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Globaler Kampf gegen Corona
Mehr Impftempo mit geringeren Dosen?

Um das weltweite Impftempo zu erhöhen, kursiert in der Forschung der Vorschlag, reduzierte Impfdosen zu verabreichen. Neben der geringeren individuellen Schutzwirkung bleiben jedoch offene Fragen, nicht zuletzt, wie eine solche Impfkampagne umgesetzt werden soll.

Volkart Wildermuth im Gespräch mit Lennart Pyritz | 14.07.2021
Mitarbeiter eines Impfzentrums in Germiston, Südafrika, mit dem Impfstoff von Pfizer
Impfstoff gegen Corona ist in vielen Ländern, unter anderem in Afrika, weiter knapp (Michele Spatari / AFP)
Die Impfkampagne in Deutschland mag in den vergangenen Wochen etwas ins Stocken geraten sein, unterm Strich aber ist sie ein Erfolg: 43 Prozent der Bevölkerung sind bereits komplett geschützt. Dagegen ist in vielen ärmeren Ländern noch nicht einmal ein Hundertstel der Bevölkerung durchgeimpft. Um das weltweite Impfprogramm zu beschleunigen, haben Forscher nun vorgeschlagen, einfach die Dosis in jeder Impfung zu verringern. Könnte dies ein Weg zu einem schnelleren Impffortschritt sein, weltweit?
Lässt sich die Dosis einer Impfung verringern?
Grundsätzlich ist die Dosis nicht in Stein gemeißelt. Die Impfstoffe wurden zunächst im Tierversuch erprobt, um erste Orientierungswerte zu erhalten. Diese Impfstoffdosen wurden dann bei den Phase-eins-Studien an Versuchspersonen ausprobiert. Wegen des hohen Aufwands dieser Studien beschränkte man sich von vornherein auf eine geringe Zahl an unterschiedlichen Dosierungen. Bei Moderna waren es zum Beispiel 25 Mikrogramm mRNA oder 100 oder 250. Bei der höchsten Dosis waren die akuten Nebenwirkungen zu heftig, bei der kleinsten Dosis war die Immunantwort schwächer - deshalb wurden für die Zulassungsstudien und auch für die anschließenden Impfkampagnen die mittlere Dosis verwendet. Ob die kleinere Dosis womöglich auch schon ausreichenden Schutz bietet, wurde gar nicht mehr geprüft.
Bei weiteren Untersuchungen der Teilnehmer aus der ersten Phase-eins-Studie wurde nun aber festgestellt, dass auch nach einem halben Jahr 35 Personen mit der geringsten Dosis Antikörper auch mit dem Virus fertigwurden. Es sind weniger Fälle als bei den Impflingen mit der Standarddosis, aber doch vergleichbar mit der Zahl an Personen, die eine SARS-CoV-2-Infektion überstanden haben. Ähnliche Berichte gibt es auch für den BioNTech-Impfstoff. Das heißt: Weniger Impfstoff bietet durchaus auch Schutz, aber eben nicht so viel wie die normal vorgesehene Dosis.
Ist sich eine Impfung mit einer niedrigeren Dosis zu verantworten?
Das ist eine Frage des Blickwinkels: Bei einer vollen Dosis, dies zeigen solide Studien, ist die Immunantwort stärker. Aber was ist mit einer Person, die gar keinen Impftermin bekommt, weil es zu wenig Impfstoff gibt? Diese Person dürfte von einer kleinen Dosis kurzfristig mehr profitieren, als von einer vollen Dosis, die womöglich erst ein Jahr später zur Verfügung steht. Und bis dahin bestünde dann weiter eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich mit Corona zu infizieren.
Auch aus der Perspektive der Gesamtbevölkerung ist ein schnelleres, aber vielleicht nicht ganz so wirksames Impfprogramm sinnvoll: weil es die Verbreitung des Virus bremst und dadurch alle besser geschützt sind. Ähnliche Konzepte wurden auch schon umgesetzt, etwa bei der Gelbfieberepidemie 2016, als in Angola und der Demokratischen Republik Kongo ein Impfstoff mit nur einem Fünftel der eigentlichen Dosis verwendet wurde. Auch bei Polio- und Meningokokken-Impfkampagnen, wo Impfstoff ebenfals knapp war, führte eine reduzierte Dosis zum Erfolg.
