Freitag, 29. März 2024

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Von Holtz (Grüne) zu Impfstoffverteilung
Über Patentschutzaussetzungen nachdenken

Angesichts der Corona-Pandemie müsse Impfstoff-Nationalismus verhindert werden, sagte Ottmar Holtz, Obmann der Grünen im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, im Dlf. Deshalb müsse über befristete Patentschutzaussetzungen und auch Anreize für die Lizenzvergabe geredet werden.

Ottmar von Holtz im Gespräch mit Rainer Brandes | 09.01.2021
Ottmar von Holtz (Bündnis90/Die Grünen) spricht bei der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag
Ottmar von Holtz fordert Fairness bei der globalen Verteilung des Corona-Impfstoffes (picture alliance/dpa/Jörg Carstensen)
Viele ärmere Länder können sich die Beschaffung des COVID-Impfstoffes nicht leisten. Gleichzeitig kaufen die Industrieländer große Bestände auf, so dass es zu einer ungleichen Verteilung kommt. Darüber gibt es Diskussionen. Es sei ein Gebot der Fairness und auch in unserem eigenen Interesse, hier für eine gerechtere Verteilung zu sorgen, sagte Ottmar von Holtz. Denn gerade Deutschland betone ja immer wieder, wie abhängig unser Export von funktionierenden Märkten weltweit sei.
Ottmar von Holtz ist Obmann der Grünen im Bundestagsausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er gehört dem Bundestag seit 2017 an. Der Diplom-Ökonom ist geboren und aufgewachsen in Namibia, welches er 1984 verließ.

Das Interview in voller Länge
Rainer Brandes: Die westlichen Industriestaaten, die haben sich die Hälfte des Corona-Impfstoffes gesichert, zusammen leben dort aber nur 13 Prozent der Weltbevölkerung. Ist das gerecht?
Ottmar von Holtz: Wir reden ja in diesen Zeiten viel vom Multilateralismus, über gerechte Weltordnungen, über Dinge wie Partnerschaften auf Augenhöhe und so weiter. Und da kann es nicht sein, dass wir diese globale Solidarität bei der ersten großen weltumspannenden Pandemie auseinanderbrechen lassen. Es warnen ja schon viele Menschen schon lange vor einem Impfstoff-Nationalismus. Und klar muss uns auch sein, dass wir die Pandemie nicht besiegen können, wenn nur Europa geimpft wird. Wissen Sie, wie verflixt schwer ist den hochindustrialisierten Ländern fällt, nicht nur einen Impfstoff zu entwickeln, sondern ihn dann auch noch ausreichend zu produzieren und am Ende geordnet zu verimpfen – das sehen wir jetzt gerade in dieser Zeit. Ich hoffe tatsächlich sehr, dass wir alle, also als Gesellschaften, als Regierende, als Verantwortliche in Forschung und Industrie, dass wir alle ein gemeinsames Verständnis darüber haben, dass wir die armen Länder in dieser Pandemie nicht im Stich lassen dürfen – übrigens nicht nur die Länder, sondern auch die multilateralen Organisationen, die für die weltweite gerechte Verteilung von Impfstoffen verantwortlich sind. Ich finde, das ist nicht nur ein Gebot der Fairness und auch nicht nur eine ethische Frage, sondern am Ende auch in unserem eigenen Interesse – gerade in Deutschland, wo wir doch immer wieder betonen, wie abhängig unser Export von funktionierenden Märkten weltweit ist.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Brandes: Sie haben ja gerade die internationalen Organisationen angesprochen. Und da gibt es ja die sogenannte COVAX-Initiative. Dahinter stecken unter anderem auch die Vereinten Nationen und auch Deutschland zahlt da Geld ein. Und das Ziel dieser Initiative ist es, 20 Prozent der Bevölkerung in den Entwicklungsländern impfen zu lassen. Aber was soll das bringen, denn wir wissen ja, dass man 60 Prozent Impfquote braucht, um eine Herdenimmunität zu erzeugen?
von Holtz: Ja, das sind natürlich schrittweise Pläne. Wir sehen es ja auch bei uns in Deutschland selbst, dass wir Impfstrategien haben, die sozusagen von einer schrittweisen Verimpfung ausgehen. Wir haben einfach nicht genug Impfstoffe zur Verfügung, jetzt alle zu impfen. Insofern habe ich da schon Verständnis für, dass man da schrittweise vorgeht. Soweit ich weiß, geht die COVAX-Initiative sogar von einem ersten Schritt für zunächst drei Prozent und dann 20 Prozent der Bevölkerung aus. Es muss danach allerdings auch weitergehen. Da wird sich dann irgendwann die Frage nach der Produktion der Impfstoffe stellen, ob wir auch weltweit genügend Produktionskapazitäten haben, damit wir eben auch genug Impfstoffe zur Verfügung haben, um diese 60 Prozent impfen zu können.

