den Wintertourismus betreffend, dass es das schon zu der Zeit mal gegeben hätte. Und das hat auch etwas damit zu tun, dass sich unser Verständnis, was die Alpen symbolisieren, was auch Gletscher symbolisieren, dass sich das sehr, sehr stark gewandelt hat. Dass etwas erschlossen wird, was ohnehin schon verloren zu gehen droht. Für immer mehr Menschen ist das eigentlich unverständlich."
Entscheidung wohl vor dem Bundesverwaltungsgericht
Zurück ins Pitztal ins Amt der Gemeinde Sankt Leonhard, der das umstrittene Projektgebiet fast ganz gehört. Es ist es ruhig an diesem Nachmittag, doch Bürgermeister Elmar Haid sieht müde aus. Die letzten Wochen haben ihn geschlaucht:
"Das wir momentan als diese großen Umweltzerstörer, Umweltvernichter dargestellt werden, das ist einfach nicht gerechtfertigt unserer Meinung nach. Weil es wird ein falsches Bild präsentiert. Es hat kaum ein Tal so viel unberührte Natur, wie wir das haben."
Eine Panorama-Aufnahme der Pyrenäen in Frankreich. 
Klimawandel - Skifahren in Südeuropa – wie lange noch?
Im warmen Süden Europas machen steigende Temperaturen und weniger Schnee den Skigebieten zu schaffen. In Spanien und Andorra sieht man die Entwicklung mit Sorge und bereitet sich auf Alternativen vor.
Das komplexe Genehmigungsverfahren läuft noch, doch der Streit um die Gletscherverbindung in den Ötztaler Alpen in Tirol landet voraussichtlich vor dem Wiener Bundesverwaltungsgericht. Das denkt auch Elmar Haid:
"Im Grunde genommen werden wir da sehr wenig Einfluss drauf nehmen können. Wir können nur das öffentliche Interesse nachweisen. Aus dem Ötztal, aus dem Pitztal aufzeigen, dass die ganze Region dahintersteht, und dass wir das einfach brauchen. Was dann rauskommt, das haben wir nicht in der Hand."
Der Alpenverein hat gute Karten, das hofft jedenfalls Benjamin Stern, bevor er sich in die Gondel nach unten setzt:
"Letztes Jahr war für uns ein großer Erfolg, als das Bundesverwaltungsgericht die Verbindung Kappl - Sankt Anton abgelehnt hat. Mit der Begründung, dass in dem Fall das öffentliche Interesse am Naturschutz höher zu werten ist, als das öffentliche Interesse an dem wirtschaftlichen Nutzen. Weil keine der betroffenen Regionen da existenziell gefährdet ist und eben der Naturschutz auch einen Wert hat."
Offene Diskussion um Zukunft der Alpen notwendig
Wie viel Mensch verträgt die Natur? Auch die hofierten Kunden aus Deutschland könnten genauer hinschauen, wen oder was sie beim Skifahren unterstützen wollen. Das findet der Umwelthistoriker und Skifahrer Robert Groß:
"Der Skibetriebsbetreiber plant, die Behörde bewilligt, in der Regel bewilligt sie unter Auflagen. Also, es wird eh so gut wie alles bewilligt, aber halt unter bestimmten Auflagen und die Menschen werden vor gemachte Tatsachen gestellt. Zumindest für das soziale Klima ist das Gift. Was wir eigentlich brauchen in Österreich, in den alpinen Gebieten in Österreich, das sind niederschwellig zugängliche, machtfreie, demokratisch organisierte Diskussionsräume, wo die Zukunft der Alpen verhandelt werden kann."