Reduzierte Impfdosen - kann das bei Corona funktionieren?
Dies ist ein großes Streitthema unter den Experten. Die einen fordern zunächst einmal belastbare Studien, die belegen müssten, dass eine geringere Dosis nicht nur das Immunsystem stimuliert, sondern tatsächlich vor der Ansteckung stützt. Anderenfalls könnten sich Geimpfte womöglich in falscher Sicherheit wiegen. Dagegen sagen andere Experten, dass Studien dieser Größenordnung viel zu lange dauerten. Sie verweisen auf aktuelle Hinweise, dass die Blutspiegel an neutralisierenden, also besonders wirksamen Antikörpern, tatsächlich ein guter Indikator für den Erfolg eines Impfstoffs sind. Jene neutralisierenden Antikörper sind demnach auch schon bei einer geringeren Dosis nachweisbar, deshalb sollte das Konzept auch direkt umgesetzt werden, weil es unterm Strich viel mehr Menschenleben rettet.
Allerdings können reine Blutwerte nicht immer die tatsächlichen Effekte einer Impfung voraussagen. Der Fall CureVac hat gezeigt, das eine Immunantwort nicht ausreicht, um die erforderliche Wirksamkeit zu erreichen. Der Impfstoff von AstraZeneca wiederum war schon mit der halben Dosis bei der Erstimpfung besonders effektiv.
Wie könnte ein verdünnter Impfstoff zugelassen werden?
Die Weltgesundheitsorganisation könnte eine sogenannte Empfehlung für den Notfalleinsatz aussprechen, darauf stützen sich viele Länder. Auch die WHO zeigt sich dem Ansatz reduzierter Impfdosen gegenüber interessiert, verweist aber auch darauf, dass noch Studien zur Wirksamkeit fehlten, wie sie etwa bei der Gelbfieberimpfung vorlagen. Eine WHO-Empfehlung wäre allerdings nur der erste Schritt. Die Hersteller müssten sich dann auch darauf einlassen, Impfstoff unter den veränderten Bedingungen zu liefern. Denkbar wäre es auch, dass andere Pharmaunternehmen einspringen könnten, über die Vergabe von Zwangslizenzen oder die Freigabe von Patenten. Darüber wird bei der Welthandelsorganisation bereits diskutiert. Auch der deutsche Außenminister Heiko Maas zeigte sich zuletzt gesprächsbereit, die Bundesregierung als Ganzes dagegen bremst weiterhin. Tatsächlich ist die Umsetzung von Zwangslizenzen alles andere als einfach.
Erfolge und Probleme der weltweiten Impfstoffverteilung
In den Industrienationen wurden längst Millionen Menschen gegen das Coronavirus geimpft. Viele ärmere Länder warten bis heute auf die begehrten Vakzine. Die Covax-Initiative sollte für eine gerechtere Verteilung sorgen - doch eine weltweite Teilhabe ist noch weit entfernt.
Hinzu kommt eine psychologische Hürde: Würden die Menschen in Afrika oder Asien überhaupt einen Impfstoff akzeptieren, der von vornherein weniger effektiv wirkt? In Deutschland lässt sich eine solche Impfkampagne kaum vorstellen. Jenseits dieser offenen Fragen läuft parallel die Impfstoffproduktion mit der vollen Dosierung weiter. Die Hersteller rechnen mit zehn Milliarden Dosen bis zum Ende des Jahres, dies würde für weltweit fünf Milliarden Menschen ausreichen. Deshalb kommt es vor allem darauf an, diesen Impfstoff nicht zu horten, sondern auch tatsächlich zu nutzen, weltweit. Die Frage nach verminderten Dosierungen stellt sich dann erst gar nicht.