Von Holtz: Über Patentschutzaussetzung und Anreize nachdenken

Brandes: Diese weltweiten Produktionsanlagen, da sprechen Sie ja auch den Patentschutz der Entwicklungsfirmen an, unter anderem auch deutsche Firmen wie BioNTech. Sollten wir also tatsächlich sagen, wir müssen diesen Patentschutz für diese Unternehmen aufheben, damit in anderen Ländern zu günstigen Preisen Generika produziert werden können?
von Holtz: Zumindest ist das eine interessante Debatte, der wir uns stellen sollen. Es hat ja einen Antrag aus dem Oktober letztes Jahr aus Indien und Südafrika bei der Welthandelsorganisation, bei der WTO, den Patentschutz für COVID-19-Technologien – also alle Produkte, nicht nur Impfungen, sondern auch für Vorbeugung und Behandlung von COVID-19 – bis zum Ende der Pandemie auszusetzen, also befristet auszusetzen. Der Vorschlag wird übrigens besonders von der Zivilgesellschaft unterstützt. Und ich finde, dass es sich angesichts der Lage, angesichts der globalen Lage durchaus lohnt, darüber nachzudenken. Es gibt natürlich auch andere Wege, deswegen müssen wir das alles auf den Tisch legen. Es könnte auch über die Vergabe von Lizenzen geregelt sein. Hier finde ich, dass die Bundesrepublik Anreize schaffen sollte, damit die Pharmaunternehmen Lizenzen auch vergeben und diese unterstützen. Vor allem aber brauchen wir auch andere Wege der Unterstützung. Beispielsweise wird demnächst der neue Generalsekretär oder die neue Generalsekretärin der Welthandelsorganisation gewählt. Und da steht ja zur Wahl die Nigerianerin Ngozi Okonjo-Iweala. Das sollte die Bundesregierung unterstützen, dass sie gewählt wird, damit auch die Länder des globalen Südens da mehr Einfluss haben.
Interaktive Karte mit COVID-19-Statistiken vom Zentrum für Systemwissenschaft und Systemtechnik der Johns Hopkins University in Baltimore
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Wie viele gemeldete Coronavirusfälle gibt es in Deutschland? Verlangsamt sich die Ausbreitung des Virus, wie entwickeln sich die Fallzahlen international? Wie die Zahlen zu bewerten sind – ein Überblick.
Brandes: Wenn wir noch mal auf diesen Patentschutz kommen: Ist es denn Unternehmen zuzumuten, zu sagen, ihr habt jetzt für viele, viele Millionen Euro innerhalb kürzester Zeit diesen Impfstoff entwickelt, habt da ganz viel Vorleistung geleistet. Und jetzt nehmen wir euch die Möglichkeit, damit Geld zu verdienen.
von Holtz: Na ja, ganz so würde ich das nicht sehen, das ist sehr verkürzt dargestellt. Es gibt ja extrem viel öffentliches Geld, was jetzt gerade in die Forschung und Entwicklung und auch in die Verteilung von Impfstoffen reingeht. Deswegen waren ja diese Unternehmen auch in der Lage, so schnell zu Ergebnissen zu kommen. Das ist ja der große Unterschied zu anderen Medikamenten, wo eben diese öffentlichen Gelder nicht in dieser Masse reingepumpt werden. Insofern glaube ich, dass man da schon ja auch von einem gewissen öffentlichen Interesse sprechen kann. Übrigens hat auch selbst die Kanzlerin gesagt, dass der Impfstoff gegen COVID-19 ein globales Gut ist. Und ich glaube, dass man auf dieser Basis auch mit den Unternehmen wird reden müssen.

Pandemie: Man braucht "internationale Abstimmung"

Brandes: Gehört zur Wahrheit auch, wenn wir den Impfstoff wirklich gerecht über die Welt verteilen würden, dann müssten viele Deutsche noch lange auf eine Impfung warten?
von Holtz: Das würde ich jetzt gar nicht unbedingt so sehen. Was wir brauchen, sind große Kontingente, die sich die EU und die Bundesrepublik sichern sollten. Wir wissen ja auch, wir müssen uns auch nicht nur auf einen Impfstoff fokussieren, sondern eben eine Diversität der Impfstoffe berücksichtigen, viele Kontingente beschaffen und am Ende auch Überschüsse haben, die dann vergünstigt aufgrund des Masseneinkaufs, die die EU und die Bundesrepublik bei den Unternehmen ermöglichen können, diesen Überschuss dann vergünstigt oder an ganz besonders bedürftige Länder oder Regionen auch umsonst abzugeben über die Fazilitäten, die es gibt, über COVAX beispielsweise. Das muss natürlich mit einer internationalen Abstimmung erfolgen. Das ist ja die große Herausforderung dieser Pandemie, dass es diese internationale Abstimmung braucht, damit mit der COVAX-Initiative der Markt da nicht leergekauft wird. Denn das ist ja die Gefahr, wenn alle nur an sich selbst denken.
Brandes: Ganz kurz noch: Das heißt, Sie würden sagen, technisch wäre es schon möglich, innerhalb eines Jahres, sagen wir mal, die gesamte Welt durchzuimpfen?
von Holtz: Das mit dem innerhalb eines Jahres, das würde ich jetzt mit Vorsicht genießen, das ist ja auch eine der großen Herausforderungen dieser Pandemie, das ist der Zeitablauf. Ob das innerhalb eines Jahres geht, das weiß ich nicht, das sollten wir anstreben. Wir sollten vor allen Dingen Produktionskapazitäten erhöhen – daran arbeiten ja auch beispielsweise BioNTech, die nach weiteren Partnern zur Ausweitung der Produktion suchen. Wissen Sie, das Problem ist, die Produktion von Impfstoffen können wir nicht vergleichen mit der Herstellung eines Produktes wie beispielsweise des Mund-Nasen-Schutzes. Ein spezieller Impfstoff wie der gegen COVID-19 benötigt ganz spezielle Produktionsanlagen, die kann man nicht einfach nur eins zu eins übertragen. Was es aber braucht, ist, dass die Unternehmen, dass die Pharmaunternehmen ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse, das technische Know-how, das geistige Eigentum, dass sie das teilen, damit wir hier zu einer gemeinsamen Ausweitung der Produktionskapazitäten kommen und vielleicht dort in Ländern, wo es Kapazitäten gibt – wie Indien, Kenia, Südafrika oder Nigeria –, dass man dort dann auch in eine Produktion einsteigen kann. Aber das wird dauern, und das ist eben meine Botschaft: Wir verlieren wertvolle Zeit, wenn wir nicht jetzt damit anfangen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.